Viertägige Feuerpause

Israel und Hamas tauschen Geiseln gegen Gefangene aus, Feuerpause beginnt am Donnerstag

Die Waffen sollen vorübergehend schweigen.
© APA/AFP/JAAFAR ASHTIYEH

Israel und die islamistische Hamas haben im Gazakrieg einem Abkommen über eine mehrtägige Feuerpause zugestimmt. Im Gegenzug soll der Austausch von israelischen Geiseln gegen palästinensische Häftlinge ermöglicht werden. Laut offiziellen Stellen Israels soll die Kampfpause aber maximal zehn Tage lang dauern.

Amman – Die israelische Regierung hat Mittwochnacht einem Abkommen zugestimmt, das die Freilassung von 50 von der Hamas verschleppten Geiseln vorsieht. Im Gegenzug sollen palästinensische Gefangene freigelassen und eine Feuerpause eingehalten werden, hieß es in der offiziellen Erklärung aus dem Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Sowohl Israel als auch die radikalislamische Palästinenserorganisation versicherten, nach der viertägigen Waffenruhe die Kämpfe fortzusetzen.

Wie der israelische Außenminister Eli Cohen im Armee-Radio sagte, rechnet Israel damit, am Donnerstag die ersten Geiseln empfangen zu können. Zu einem Bericht, wonach die Übergabe Donnerstag früh um 05.00 Uhr Ortszeit beginnen solle, äußerte er sich nicht. Indes erklärte Mousa Mohammed Abu Marzouk, einer der Hamas-Führer, am Mittwoch in einem Interview mit dem Nachrichtensender Al-Jazeera, die Feuerpause beginne am Donnerstag um 10.00 Uhr Ortszeit (9.00 Uhr MEZ).

Zuvor hatte das Außenministerium in Katar mitgeteilt, dass der Beginn der Kampfpause innerhalb der nächsten 24 Stunden bekannt gegeben werde. „Die Regierung hat die Grundzüge der ersten Phase eines Abkommens gebilligt, das die Freilassung von mindestens 50 Entführten – Frauen und Kinder – an vier Tagen vorsieht, an denen die Kämpfe ruhen werden“, hieß es in der Erklärung Israels. Überwacht wird die Freilassung der Geiseln laut Katar vom Roten Kreuz (IKRK).

📽️ Video | Israel stimmt Feuerpause zu

Wie die Times of Israel am Mittwoch unter Berufung auf einen von der israelischen Regierung veröffentlichten Kabinettsbeschluss berichtete, sind für den gesamten Austausch von bis zu 300 palästinensischen Häftlingen gegen bis zu 100 lebende Geiseln aus Israel maximal zehn Tage vorgesehen.

Frauen und Kinder

Israelische und palästinensische Quellen hatten zuvor berichtet, dass die Vereinbarung die Freilassung von 50 Geiseln im Austausch gegen 150 palästinensische Gefangene in Israel beinhalte. Nach Angaben der Hamas soll es sich auf beiden Seiten bei den Freikommenden um Frauen und Kinder handeln. Nach Angaben der USA sollen sogar „mehr als 50 Geiseln“ freigelassen werden.

Wie ein hochrangiger Beamter des Weißen Hauses erklärte, befinden sich unter ihnen drei US-Staatsbürger, darunter ein dreijähriges Kind. Der Beamte erklärte zudem, er rechne mit einer Kampfpause an der israelisch-libanesischen Grenze, wo seit Kriegsbeginn die Kämpfe zwischen der pro-iranischen, mit der Hamas verbündeten Hisbollah-Miliz und Israel zugenommen haben.

Netanyahu: „Richtige Entscheidung“

Vor der Abstimmung hatte Israels Regierungschef Netanyahu in seinem Kabinett um Zustimmung für das Abkommen geworben. Es sei „eine schwierige Entscheidung, aber die richtige Entscheidung“, sagte Netanyahu Dienstagabend.

Israel versicherte gleichzeitig, dass das vereinbarte Abkommen nicht das Ende des Kriegs bedeute. „Die israelische Regierung, die israelische Armee und die Sicherheitskräfte werden den Krieg fortsetzen, um alle Entführten zurückzubringen, die Hamas auszulöschen und sicherzustellen, dass es keine weitere Bedrohung für den Staat Israel aus dem Gazastreifen gibt“, hieß es in einer offiziellen Erklärung.

Die Hamas bestätigte ihrerseits „dass unsere Finger am Abzug bleiben und unsere (...) Bataillone weiterhin auf der Lauer liegen werden“. Die den Gazastreifen kontrollierende Gruppe begrüßte das Abkommen, das nach ihren Angaben „gemäß der Vision von Widerstand und Entschlossenheit formuliert wurde, die darauf abzielen, unserem Volk zu dienen und seine Hartnäckigkeit gegenüber der Aggression zu stärken.“

Katar nimmt Schlüsselrolle ein

Katar nimmt bei der Vermittlung zwischen Israel und der Hamas zur Freilassung der rund 240 verschleppten Geiseln eine Schlüsselrolle ein. Die Regierung des Golfemirats hatte bereits am Sonntag erklärt, bei den Verhandlungen seien nur noch „geringfügige“ Hindernisse zu überwinden, was Hoffnung auf einen baldigen Abschluss genährt hatte.

„Wir hoffen, dass diese Feuerpause eine umfassende und nachhaltige Vereinbarung schaffen wird, die die Kriegsmaschine und das Blutvergießen stoppt“, twitterte Katars Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani am Mittwoch.

