Geiselnehmer von Hamburg kommt vor Haftrichter, Tochter braucht laut Trauma-Expertin Zuwendung
Der Täter und seine Familie waren dem Jugendamt bereits bekannt und der Mann wurde schon in der Vergangenheit wegen Entziehung verurteilt. nach der Geiselnahme will der Hamburger Flughafen nun seine Sicherheitsmaßnahmen verstärken. Der Flugverkehr war mehr als 20 Stunden gesperrt.
Hamburg – Der Geiselnehmer vom Flughafen Hamburg soll im Lauf des Montags dem Haftrichter vorgeführt werden. „Noch gibt es keinen Haftbefehl, es hat noch keine Vorführung beim Haftrichter stattgefunden“, sagte Oberstaatsanwältin Liddy Oechtering am Montag in Hamburg. Der 35-Jährige war nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen in einem Untersuchungsgefängnis untergebracht worden, wie die Polizei mitteilte.
Dabei seien Beweismittel sichergestellt, der türkische Staatsbürger erkennungsdienstlich behandelt und ihm Blut entnommen worden, erklärte ein Polizeisprecher dazu. Nach einer vorläufigen Festnahme wegen einer Straftat muss ein Verdächtiger innerhalb von 24 Stunden einem Haftrichter vorgeführt werden, der über die Untersuchungshaft entscheidet und einen entsprechenden Haftbefehl erlässt.
Der Mann hatte laut Polizei am Samstag seine vierjährige Tochter aus der Wohnung der Mutter in Stade entführt und war mit ihr in einem Auto in Richtung Hamburg geflüchtet. Am Flughafen hatte er eine Absperrung durchbrochen und war mit dem Auto aufs Vorfeld des Airports gefahren. Nach einem mehr als 18-stündigen Nervenkrieg hatte sich der Mann am Sonntagnachmittag der Polizei ergeben. Die Geiselnahme ging unblutig zu Ende.
Vor der Geiselnahme der Vierjährigen auf dem Hamburger Flughafen hat die Mutter laut einem Zeugen verzweifelt versucht, ihren Ex-Partner zu stoppen. Die Frau habe auf der Straße geschrien und probiert, sein Auto anzuhalten, sagte am Montag in Stade ein Nachbar der Mutter. Der Mann habe die Frau fast angefahren, danach sei sie auf der Straße zusammengebrochen. Der 24-Jährige war nach eigenen Angaben Zeuge der Kindesentführung geworden.
Frau und Nachbar fast angefahren
Laut Polizei hatte der 35-Jährige am Samstag seine von ihm getrennt lebende 38 Jahre alte Ehefrau in Stade aufgesucht und die gemeinsame Tochter in seine Gewalt gebracht. Er habe zweimal mit einer Pistole in die Luft geschossen, das Kind in einen schwarzen Wagen gesetzt und sei geflüchtet.
Er habe der Frau helfen wollen, sagte der Zeuge. Sein Bruder habe dann aber geschrien, dass der Mann eine Waffe habe. „Ich war schockiert“, sagte der 24-Jährige. Der Mann habe das Kind ins Auto reingeschoben und sei mit hoher Geschwindigkeit weggefahren. Er habe nicht nur die Frau, sondern auch einen anderen Nachbarn fast angefahren. Die Familie kenne er nicht persönlich. Die dramatischen Szenen spielten sich in einem Wohnviertel mit rot geklinkerten Mehrfamilienhäusern und Reihenhäusern ab. „Es ist eine ziemlich ruhige Gegend“, sagte der 24-Jährige.
Familie war bereits amtsbekannt
Unterdessen wurde publik, dass die Familie des Geiselnehmers dem Jugendamt des Landkreises Stade bekannt ist. „Nähere Hintergründe können wir aus Gründen des Sozialdatenschutzes und aus Rücksicht auf das Kindeswohl an dieser Stelle nicht mitteilen“, sagte ein Behördensprecher am Montag.
