Mehr Moore und Wälder: Einigung auf EU-Gesetz zur Rettung der Natur
Ein langes Ringen hat ein vorläufiges Ende gefunden. Es gibt eine vorläufige Einigung auf ein EU-Naturschutzgesetz, zu dem zuvor ein heftiger Streit entbrannt war.
Brüssel – Damit sich die Natur in der EU erholt, sollen künftig mehr Wälder aufgeforstet, Moore wiedervernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten einigten sich in der Nacht auf Freitag auf ein heiß diskutiertes Naturschutzvorhaben. Hintergrund des Gesetzes ist, dass nach EU-Angaben rund 80 Prozent der Lebensräume in der Europäischen Union in einem schlechten Zustand sind.
10 Prozent der Bienenarten vom Aussterben bedroht
Zudem seien zehn Prozent der Bienen- und Schmetterlingsarten vom Aussterben bedroht und 70 Prozent der Böden in einem ungesunden Zustand. Die EU-Staaten teilten mit, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der wild lebenden Insektenbestäuber in Europa dramatisch zurückgegangen sei. Um dem entgegenzuwirken, sehe die Verordnung vor, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen müssten, um den Rückgang bis spätestens 2030 umzukehren.
Gemischte Reaktionen aus Österreich
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sieht den Kompromiss zur Wiederherstellung der Natur grundsätzlich positiv. „Die destruktiven Kräfte in der Politik haben sich nicht durchgesetzt", erklärte sie am Freitag bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Biodiversität. Es sei gelungen, Angriffe auf die Wirksamkeit des Vorhabens abzuwehren. Die Übereinkunft sei nicht perfekt, aber ein wichtiger Schritt.
SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl freute sich ebenfalls über die Einigung und sprach von einem „Meilenstein", hätte sich aber noch ambitioniertere Ziele gewünscht. „In der EU sind bereits über 80 Prozent der Naturräume in schlechtem Zustand und Artenvielfalt und Biodiversität nehmen rapide ab. Das ist fatal, denn wir brauchen eine intakte Natur dringend, um die Auswirkungen der Klimakrise abzufedern sowie um die Zukunft von kleinen Landwirtschaftsbetrieben abzusichern und unsere Lebensmittelsicherheit zu erhalten." Entsprechende Maßnahmen müssten auch zum Schutz der Wasserreserven umgesetzt werden. Er ortet fehlende Zusammenarbeit zwischen den Parteien und kritisierte die Europäische Volkspartei (EVP) scharf. Diese habe das Renaturierungsgesetz in Geiselhaft genommen und fast verhindert.
Für NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon ist die Einigung „ein tiefes Bekenntnis für den Klima- und Umweltschutz und ein Versprechen der Europäischen Union an die kommende Generationen, dass ihr ihre Zukunft nicht gleichgültig ist und wir den Jungen ein lebenswertes Europa hinterlassen wollen". Vor der finalen Abstimmung im EU-Parlament appellierte Gamon an ihre ÖVP-Kollegen: „Durch die kategorische Blockadehaltung der Europäischen Volkspartei war der Weg zu diesem Gesetz schon unrühmlich genug. Bringt diesen mühsam errungenen und ohnehin schon abgeschwächten Kompromiss nicht im letzten Moment noch zu Fall."
Die FPÖ hingegen lehnte die Einigung in der vorliegenden Form ab. „Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur stellt eine Gefahr für Land- und Forstwirtschaft insgesamt dar", sagte der freiheitliche Europaparlamentarier Roman Haider. „Wieder einmal zeigt sich, wie sinnlos und geradezu gefährlich einheitliche Regeln für die völlig unterschiedlichen Naturräume der EU-Staaten sind", kritisierte Haider.
Dem Gesetz war ein heftiger Streit vorausgegangen, unter anderem weil strenge Auflagen für Landwirte befürchtet wurden. Vor allem die Christdemokraten waren gegen das Vorhaben Sturm gelaufen und versuchten, es komplett auf Eis zu legen. Ein Antrag, das Gesetz zurückzuweisen, bekam im Sommer im Parlament jedoch keine Mehrheit.