US-Präsident Joe Biden begrüßte die Vereinbarung und pochte auf die Einhaltung der Abmachung. „Es ist wichtig, dass alle Aspekte dieses Abkommens vollständig umgesetzt werden“, teilte Biden mit. Er wisse die Zusage zu schätzen, die die israelische Regierung mit der Unterstützung einer verlängerten Feuerpause gemacht habe, damit die Vereinbarung vollständig umgesetzt werden könne. So könne nun zusätzliche humanitäre Hilfe geleistet werde, „um das Leid unschuldiger palästinensischer Familien im Gazastreifen zu lindern“.

Biden bedanke sich bei Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi und dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani für „ihre entscheidende Führungsrolle und ihre Partnerschaft beim Zustandekommen dieser Vereinbarung“. Diese dürfte nun weitere amerikanische Geiseln nach Hause bringen, so Biden. Sie sei „ein Beweis für die unermüdliche Diplomatie“ und die Entschlossenheit der US-Regierung. „Für mich als Präsident gibt es keine höhere Priorität als die Sicherheit der Amerikaner, die auf der ganzen Welt als Geiseln gehalten werden.“

Wichtige Inhalte im Überblick

  • Die Einigung sieht eine viertägige Kampfpause vor. Der Beginn soll nach Angaben des vermittelnden Emirats Katar vom Mittwochmorgen innerhalb der nächsten 24 Stunden bekannt gegeben werden.
  • Mindestens 50 der 240 Geiseln sollen schrittweise von der Hamas im Gazastreifen freigelassen werden. Israelischen Medien zufolge soll es sich um 30 Minderjährige, acht Mütter sowie zwölf ältere Frauen handeln.
  • Im Gegenzug soll Israel nach Angaben Katars eine noch unbestimmte Zahl Palästinenser aus israelischen Gefängnissen entlassen. Die Hamas sprach von 150 palästinensischen Frauen und Minderjährigen. Israelischen Medienberichten zufolge soll darunter niemand sein, der wegen Mordes verurteilt wurde.
  • Die Feuerpause könnte nach Angaben Katars verlängert werden. Für jeden zusätzlichen Tag müsste die Hamas der israelischen Regierung zufolge zehn weitere Geiseln freilassen.
  • Während der Kampfpause soll laut Katar „eine größere Zahl“ humanitärer Güter in den Gazastreifen gebracht werden, zudem soll die Einfuhr von Treibstoff für humanitäre Zwecke weiter ermöglicht werden. Nach Angaben der Hamas soll der gesamte Gazastreifen, auch der Norden, mit den Gütern versorgt werden.
  • Während der Feuerpause soll nach Angaben der Hamas im Süden des Küstenstreifens täglich der israelische Luftverkehr komplett und im Norden für sechs Stunden eingestellt werden.

Auch die EU-Spitzen reagierten positiv. „Jeder Tag, an dem diese Mütter und Kinder von Terroristen als Geiseln festgehalten werden, ist einer zu viel. Ich teile die Freude der Familien, die schon bald ihre Liebsten wieder in die Arme schließen können“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in Brüssel. Sie appellierte an die Hamas, auch die übrigen der rund 240 am 7. Oktober verschleppten Menschen sofort freizulassen. Sie kündigte zugleich an, dass die EU-Kommission ihre Nothilfe für die palästinensische Bevölkerung im abgeriegelten Gazastreifen so schnell wie möglich aufstockt.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sagte, die Vereinbarung gebe den verzweifelten Familien in Israel etwas Hoffnung und den Palästinenserinnen und Palästinensern eine Atempause. „Dies ist ein Moment, auf dem wir aufbauen können“, erklärte die maltesische Politikerin. „Jetzt müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, um alle verbliebenen Geiseln nach Hause zu bringen, die humanitäre Hilfe zu verstärken und diesen Hoffnungsschimmer zu nutzen, um eine dauerhafte, nachhaltige Lösung und eine echte Friedensvision zu finden, die den politischen Horizont neu aufbaut.“

Befreiung als oberste Priorität

Auch das Außenministerium in Wien begrüßte die angekündigte Befreiung eines Teils der Geiseln, wie es in einer Stellungnahme gegenüber der APA heißt. „Erleichterung ist aber erst angezeigt, wenn die Geiseln ihre Familien auch tatsächlich in die Arme schließen können. An diesem Zeitpunkt sind wir so nah dran wie nie zuvor.“ Die Befreiung aller Geiseln bleibe oberste Priorität. „Wir schätzen die Rolle, die sowohl die USA, als auch Katar und Ägypten hier einnehmen“, so das Ministerium weiter. Die Unterbrechung der Kampfhandlungen müsse auch dazu genützt werden, die Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu verbessern.

Von einer „guten Nachricht“ sprach Deutschlands Kanzler Olaf Scholz, von einem „Durchbruch“ Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock. „Die angekündigte Freilassung einer ersten größeren Gruppe von Geiseln ist ein Durchbruch - auch wenn nichts auf der Welt ihr Leid ungeschehen machen kann. Die humanitäre Pause muss genutzt werden, um lebensnotwendige Hilfe zu den Menschen in Gaza zu bringen“, twitterte Baerbock.

Vom Kreml hieß es, man begrüße das Abkommen „als erste gute Nachricht seit langem“. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte, Israel müsse gezwungen werden, das Völkerrecht einzuhalten und Rechenschaft über sein Handeln im Gazastreifen abzulegen.

Arabische Außenminister fordern, dass die zunächst auf vier Tage begrenzte Feuerpause ausgedehnt werden solle. Sie sollte der erste Schritt hin zu einem umfassenden Waffenstillstand sein, schlagen die Vertreter Saudi-Arabiens, Ägyptens und Jordaniens vor. Der Entspannungsprozess sollte zudem zu der Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Zwei-Staaten-Lösung führen. Dieses Konzept sieht die Gründung eines Palästinenser-Staates neben Israel vor. (APA, AFP, dpa, TT.com)

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