Kultur Österreich

Linz09-Macher zur Kulturhauptstadt: Ort falsch, Inhalt gut

Ulrich Fuchs in Marseille
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Ulrich Fuchs, stellvertretender Intendant der Kulturhauptstädte Linz09 und Marseille-Provence (2013), blickt "mit Sympathie und Neugierde" auf die Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl - Salzkammergut 2024 und attestiert den Machern eine "professionelle Handschrift". Dennoch hält er die Entscheidung der EU-Jury, der er davor selbst angehörte, für falsch, wie er im APA-Gespräch sagt, denn in St. Pölten wäre viel mehr politisches und finanzielles Engagement vorhanden gewesen.

Ulrich Fuchs war bei der Kulturhauptstadt Linz09 verantwortlich für die Projektentwicklung und Stellvertreter des - mittlerweile verstorbenen - Intendanten Martin Heller. Was ist aus seiner Sicht von damals geblieben? "Etliche Investitionen in die kulturelle Infrastruktur, das erweiterte AEC, das Schlossmuseum, das Salzamt und einiges mehr", bilanziert Fuchs, dadurch sei das kulturelle Angebot dauerhaft erweitert worden. Geblieben seien zudem "der Höhenrausch als sozusagen fleischgewordene Nachhaltigkeit", die "Hörstadt" und "nicht zuletzt eines meiner Lieblingsprojekte, der Kepler Salon". Aber auch das Linzer Publikum sei nach 2009 "neugieriger geblieben und vielleicht auch ein bisschen anspruchsvoller".

Die Wurzeln der mehrfach preisgekrönten selbstironischen Linzer Imagekampagne "Linz ist Linz" sieht er ebenfalls in der Kulturhauptstadt: "Ich finde, dass der Tourismusverband nach uns sehr aktiv das Erbe von Linz09 betrieben hat, mit einem neuen Verständnis von Tourismus, durchaus provokativ - wofür ich Sympathien habe, im Unterschied zu manchen Lokalpolitikern in Linz". Denn: "Der Stolz auf das Erreichte ist bei der Linzer Politik meiner Ansicht nach nicht genug angekommen." Generell sei es "eine Schattenseite von Kulturhauptstädten, dass die lokale Kulturpolitik oft ins Provinzielle zurückfällt und den Schwung selten mitnimmt, um die Stadt international weiter zu positionieren." "In Marseille ist es etwas besser gelungen als in Linz", findet er, denn dort habe man fünf Jahre nach der Kulturhauptstadt "ein Festival als so eine Art Revival" realisiert und setze dies nun in biennalem Rhythmus mit diversen Events fort. Als besonderes Positiv-Beispiel nennt er Lille (2004), ebenfalls in Frankreich, wo seither die Biennale Lille 3000 veranstaltet werde.

Seit 1985 werden jährlich - mittlerweile zwei bis drei - Kulturhauptstädte in Europa auserkoren. Für 2024 wurde mit dem Salzkammergut erstmals eine inneralpine, ländliche Region zur Kulturhauptstadt erhoben. Ob das Zukunft hat? Fuchs denkt schon: "Große Länder wie Frankreich, Polen, Deutschland haben keine Schwierigkeit, auch weiterhin Städte zu benennen", aber in kleineren Staaten sei das schwieriger. "Dass die Kulturhauptstadt-Idee auch im ländlichen Bereich Fuß fassen könnte, das finde ich nicht so schlecht, zumal wir politisch fast überall in Europa das Problem haben, dass sich viele, die im ländlichen Bereich leben, ganz generell gegenüber dem städtischen Bereich abgekoppelt fühlen. Dadurch entstehen auch Populismus und ein Gefälle zwischen urbanem und ländlichem Raum."

Dass unter den österreichischen Kandidaten Bad Ischl das Rennen gemacht hat und nicht St. Pölten, war nicht nur hierzulande für viele unerwartet: "Ich war auch überrascht, dass Bad Ischl gewonnen hat. Die Bewerbung von Sankt Pölten war meiner Ansicht nach ausgezeichnet. Sie war auch getragen von Land und Stadt - im Unterschied zu dem Bad Ischler Modell, wo man ja auch schon in der Bewerbung gesehen hat, dass sowohl der Landeshauptmann von Oberösterreich und erst recht die angrenzenden Länder, das mit großer Distanz verfolgt haben", sagt Ulrich Fuchs. "Ich habe die Entscheidung der Jury überhaupt nicht verstanden und ich finde sie auch falsch." - Nachsatz: "Aber dafür können Frau Schweeger und ihr Team nichts".

