Kias Flottenführer

Ein besänftigender Riese

Optisch kein Leisetreter, mit 204 oder 385 PS ist der Kia EV9 aber wohltuend angemessen anstatt übermotorisiert.
© Kia

Der EV9 ist das neue Flaggschiff der elektrischen Kia-Flotte. Der 5-Meter-Koloss wartet mit überraschend agilen Talenten auf.

St. Tropez – Äußerlich fährt der EV9 mit demselben wuchtigen Mix aus glatten Flächen und Kanten vor, in dem schon das Konzeptfahrzeug präsentiert wurde. Kia knackt mit seinem Elektro-Koloss auch erstmals die 5-Meter-Grenze und dringt damit in Gewichts-Galaxien vor, die bisher kein Koreaner gesehen hat: Bis knapp 2,7 Tonnen bringt die Allrad-Variante auf die Waage.

Serienmäßig kommt der EV9 bereits als Siebensitzer, wobei das Platzangebot in Reihe drei tatsächlich einmal nicht nur für Kinder ausreichend ist und sich die Lehnen sogar elektrisch umlegen lassen. Alternativ kann der SUV auch in einer Konfiguration mit sechs Sitzen geordert werden, die nicht nur längs verschiebbar sind, sondern sich auch um 180 Grad drehen lassen. Das Platzangebot ist in jedem Fall äußerst großzügig, ein wenig schließt Kia damit sogar die Lücke zur Gattung der Minivans, die inzwischen ja so gut wie ausgestorben ist.

Minimalistisches Cockpit

Das Cockpit präsentiert sich abgesehen vom mit insgesamt drei Displays bestückten Wide-Sceen-Bildschirm eher minimalistisch. Nicht nur wegen der weitgehenden Absenz von Tasten und Knöpfen, sondern auch wegen des glatten, monochromen und praktisch ohne Zierelemente ausgeführten Layouts – der Preis der nachhaltigen Produktion, der sich Kia verschrieben hat und in der jeder Materialmix wegen des höheren Recyclingaufwands weitgehend vermieden werden muss. Auch die praktische Multi-Mode-Leiste, mit der meisten anderen Modelle derzeit bestückt sind, wurde hier bereits wieder ausgemustert – an ihre Stelle sind Touchfelder im Armaturenbrett getreten, mit denen die Hauptmenüs des Infotainmentsystems direkt angewählt werden können. Die vormals manuelle Bedienung der Klimaanlage ist jetzt auf den 5,3 Zoll großen mittleren Touchscreen übersiedelt und daher nur noch digital möglich.

Bei Sitz- und Reise-Komfort wird der EV9 seinem Premium-Anspruch voll gerecht, auch die Rundumsicht ist dank großzügig ausgeführter Glasflächen selbst im hinteren Fahrzeugbereich tadellos. Die Heckantriebs-Variante kommt mit 204 PS aus, das Allrad-Modell bietet solide 385 Pferde auf. Im Antritt sind damit beide flott, aber nicht rasant. Überraschen kann der sanfte Riese allerdings mit äußerst agilem Handling und weit dynamischerem Reaktionsvermögen, als für ein SUV dieser Größen- und Gewichtsklasse zu erwarten wäre – obwohl Kia etwa im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern hier keine Allrad-Lenkung verbaut. Ansprechendes Fahrverhalten lässt sich also auch mit klassischer Ingenieursleistung erreichen anstatt mit dem Zukauf von teurem Extra-Equipment.

Weitgehend entsprachen die Testverbräuche mit beiden Modellen dem Katalogversprechen – mehr als rund zehn Prozent wichen sie auch bei höherem Autobahnanteil nicht von den WLTP-Werten ab. Das hinterradgetriebene Modell dürfte somit in der Alltagspraxis an die 500 Kilometer Reichweite problemlos schaffen, die stärker motorisierte Allrad-Variante etwa 450. Weitgegend nützt der EV9 die aus dem EV6 bekannte Hightech-Architektur mit 800 Volt, allerdings wurde die Energiedichte des Akkus gesteigert und auch das Limit für Schnell-Laden liegt mit maximal 210 kW höher als beim kleinen Bruder. Mit 2,5 Tonnen Anhängelast bietet der koreanische Ober-Stromer mehr Angängelast als seine Konkurrenz und ist dazu bereits für bi-direktionales Laden ausgestattet – er kann also etwa den eigenen Wohnwagen problemlos mit Energie versorgen.

Die Tugenden summieren sich zu einem Basispreis von 69.090 Euro, 7500 Euro mehr kostet die 4WD-Ausführung, für weitere 9000 Euro fährt sie in der schicken Ausstattung GT-Line vor.

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