Wo sich Mutter und Kind derzeit aufhalten und wie es dem vierjährigen Mädchen geht, wollte die Polizei aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht sagen. Das Kind sei während der 18-stündigen Geiselnahme auf dem Rollfeld des Flughafens aber mit Essen und Trinken versorgt gewesen.
Trauma-Expertin: „Mädchen braucht Zuwendung und Normalität“
Trauma-Expertin Charité Sibylle Winter zufolge braucht das entführte Mädchen nun besonders viel Zuwendung und Sicherheit, aber auch Normalität.
Das Kind müsse beobachtet werden, um mögliche psychische Folgestörungen schnell zu erkennen. Die Mutter oder eine andere enge Bezugsperson müsse sich nun intensiv um das Mädchen kümmern und ihr noch mehr Zuwendung geben als sonst.
Würde das Kind die Situation bspw. wochenlang immer wieder nachspielen, bräuchte es professionelle Hilfe einer Traumaambulanz, so die Leiterin der Kinderschutz- und Traumaambulanz an der Charité.
Es sei auch wichtig, dass das Kind wieder einen normalen Alltag und eine Routine bekomme. So solle es möglichst bald wieder die Kita besuchen.
Der Vater des Kindes sei in der Vergangenheit zu einer Geldstrafe von 3.600 Euro wegen Entziehung Minderjähriger verurteilt worden, sagte Kai Thomas Breas, Sprecher der Staatsanwaltschaft Stade, am Montag. Der Türke habe das Mädchen in seine Heimat mitgenommen. Die Mutter habe Anzeige erstattet, dann aber zunächst versucht, auf anderem Wege die Sache zu regeln. Zunächst sei das Verfahren daher eingestellt worden.
Die Frau habe dann noch einmal Anzeige erstattet, sagte der Behördensprecher. Zuvor hatte das Familiengericht des Amtsgerichts Stade dem Vater die elterliche Sorge entzogen und das Sorgerecht allein der Mutter übertragen. Die Frau holte ihre Tochter demnach aus der Türkei ab und brachte sie zurück nach Deutschland. Der Strafrahmen für die Entziehung Minderjähriger liegt zwischen einer Geldstrafe und bis zu fünf Jahren Haft.
Flughafen baut Sicherheitsmaßnahmen aus
Der Flughafen kündigte auch an, sein Sicherheitskonzept auszubauen. „Wir werden weitere bauliche Maßnahmen umsetzen, um mögliche Zugangspunkte zum Sicherheitsbereich zu verstärken“, sagte eine Flughafensprecherin dazu am Montag in Hamburg. Vorfälle wie die Geiselnahme zeigten, dass die Sicherheitskonzepte laufend neu bewertet werden müssen.
Aus diesem Grund habe das Sicherheitsteam bereits am Sonntag das Sicherheitskonzept des Flughafens im Licht der jüngsten Geschehnisse mit den aktuellen Erfordernissen abgeglichen. Die Sicherheitstechniker hätten „erste Überprüfungen vorgenommen und Kontakt mit den zuständigen Behörden aufgenommen“.
📽️ Video | Hamburger Flughafen kündigt bauliche Maßnahmen an
Wieder normaler Betrieb möglich
Unterdessen ist der Flughafen in Hamburg Montagfrüh wie geplant in den Normalbetrieb gestartet. Gegen 6 Uhr hoben die ersten Maschinen in Richtung Lissabon und Frankfurt am Main ab, wie aus dem im Internet veröffentlichten Flugplan hervorging. Im Anschluss sollten weitere Maschinen eng getaktet folgen.
Die erste Landung war für 7.25 Uhr geplant. Dem Zeitplan zufolge sollten am Montag alle Maschinen wie geplant starten. Für den Tag sind 152 Starts und 162 Landungen geplant. Auch bei der Bundespolizei, die für die Kontrollen der Fluggäste und deren Reisegepäck zuständig ist, lief der Betrieb wieder im regulären Modus. „Wir arbeiten so wie im Normalbetrieb“, sagte ein Sprecher. Der Flughafen war wegen der Geiselnahme für mehr als 20 Stunden geschlossen worden. (APA, dpa)
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