Ministerrat einigt sich auf Anschaffung von Langstrecken-Abwehrraketen
Bei der am Mittwoch abgehaltenen Ministerratskonferenz wurde von der Bundesregierung im Rahmen der Europäischen „Sky Shield“ Initative die Anschaffung von Langstrecken-Luftabwehrraketen beschlossen. Genauere Details sind noch offen. Als mögliche Systeme sind „Patriot“ und „Arrow 3“ im Gespräch.
Wien – Die österreichische Bundesregierung plant die Anschaffung von Langstrecken-Luftabwehrraketen. Im Ministerrat am Mittwoch wurde eine entsprechende Grundsatzentscheidung abgesegnet, Details zu dem Vorhaben sind noch offen. Die Anschaffung soll im Rahmen des europäischen Luftverteidigungssystems "Sky Shield" erfolgen. Als wahrscheinliche Varianten gelten das US-Luftsabwehrsystem "Patriot" sowie das US-israelische System „Arrow 3“. Die Beschaffung soll ab dem Jahr 2027 erfolgen.
Mit diesem Schritt werde Österreich umfassende Verteidigungsfähigkeit erhalten, die vergangene Regierungen vergessen hätten, betonte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) im Pressefoyer nach dem Ministerrat. Dementsprechend nannte Kanzler Karl Nehammer den geplanten Ankauf einen „Meilenstein für die österreichische Sicherheit“: „Wir waren bisher nicht in der Lage, diese Form der Abwehr durchzuführen.“
Kogler sieht Neuanschaffung mit Neutralität vereinbar
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) unterstrich, dass seine Partei mit an Bord ist. Die Sicherheit zu stärken sei eine der zentralen Aufgaben dieser Bundesregierung, wies er auf eine geänderte Sicherheitsarchitektur seit der Aggression Russlands gegen die Ukraine hin. Mit der Neutralität hält er "Sky Shield" für vereinbar. Dies sieht auch der Kanzler so. Denn "Sky Shield" lasse die Verantwortung immer bei den Mitgliedsstaaten.
Die Langstrecken-Luftabwehrsystem werden die bereits bestehenden bzw. angekündigten Systeme in Österreich ergänzen. Das Bundesheer verfügt derzeit über die 3,5 cm Flugabwehrkanone (Flak) "Oerlikon" und die Fliegerabwehrlenkwaffe "Mistral" für den sehr kurzen Bereich bis zu ca. 5 Kilometer Reichweite. Bereits im September angekündigt wurde seitens Tanners die Anschaffung des Kurz- und Mittelstreckensystems "Iris-T". Diese Flugabwehrraketen können Reichweiten bis zu 15 Kilometern (Kurzstreckenversion) und bis zu 50 Kilometern (Langstreckenversion) abdecken. Diese Anschaffung ist in Kooperation mit Deutschland geplant, ebenfalls im Rahmen von Sky Shield.
Mit dem heutigen Beschluss in der Regierungssitzung wurde nun der Grundstein für die Anschaffung von Langstrecken-Systemen mit Reichweiten von 50 Kilometern und darüber hinaus geschaffen. Welche Systeme angekauft werden, ist offen. Als wahrscheinliche Varianten gelten die US-Flugabwehrrakete "Patriot" und das in Kooperation zwischen Israel und den USA entwickelte System "Arrow 3".
🎥 Video | „Sky Shield“ wird ausgebaut
Kosten bleiben unklar
Offen sind die Kosten für die Langstreckensysteme. Laut Medienberichten wurden Mittel in Höhe von vier Milliarden Euro veranschlagt, dazu gab es vorerst keine Bestätigung aus dem Verteidigungsministerium. Für die Modernisierung der bestehenden Systeme sowie für die Anschaffung der "Iris-T"-Flugabwehrraketen wurde seitens des Ministeriums in Summe bereits zwei Milliarden Euro genannt. Der Ankauf der "Iris-T" soll ab den Jahren 2025/2026 erfolgen.