Das Programm von Salzkammergut 2024 trage "ganz ohne Zweifel eine professionelle Handschrift", streut er Salzkammergut-2024-Leiterin Elisabeth Schweeger Rosen. "Ich blicke mit Neugierde und Interesse und Sympathie da hin." Die immer wieder aufpoppende Kritik, man habe sich etwas anderes erwartet, "finde ich einerseits etwas sehr österreichisch, nach dem Motto erst einmal ein bisschen sudern und meckern, über die eigene Nabelschau nicht hinausgehen." Andererseits sei die Skepsis zu Beginn bei Kulturhauptstädten in den meisten Fällen groß. Kritikern "würde ich entgegenhalten, es handelt sich nicht um eine oberösterreichische Landesausstellung, sondern um eine Europäische Kulturhauptstadt." Das "ist kein Mitmachfest nach dem Motto 'alle sind dabei', sondern es ist ein Wettbewerb um gute Projekte und gute Ideen. Es ist das Risiko der Intendantin und ihres Teams zu sagen: 'Wir haben eine Auswahl getroffen.' Wenn sie damit auf die Nase fallen, wird man es am Ende dieses Jahres sehen", so Fuchs, der es interessant findet, "wie viele Leute sich da zu Wort melden, die überhaupt keine Profis sind" - eine Anspielung auf Hannes Androsch, dem das Programm missfiel.

Fuchs denkt auch, dass Schweeger und ihr Team "mit dem Geld, das sie haben, viel Interessantes gemacht haben". Denn das schmale Budget sei "wirklich eine schwere Bürde" - Bad Ischl hat gerade einmal 30 Millionen Euro zur Verfügung, Linz09 hatte mehr als das Doppelte, St. Pölten hätte auch um die 70 Millionen bekommen. "Das finanzielle Engagement der Länder ist meiner Ansicht nach viel zu schwach" bei Bad Ischl, kritisiert Fuchs. "Die Jury hätte stärkeres Engagement zur Bedingung machen müssen. Ich verstehe auch nicht, wieso sie das nicht getan hat." Dennoch ist er überzeugt: "Man kann trotzdem mit 30 Millionen Euro ein vernünftiges Kulturhauptstadtjahr machen. Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel." Als Beispiel, wo das gelungen sei, nennt er Plovdiv (2019, Bulgarien), denn "die hatten circa 35 Millionen". Lob gibt es von ihm auch für St. Pölten: "Ich glaube, dass St. Pölten gute Chancen hat, 2024 mindestens so auf sich aufmerksam zu machen wie das Salzkammergut. Und das ist wiederum etwas, das für Österreich toll ist." Die niederösterreichische Landeshauptstadt habe sich nicht entmutigen lassen "und sagt: 'Wir haben das ernst gemeint, wir setzen jetzt einen Plan B um'", etwa mit dem KinderKunstLabor oder dem Tangente-Festival.

Eine Kulturhauptstadt sei prinzipiell dann gelungen, wenn sie "Dinge in Bewegung bringt. Sie muss sich öffnen zum Internationalen hin" und dürfe nicht "nur die Wiederholung dessen sein, was lokal ohnehin passiert, nur vielleicht etwas besser ausgestattet als sonst", definiert Fuchs den Qualitätsmaßstab. "Wenn es nur eine lokale Nabelschau ist, würde man unter der Latte durchspringen." Zudem gehe es "um den nachhaltigen Effekt, dass die Stadt etwas zustande gebracht hat". In Marseille etwa seien die Leute bis zum Vorabend der Eröffnung skeptisch gewesen "und als dann 450.000 Menschen in den Straßen waren, wurde jahrelang davon gesprochen, wie gelungen das war". Und drittens "hat eine Kulturhauptstadt immer auch die Verpflichtung Unbekanntes, Neues, Zeitgenössisches, nicht Abgesichertes, Experimentelles zu fördern und auf den Weg zu bringen" anstatt nur auf Nummer sicher zu gehen. "Linz hat das Thema Nationalsozialismus angepackt. Dass hat nicht allen gefallen." Aber: "Das muss auch nicht allen gefallen, sondern da hat man was aufgemischt und aufgestöbert und in Bewegung gebracht und auch Hürden überwunden und vielleicht auch Kritik ausgelöst. Und das ist gut so."

(Das Gespräch führte Verena Leiss/APA)

Zur Person: Ulrich Fuchs ist Kulturmanager und Universitätslehrer, lebt und arbeitet in Marseille. Er war u.a. stellvertretender Intendant und Leiter der Projektentwicklung für die Kulturhauptstadt Linz09, stellvertretender Intendant der Kulturhauptstadt Marseille-Provence 2013 und von 2014 bis 2018 Mitglied und Vorsitzender der EU-Jury zur Auswahl, Begleitung und Evaluierung aktueller und künftiger europäischer Kulturhauptstädte. Für die Auswahl der österreichischen Kulturhauptstadt für 2024 war er nicht mehr zuständig.

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