Ein Weltenverbinder: Kairo-Korrespondent El-Gawhary ist 60
Brücken bauen, mit Menschen reden und nicht über sie, Sachverhalte über Schicksale näherbringen: All das beherrscht Karim El-Gawhary wohl auch im Schlaf. Der renommierte Journalist ordnet seit bald 20 Jahren als Leiter des ORF-Korrespondentenbüros in Kairo das Geschehen in der arabischen Welt für das Fernsehpublikum ein - und das unter teils gefährlichen Bedingungen. Seinen Job möchte er dennoch mit nichts tauschen. Am heutigen Sonntag feiert El-Gawhary seinen 60. Geburtstag.
In einer Zeit, in der mehr Brücken abgerissen als errichtet werden, wehrt sich El-Gawhary vehement dagegen, das hinzunehmen, schwarz-weiß zu malen oder gar seine Beiträge trocken herunterzuspulen. El-Gawhary ist unterwegs, unterhält sich mit Mächtigen, aber speziell jenen, die von deren Entscheidungen oft hart getroffen werden. Er hat ein sensibles Radar - nicht nur für Menschen, sondern auch für Situationen und Geschichten, die sonst kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Der Journalist stellt die arabische Welt nicht als Gegenkonzept des Westens dar, sondern zeigt lieber die Nähe beider Lebenswelten auf. Er lebt seinen Job, das merkt man ihm an.
El-Gawhary, geboren am 26. November 1963 in München als Sohn einer deutschen Mutter und eines ägyptischen Vaters, startete seine journalistische Laufbahn bereits während seiner Zeit als Student der Islam- und Politikwissenschaften. Als freier Journalist betätigte er sich ab den frühen 1990er-Jahren etwa in Damaskus und Kairo. Er schrieb für verschiedene deutschsprachige Zeitungen, darunter auch die "Presse".
Einer breiten Öffentlichkeit wurde er hierzulande bekannt, als der ORF 2004 ein Korrespondentenbüro in Kairo eröffnete. El-Gawhary wurde als Büroleiter eingesetzt, war damit der erste ständige ORF-Korrespondent im arabischen Raum, und blieb dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in dieser Funktion bis heute erhalten. Vom arabischen Frühling bis hin zur umstrittenen Fußballweltmeisterschaft in Katar war der Vater dreier Kinder stets mit dabei und lieferte kritische Reportagen, Stimmungsberichte und Analysen.
Dabei geriet El-Gawhary in mehrere brenzlige Situationen. 2011 versuchten Anhänger des damaligen ägyptischen Machthabers Hosni Mubarak das ORF-Büro zu stürmen. Ein Trupp von Schlägern konnte nur durch Einschreiten des Militärs abgewehrt werden. Ein anderes Mal explodierte eine Autobombe in der Nähe seiner Unterkunft, wodurch die Fenster in die Wohnung gedrückt wurden. Er befand sich zu dem Zeitpunkt glücklicherweise im Badezimmer. Auch wurde bereits auf ein Auto geschossen, in dem er sich befand.
Die Gefahr sucht El-Gawhary aber nicht. "Ich bin ein vorsichtiger Mensch und überlege es mir dreimal, bevor ich wo hinfahre", erklärte er 2022 im Rahmen einer Veranstaltung. Schon mehrmals habe er gesagt, "Stopp, wir fahren hier nicht weiter". Denn schließlich gebe es keine Geschichte, die so gut ist, dass man dafür riskiert, nicht mehr über sie berichten zu können. Wichtig sei bei seiner Arbeit als Kriegs- und Krisenberichterstatter, auf die lokale Bevölkerung zu hören und ein sensibles Radar für die Lage zu entwickeln, so der Journalist.
Wichtig ist El-Gawhary, die angetroffenen Menschen nicht zu Objekten zu machen, indem man von oben herab über sie berichtet. "Man muss ihnen auf Augenhöhe begegnen, ihnen Gesichter und Namen geben", sagte er. Viele Geschichten und Erfahrungen goss er auch in Bücher. In "Frauenpower auf Arabisch" räumt er anhand von 22 Porträts und Reportagen mit dem Stereotyp von der "arabischen Frau" auf. In "Auf der Flucht" liefert er Reportagen von beiden Seiten des Mittelmeers, wobei er etwa erschütternde Einblicke in das Schlepperwesen gibt.
Dabei ist das Schreiben für El-Gawhary auch eine Art Therapie. Öfters sei er bereits an seine journalistischen Grenzen gestoßen. "Ich habe mich in Gesprächen häufig sehr ohnmächtig gefühlt", sagte er 2015 in einem Interview. "Wenn ich diese ganzen Geschichten in mich hineingefressen hätte, wäre ich heute vermutlich ein seelisches Wrack."
Für seine Arbeit wurde El-Gawhary vielfach geehrt. 2011 erhielt er den Concordia-Preis für Pressefreiheit für seine Berichterstattung über die Protestbewegungen in Tunesien und Ägypten. 2018 ging der Axel-Corti-Preis an ihn. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Korrespondent bereits mehrfach zum Außenpolitikjournalisten des Jahres gekürt, 2013 zudem zum Journalisten des Jahres in der Hauptkategorie. Die Jury lobte ihn dafür, dem Arabischen Frühling eine Stimme verliehen zu haben. Dabei stehe El-Gawhary für die "publizistische Wiederannäherung von Morgen- und Abendland". Heuer, 2023, wurde die langjährige Arbeit des ORF-Korrespondenten schließlich mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Republik Österreich gewürdigt.