Die "European Sky Shield Initiative" (ESSI) wird vom EU- und NATO-Land Deutschland initiiert, Ziel ist die Stärkung der Luftraumabwehr vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Damit soll ein satellitengestützter Schutzschirm über die teilnehmenden Länder gelegt werden, der Drohnen und Raketen (auch ballistische und atomar bestückte) frühzeitig erkennen und abwehren kann. Die Initiative wurde am 13. Oktober 2022 von 13 EU-Staaten sowie Großbritannien und Norwegen gegründet. Österreichs Verteidigungsministerin Tanner unterzeichnete dann am 7. Juli 2023 (gemeinsam mit ihrer Schweizer Amtskollegin) eine Absichtserklärung zur Teilnahme.
Die beiden Länder schrieben ihre neutralitätsrechtlichen Vorbehalte in einer Zusatzerklärung fest. Laut Verteidigungsministerium wurde klargestellt, dass Österreich seine Lufthoheit und die Autorität über die eigenen Systeme behält. Auch sei festgehalten worden, dass sich die beiden neutralen Staaten nur an Maßnahmen hinsichtlich Beschaffung, Ausbildung und Übungen beteiligen werden. Die Teilnahme am Sky Shield dürfe auch nicht als Teilnahme an einem Militärbündnis gewertet werden. Darüber hinaus wurde auch eine Ausstiegsklausel geschaffen, sollte eines oder mehrere der ESSI-Staaten an einem bewaffneten Konflikt beteiligt sein.
Neben Deutschland sind seit Oktober 2022 die NATO-Mitglieder Großbritannien, Slowakei, Lettland, Ungarn, Bulgarien, Belgien, Tschechien, Finnland, Litauen, Niederlande, Rumänien, Slowenien, Estland sowie Norwegen an Bord von Sky Shield. Im Februar schlossen sich auch Dänemark und der NATO-Beitrittskandidat Schweden dem Projekt an. Nicht bei der deutschen Initiative sind Frankreich, Italien, Spanien und Polen. Paris missfällt, dass dabei nichteuropäische Technologie eingekauft werden soll. Frankreich und Italien wollen das gemeinsam von ihnen entwickelte System SAMP/T benutzen. Auch Polen beschafft andere Systeme.
Kritik von SPÖ und FPÖ
Scharfe Kritik an der Art der Ankündigung kam vor der Ministerratssitzung von der SPÖ: „Tanners Sky Shield-Überfälle sind völlig inakzeptabel. Die Volksvertretung hat nicht über die Medien zu erfahren, wenn die Republik andenkt, Langstreckenraketen zu beschaffen“, so SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer in einer Aussendung. „Dieses intransparente Vorgehen ist schädlich für die Demokratie. Wir werden dafür sorgen, dass uns Tanner Rede und Antwort steht.“
Gleichzeitig erklärte Laimer, es sei "unbestritten, dass Österreich und unsere Bevölkerung vor Bedrohungen aus der Luft geschützt werden müssen". Dies müsse aber erstens mit der Neutralität vereinbar sein und zweitens "muss der Beschaffungsvorgang auf transparenten rechtsstaatlichen Abläufen basieren". Auch vermisst Laimer bisher eine parlamentarische Einbindung.
Kritik kam auch von der FPÖ, die das Projekt ja komplett ablehnt: "Aus meiner Sicht ist es nicht kompatibel mit der österreichischen Neutralität", sagte FPÖ-Chef Herbert Kickl am Rande einer Pressekonferenz, der auch einen "Bruch mit dem Völkerrecht" ausmachte. Denn Sky Shield sei "nichts anderes ist als eine NATO-Initiatve", es handle sich um einen "Nato-Beitritt durch die Hintertür". Wenn Österreich in diesem Bündnis dabei ist, "sind wir ein Angriffsziel". (APA)
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