Weniger Geld für Asylwerber

„Atmendes System“ bei Flüchtlings-Finanzierung in Deutschland

Gemeinsames Ziel ist es laut Scholz, die Dauer von Asylverfahren auf sechs Monate samt Einspruch vor Gericht zu begrenzen (Symbolfoto).
© APA/HELMUT FOHRINGER

Bund und Länder in Deutschland einigten sich in der nacht auf ein neues Finanzierungssystem zur Versorgung Geflüchteter. Asylwerber sollen weniger Geld bekommen.

Berlin – Stundenlang haben Bund und Länder in Deutschland im Berliner Kanzleramt über den Kurs in der Migrationspolitik gerungen. Sie einigten sich in der Nacht auf Dienstag schließlich auf ein neues Finanzierungssystem zur Versorgung Geflüchteter und vereinbarten Leistungskürzungen für Asylwerber. Die Beschlüsse des Migrationsgipfels von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und den 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten im Überblick:

„Atmendes System“ zur Flüchtlingsfinanzierung

Anstatt jedes Jahr neu über die milliardenschwere Beteiligung des Bundes zu verhandeln, bekommen die Länder nun eine Pauschale von jährlich 7.500 Euro pro Geflüchtetem. Dieses "atmende System" trägt damit automatisch der Zahl der zu versorgenden Menschen Rechnung. Die Länder hatten allerdings vor dem Treffen mit Scholz noch 10.000 Euro pro Flüchtling gefordert. Zusammen mit anderen Maßnahmen ergeben sich laut Bundesregierung im kommenden Jahr für Länder und Kommunen Entlastungen von 3,5 Milliarden Euro.

Leistungskürzungen für Asylwerber

Asylwerber sollen in Deutschland künftig sogenannte Analogleistungen in Höhe der Sätze der regulären Sozialhilfe erst nach 36 und nicht mehr nach 18 Monaten bekommen - dies macht monatlich bei Alleinstehenden einen Unterschied von 92 Euro aus und bedeutet außerdem länger eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung. Zudem sollen Leistungen wie Essen in staatlichen Unterkünften auf Zahlungen angerechnet werden. Laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) führt dies voraussichtlich zu Einsparungen von einer Milliarde Euro. Damit werde "auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert".

Bezahlkarten statt Bargeld

Bund und Länder wollen für Geflüchtete Bezahlkarten einführen, mit denen sie Güter des täglichen Bedarfs bargeldlos einkaufen können. Dies würde Möglichkeiten einschränken, Geld zurück in Heimatländer zu überweisen, was teils als Anreiz zur Flucht nach Deutschland gesehen wird. Die Länder sollen nun "bundeseinheitliche Mindeststandards" für die Bezahlkarte ausarbeiten, der Bund will sie dabei unterstützen. Bis Ende Jänner 2024 soll ein Modell zur Einführung stehen.

Gemeinnützige Arbeit

Möglichkeiten, Asylwerber für gemeinnützige Arbeiten einzusetzen, sollen "in breiterem Maße genutzt werden". Um dies einfacher zu machen, soll es eine Rechtsänderung geben. Denn bisher müssen die Behörden in solchen Fällen prüfen, dass diese Arbeiten "zusätzlich" verrichtet werden - also sonst nicht oder nicht in diesem Umfang erfolgen können. Dieses Kriterium soll gestrichen werden.

Beschleunigung von Asylverfahren

Gemeinsames Ziel ist es laut Scholz, die Dauer von Asylverfahren auf sechs Monate samt Einspruch vor Gericht zu begrenzen. Laut Beschlusspapier soll der Anhörungstermin für Asylbewerber künftig "spätestens vier Wochen" nach Antragsstellung erfolgen. Die behördliche Entscheidung über das Gesuch soll noch in der Erstaufnahmeeinrichtung erfolgen. Verfahren für Angehörige von Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als fünf Prozent sollen möglichst in drei Monaten abgeschlossen werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten einigten sich in der Nacht.
© TOBIAS SCHWARZ

Prüfung von Asylverfahren in Drittstaaten

Vor allem die unionsgeführten Länder fordern, dass Asylverfahren künftig auch außerhalb Europas erfolgen sollen, etwa in Afrika. Scholz verwies hier erneut auf juristische Bedenken und auf Zweifel an der Umsetzbarkeit. Er sagte nun aber zu, diese Möglichkeit zu prüfen.

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Mehr Abschiebungen durch Migrationsabkommen

Die Weigerung vieler Herkunftsländer, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, sei "eine der größten Hürden" für mehr Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber, heißt es in dem Beschluss. Ziel müsse deshalb sein, mit solchen Ländern Migrationsabkommen zu schließen. Anreiz sollen dabei Angebote zur legalen Einwanderung von Arbeits-und Fachkräften sein. Die Gespräche über solche Vereinbarungen sollen nun "auf höchster Ebene intensiv vorangetrieben werden". Die Bundesregierung will sich zudem dafür einsetzen, dass das EU-Türkei-Abkommen wiederbelebt wird.

Grenzkontrollen zu Nachbarländern

Die im Oktober eingeführten stationären Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz werden aufrechterhalten - laut Scholz "über lange Zeit". Flüchtlinge, die aus anderen EU-Staaten nach Deutschland wollen, sollen möglichst direkt in diese zurückgeschickt werden. Deshalb sollen laut Beschluss Kontrollen bei Einverständnis des Nachbarstaats "bereits vor der deutschen Grenze durchgeführt und die dortigen Zurückweisungsmöglichkeiten genutzt" werden.

Kommission zu Migrationsfragen

Zu weiteren Fragen der Steuerung der Migration und Verbesserung der Integration will die deutsche Bundesregierung eine Kommission einsetzen. Sie soll unter Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen gebildet werden. (APA/AFP)

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