Mit dem nun ausgehandelten Kompromiss werden Landwirte künftig nicht verpflichtet sein, einen bestimmten Prozentsatz ihres Landes für umweltfreundliche Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, was Bauern befürchtet hatten. Der gefundene Kompromiss muss noch formell von den EU-Staaten und den dem Europaparlament abgesegnet werden. Normalerweise ist das Formsache. In diesem Fall ist jedoch nicht ganz sicher, dass genug Christdemokraten von der EVP dem Kompromiss zustimmen, um eine ausreichende Mehrheit im Parlament zu bekommen.
„Die EVP-Fraktion wird die heutigen Ergebnisse vor den anstehenden Entscheidungen im Umweltausschuss und im Plenum ernsthaft prüfen und sorgsam abwägen", sagte die CDU-Verhandlerin Christine Schneider. Naturschutz und Klimaziele gingen Hand in Hand mit Land- und Forstwirtschaft. Gelder der EU-Agrarpolitik sollten nicht für Maßnahmen unter dem Gesetz verwendet werden. Sie freue sich, dass sich die anderen Fraktionen bei vielen zentralen Anliegen in Richtung der Christdemokraten bewegt hätten.
Grüne: schmerzhafte Kompromisse
Die für die Grünen an den Verhandlungen beteiligte Abgeordnete Jutta Paulus sprach von einigen schmerzhaften Kompromissen. Wichtig sei aber das Signal, dass die EU internationale Verpflichtungen ernst nehme. Die Christdemokraten hatten in den Verhandlungen deutliche Lockerungen durchgesetzt.
Die EU-Kommission begrüßte das Verhandlungsergebnis. Die EU-Staaten sollen bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen Maßnahmen durchführen, um einen guten Zustand wiederherzustellen. Die Umweltorganisation WWF sprach in einer Mitteilung von Schlupflöchern im Gesetz. Enttäuschend seien vielen Ausnahmen und Flexibilität bei den Verpflichtungen der EU-Staaten.
WWF Österreich kritisierte „Schlupflöcher"
Der WWF Österreich begrüßte die politische Einigung, kritisierte aber mehrere Schlupflöcher bei der künftigen Umsetzung: „Gut, dass es eine Einigung gibt, aber der aktuelle Kompromiss ist stark verwässert worden", betonte WWF-Biodiversitätssprecher Joschka Brangs am Freitag in einer Aussendung. Der WWF Österreich forderte die Bundesregierung und alle EU-Abgeordneten daher auf, bei den finalen Abstimmungen für eine ambitionierte Fassung des Gesetzes einzutreten.
Der Umweltdachverband Österreich sprach von einer wegweisenden Entscheidung, gleichzeitig würden Schlupflöcher aber einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Als einer der kritisierten Punkte wurde die sogenannte „Notbremse" bezeichnet. Demnach können die Bestimmungen für landwirtschaftliche Ökosysteme unter „außergewöhnlichen" Umständen vorübergehend ausgesetzt werden. „Wir müssen darauf achten, dass wichtige Biodiversitätsflächen nicht unter dem Vorwand der Lebensmittelproduktion aufgelassen werden. Es ist jetzt an den Bundesländern, die Blockadepolitik endlich aufzugeben und sich konstruktiv auf die Umsetzung des Gesetzes vorzubereiten", sagte Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbandes.
Landwirtschaftskammer-Österreich-Präsident Josef Moosbrugger sah den Beschluss – trotz der Entschärfungen gegenüber ursprünglichen Plänen – kritisch und warnte vor noch strengeren Regelungen für Bäuerinnen und Bauern. „Es ist falsch, dass immer unsere bäuerlichen Betriebe ausbaden müssen, was Fossilindustrie und Weltpolitik anrichten. Es kann etwa nicht sein, dass wir eine Verbesserung der Biodiversitätsindices nachweisen müssen, obwohl zu erwarten ist, dass sich diese angesichts der voranschreitenden Klimaverschlechterung weiter verschlechtern. Es sollte an den primären Schrauben gedreht werden und das ist v.a. die Abkehr vom weltweiten, massiven Einsatz fossiler Energieträger", so Moosbrugger. (APA/dpa)