"Alice" bei Wien Modern: Wundervolle Reise ins Wunderland
Wie einfach kann ein magischer Theaterabend sein? Man braucht nur geniale Ideen! Diese alte Bühnenweisheit haben am Donnerstagabend im Wiener Odeon Kristine Tornquist und Max Kaufmann als Regisseure von "Alice" unter Beweis gestellt. Das Stück mit Musik von Kurt Schwertsik erlebte als Projekte des sirene Operntheaters und des Serapions Theaters im Rahmen des Wien-Modern-Festivals seine Uraufführung. Es ist die Entführung ins Wunderland mit wundervoll simplen Mitteln.
Der mittlerweile 88-jährige Kurt Schwertsik und seine Librettistin Tornquist haben sich für ihr Werk Lewis Carrolls legendäre "Alice im Wunderland"-Geschichten hergenommen. In schneller Folge werden die Szenen aneinandergereiht - von der Teeparty des Hutmachers über die Konfrontation mit der Herzkönigin, von der Begegnung mit Tweedledee und Tweedledum bis hin zum weißen Kaninchen.
Ort und Zeit wechseln im Wirbeltempo, was neben der sechsköpfigen Sängerriege auch das stumme Serapions Ensemble wie eine gut geölte Maschine bewerkstelligt. Die "lediglich" sprechende Titelfigur wird indes von Ana Grigalashvili verkörpert. Sie steht diesem Karussell aus Pantomime, Musik und Objekttheater als verbalisierender Charakter gegenüber.
Die selbst gewählte Bezeichnung als "Revue" für das Stück trifft es mithin ganz gut, wobei "MusikTheater" vielleicht noch präziser wäre. Schließlich stellt sich Schwertsiks Musik gänzlich in den Dienst des Ganzen, spielt sich nicht in den Vordergrund, ohne andererseits nur als Hintergrund zu dienen. Es ist eine intelligente, aber keine intellektuelle Musik, die sich in ihrer Stilpluralität nicht scheut, nostalgische Zitate einzustreuen - was wiederum hervorragend zum viktorianischen "Alice"-Stoff passt.
Diese Vorlage nehmen die Mitglieder des auf die Synthese der Künste spezialisierten Serapions Ensembles voleé auf und nützten den emotionalen Gehalt der Musik, um gleichsam aus dem Nichts Welten zu erschaffen, die alsbald wieder in sich zusammenbrechen. Wenn Alice schrumpft oder wächst, genügt der Schatten und ein paar Papiertüren, die ihre Größe verändern.
Das weiße Kaninchen wird von Männern im weißen Anzug verkörpert, die in ausgefeilter Bewegungschoreografie die Impression des gehetzten Nagers evozieren. Für die Grinsekatze genügen schwarzgewandete Schauspieler, die ihre Köpfe zum überdimensionalen Lachmund zusammenstecken. Und die Herzkönigin erinnert an die geometrischen Kostüme aus Oskar Schlemmers triadischem Ballett.
Mit all dieser Inspiration gelingt dem "Alice"-Team, aus geringen Mitteln ein Wunderland an Kreativität entstehen zu lassen. Oder, um es mit dem verrückten Hutmacher zu sagen: "Das Unmögliche zu schaffen, gelingt einem nur, wenn man es für möglich befindet."
(Von Martin Fichter-Wöß/APA)