Weg frei für Regierungsbildung in Spanien, Amnestie für Separatisten
Die Sozialisten erzielten eine Einigung mit den Katalanen. Die Verhandlungen mit der baskischer PNV sind „fortgeschritten“. Die konservative und die rechte Opposition läuft Sturm.
Madrid – In Spanien rückt die Neuauflage einer Regierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez näher: Die Sozialisten (PSOE) erzielten ein umstrittenes Abkommen auch mit der zweiten der beiden Separatisten-Parteien aus Katalonien. Das teilte der Unterhändler der PSOE, Santos Cerdán, in Brüssel mit. Die Vereinbarung über eine Amnestie für alle von der Justiz verfolgten "Catalanistas" und über andere Punkte sei in der Nacht auf Donnerstag erzielt worden, berichteten spanische Medien.
Mit dem Abkommen sichern sich die Sozialisten die Unterstützung von Junts im Unterhaus des Parlaments für der Wiederwahl von Sánchez für eine weitere vierjährige Amtszeit. Vorige Woche hatte schon die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) einer solchen Vereinbarung zugestimmt. "Wir sind nun bereit, eine neue historische Etappe einzuleiten, in der auf der Grundlage des Respekts und der Anerkennung der Gegenseite eine politische Lösung auf dem Verhandlungsweg angestrebt wird", sagte Cerdán in Bezug auf die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien.
Sánchez benötigt nun noch die Stimmen der baskischen Nationalistenpartei PNV, mit der noch verhandelt wird. Anders als bisher mit Junts gilt hier ein Abkommen als eher unproblematisch. Die Zeitung "El Pais" berichtete unter Berufung auf PSOE-Kreise, die Verhandlungen mit PNV seien in einem fortgeschrittenen Stadium, man stehe kurz vor der Unterzeichnung eines Abkommens. Bereits Anfang November hatte sich die PSOE mit der katalonischen Separatisten-Partei Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) auf eine Zusammenarbeit verständigt. Die Sozialisten standen bei den Gesprächen unter Zeitdruck: Wenn es bis zum 27. November keine neue Regierung geben sollte, müssten die Spanier am 14. Jänner erneut wählen.
Die Amnestie soll unter anderem jenen Unabhängigkeitsbefürwortern zugutekommen, die 2017 an einem gescheiterten Abspaltungsversuch der Region im Nordosten Spaniens teilgenommen haben. Nutznießer eines Straferlasses wäre auch der ehemalige Regierungschef in Katalonien, Carles Puigdemont. Der im belgischen Exil lebende Junts-Politiker erklärte, man werde mit den Sozialisten über eine neue Volksabstimmung zur Unabhängigkeit Kataloniens reden. Der PSOE-Unterhändler bei den Gesprächen mit Junts, Santos Cerdan, sagte in Brüssel, es geben immer noch sehr große Meinungsverschiedenheiten mit der Separatistenpartei. Sie spielten aber angesichts des Ziels, eine stabile Regierung zu bilden, eine untergeordnete Rolle.
Opposition schäumt
Die konservative und rechte Opposition Spaniens läuft Sturm gegen die Amnestie. Für Sonntag hat Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo von der konservativen Volkspartei PP zu landesweiten Protesten aufgerufen. Er bezeichnete die Amnestie-Pläne als "größten Anschlag auf den Rechtsstaat", andere PP-Vertreter sprachen von einer "Demütigung" der Spanier. Die Sprecherin der rechtspopulistischen Vox in Madrid, Rocío Monasterio, warf Sánchez am Donnerstag gar einen "Staatsstreich" vor. Anhänger und Politiker von Vox veranstalten seit Tagen Protestkundgebungen vor den Hauptquartieren der Sozialisten. Dabei war es in Madrid zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen.
Die geplante Amnestie ist im Land und in der Europäischen Union (EU) umstritten. In einer Umfrage von Mitte September sprachen sich rund 70 Prozent der Befragten gegen eine Amnestie aus - davon 59 Prozent Anhänger der Sozialisten. 69 Prozent der Befragten meinten, dass die Anführer der Separatisten 2017 ein Verbrechen begangen hätten. Zudem hat das oberste Aufsichtsgremium der spanischen Gerichtsbarkeit, der Consejo General del Poder Judicial, massive Bedenken an dem Vorhaben geäußert. Diese Linie vertritt auch EU-Justizkommissar Didier Reynders. In einem am Mittwoch veröffentlichten Schreiben an die Regierung in Madrid äußerte er ernste Bedenken an den Plänen für ein Amnestiegesetz. Er bat die spanische geschäftsführende Regierung angesichts "ernsthafter Sorgen", die hinsichtlich der geplanten Amnestie geäußert worden seien, um Informationen zu dem Vorhaben.
Die Gegner der Separatisten konzentrieren ihre Kritik vor allem auf Puigdemont. Er hatte Katalonien 2017 nach einer umstrittenen Volksabstimmung für unabhängig erklärt. Die Zentralregierung warf ihm daraufhin Rebellion und Veruntreuung öffentlicher Gelder vor. Das Verfassungsgericht sah in dem Vorgehen des Katalanen einen Bruch der Verfassung. Die katalanische Regionalregierung wurde damals von der Zentralregierung entmachtet, Neuwahlen angeordnet und Puigdemont zur Fahndung ausgeschrieben. Er setzte sich daraufhin ins Ausland ab, unter anderem nach Deutschland. Sanchez hatte einst geschworen, Puigdemont vor Gericht zu stellen.
Die Sprecherin der konservativen PP, Cuca Gamarra, wertete die Einigung zwischen PSOE und Junts als beschämend und demütigend. Die Konzessionen von Sanchez an die Separatisten haben bereits früher Anhänger des konservativen und rechten Spektrums auf die Straßen getrieben. Am Montagabend demonstrierten rund 4000 Menschen vor der PSOE-Parteizentrale in Madrid. Sie forderten, Sanchez ins Gefängnis zu werfen und beanspruchten das "Recht der Spanier Spanien zu schützen". Sanchez konterte auf X: "Der Angriff auf das PSOE-Büro ist ein Angriff auf die Demokratie und auf alle, die daran glauben." Die Polizei löste die tumultartigen Proteste nach Medienberichten mit Tränengas und Gummigeschossen auf.
Es wird nun erwartet, dass Unterhaus-Präsidentin Francina Armengol (PSOE) die Abstimmung im Unterhaus über Sánchez als Regierungschef für nächste Woche ansetzt. Mit der Unterstützung des Linksbündnisses Sumar, ERC und Junts und weiterer Regionalparteien kommen die Sozialisten auf mindestens 173 von insgesamt 350 Stimmen. In der ersten Runde der Abstimmung im "Congreso de los Diputados" benötigt der Kandidat eine absolute Mehrheit von mindestens 176 Ja-Stimmen. Im zweiten Wahlgang reicht dann eine einfache Mehrheit aus.
Die PSOE hatte bei der vorgezogenen Wahl am 23. Juli nur den zweiten Platz hinter der konservativen Volkspartei (PP) von Spitzenkandidat Feijóo belegt. König Felipe VI. hatte deshalb zunächst Feijóo mit der Regierungsbildung beauftragt. Doch die Kandidatur des 62-Jährigen wurde Ende September vom Unterhaus abgelehnt. (APA/dpa/Reuters)