„Club Zero“: Radikaler Verzicht zieht ziellos vorbei
Na dann: Mahlzeit! In Jessica Hausners neuem Film „Club Zero“ bringt eine manipulative Lehrerin unbedarften Schüler das Nicht-Essen bei.
In Pier Paolo Pasolinis auch nach gut 50 Jahren ungemein verstörender Faschismus-Studie „Salo oder die 120 Tage von Sodom“ (1975) gibt es eine Szene, in der die von den Mächtigen Malträtierten Exkremente essen müssen. Darüber entbrannte einst ein veritabler Gelehrtenstreit. Der französische Mythenforscher Roland Barthes etwa fühlte sich gefrotzelt, weil er in der Drastik der Bilder keinen tieferen Sinn, keine, wenn man so will, metaphorische Ebene mehr erkennen konnte: Wenn man Menschen zeigt, die Scheiße fressen, um damit zu sagen, dass Menschen Scheiße fressen, hat man, davon war Barthes überzeugt, den Bereich der Kunst verlassen – Schock und Ekel werden zum Selbstzweck.
Auch in Jessica Hausners neuem Film „Club Zero“ gibt es eine solche Ekel-Szene. In Cannes, wo „Club Zero“ im vergangenen Frühjahr letztlich ziemlich chancenlos im Wettbewerb um die Goldene Palme konkurrierte, wurde sie durchaus angeregt diskutiert: Es geht ums Kotzen und Kotze essen. Nachdem schon 2022 im damaligen Cannes-Siegerfilm „Triangle of Sadness“ eindrücklich ge- und erbrochen wurde, machten manche Festivaliers an der Croisette prompt einen neue Tradition aus: Den arthouse-tauglichen Spuck-und-Würg-Film.
Die Frage ob auch die Österreicherin Hausner sich mit der Szene auf metaphorisch dünnes Eis wagte, stellte sich aber nicht. Dafür ist „Club Zero“ zu eindeutig darauf angelegt, als Metapher auf beinahe alles gelesen zu werden, worüber gegenwärtig eben auch debattiert wird. Mit „Triangle of Sadness“ übrigens, wo ein Superreichen-Kreuzfahrtschiff havariert, hat „Club Zero“ auch den wenig schmeichelhaften Blick auf jene Mitmenschen gemein, die, aus welchen Gründen auch immer, besser betucht sind. „Eat the Rich“ verkehrt Hausner allerdings konsequent ins Gegenteil: Die Reichen werden hier nicht gefressen, sie sind blöd genug, sich durch Essensverzicht selbst zu entsorgen.
„Club Zero“ spielt in der sehr hermetischen – von Ausstatterin Tanja Hauser und Kameramann Martin Gschlacht in wunderbar konturloses Pastell getauchtes – Welt eines englischen Eliteinternats. Zum Zwecke der Selbstoptimierung werden hier nach dem Motto „There is more in you“ auch Kurse für besonders bewusste Ernährung angeboten. Die neue Ernährungslehrerin Miss Novak allerdings, hat anderes vor. Sie will der werdenden Elite nicht nur Verbesserung durch bewussten Verzicht schmackhaft machen, sondern ihren Schülerinnen und Schülern das Essen gleich ganz abgewöhnen. Alles eine Frage der Willenskraft, erklärt sie. Gespielt wird Miss Novak von Mia Wasikowska, die einst im Rennen um die Hauptrolle in Tim Burtons „Alice im Wunderland“ (2010) halb Hollywood ausstach und sich seither als herausragende Charakterdarstellerin beweist, in Park Chan-wooks „Stoker“ (2013) zum Beispiel. Ihre Miss Novak ist geheimnisvoller als der Film, in dem sie auftritt: undurchsichtig, manipulativ aber dabei durchaus charismatisch. Fünf ihrer Schüler verfallen ihrem Eifer, fasten fortan radikal – und drohen der Welt vollends verloren zu gehen.
Man kann „Club Zero“ als zynisch kühle Satire auf fast alles verstehen: Vom Selbstoptimierungswahn über Konsumismus bis zur Klimabewegtheit, schließlich ist Ernährung ein Klimatreiber und Essensverzicht gut für den ökologischen Fußabdruck. Man kann mit „Club Zero“ über sehr viel nachdenken. Über die Verführbarkeit der Jugend zum Beispiel – und über den „Rattenfänger von Hameln“, der Hausner inspiriert haben soll. Aber über das Gezeigte hinaus führen diese Gedanken nicht. Der Film zieht sich – und er zieht vorbei. Manches ist klug, anderes gut beobachtet und bisweilen ist „Club Zero“ sogar schmerzhaft komisch. Aber in Erinnerung bleiben letztlich nur Markus Binders (Attwenger) tolle Filmmusik – und eine Kotzszene.