Macron lässt Migrationsgesetz von Verfassungsrat prüfen
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will die Verfassungsmäßigkeit eines gerade erst beschlossenen und innerhalb seines Lagers umstrittenen Einwanderungsgesetzes prüfen lassen. "Der Präsident wird den Verfassungsrat anrufen und der Verfassungsrat wird sagen, wie es sich verhält", sagte Premierministerin Élisabeth Borne am Mittwoch in der Früh dem Sender France Inter in Paris. Das umstrittene Gesetz war am späten Dienstagabend vom Parlament beschlossen worden.
Der Beschluss erfolgte allerdings in einer unter Druck der konservativen Oppositionspartei Les Républicains deutlich verschärften Fassung. An einigen Punkten habe die Regierung verfassungsrechtliche Zweifel, sagte Borne.
Der französische Verfassungsrat überprüft ähnlich wie der österreichische Verfassungsgerichtshof Gesetze und Vorhaben auf ihre Rechtmäßigkeit. Wenn der Rat ein Gesetz vor dem Inkrafttreten auf seine Verfassungsmäßigkeit prüft, ergeht die Entscheidung binnen einer Frist von dreißig Tagen, in dringenden Fällen binnen acht Tagen. Wenn Macron den Verfassungsrat noch vor Weihnachten anruft, dürfte im Jänner klar sein, ob er das Gesetz in seiner jetzigen Form in Kraft setzen kann oder ob es nachgebessert werden muss.
Mit dem Vorhaben will die Regierung die Einwanderung stärker kontrollieren und die Integration verbessern. In Teilen des Regierungslagers sorgt das Gesetz für Unmut, einige der Abgeordneten stimmten im Parlament dagegen. Frankreichs Gesundheitsminister Aurélien Rousseau trat aus Protest gegen die vom Parlament beschlossene Verschärfung des Einwanderungsgesetzes zurück. Seine Nachfolge trete vorübergehend die beigeordnete Ministerin für Gesundheitsberufe, Agnès Firmin Le Bodo, an, teilte Regierungssprecher Olivier Véran am Mittwoch in Paris mit. Rousseau hatte das Amt erst fünf Monate inne.
Reguläre Migrantinnen und Migranten sollen laut dem neuen Migrationsgesetz Sozialleistungen wie Wohn-Zuschüsse oder Familiengeld erst später als bisher erhalten. Das Parlament soll über jährliche Immigrationsquoten debattieren. Zudem soll die unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande 2012 abgeschaffte Straftat des irregulären Aufenthalts wieder eingeführt werden. Auch sollen Doppelstaatler, die Straftaten gegen Ordnungskräfte begehen, die französische Nationalität verlieren. Eine der Kernmaßnahmen des Regierungsvorhabens, wonach bisher ohne Aufenthaltspapiere arbeitende Migranten in Berufen mit Personalmangel einen vorübergehenden Aufenthaltstitel bekommen sollen, wird zudem nur in deutlich eingeschränkter Form kommen.
Das Mitte-Lager von Macron hat in der französischen Nationalversammlung seit den Parlamentswahlen im Juni 2022 keine absolute Mehrheit mehr und ist für ihre Vorhaben daher auf Stimmen der Opposition angewiesen. Nachdem das linke Lager, die konservativen Républicains und das rechtsnationale Rassemblement National den Gesetzestext in der vergangenen Woche in der Nationalversammlung noch vor der Plenardebatte abgelehnt hatten, suchte die Mitte-Regierung in einer Kommission einen Kompromiss. Um sich die Zustimmung der Konservativen zu sichern, machte sie ihnen erhebliche Zugeständnisse. Widerstand kam daraufhin auch aus den eigenen Reihen.
Am Dienstagabend hatte zunächst der Senat, das Oberhaus des französischen Parlaments, grünes Licht für das Vorhaben gegeben. Die Zustimmung in der konservativ geprägten Kammer galt als gewiss. In der Nationalversammlung votierten letztlich 349 Abgeordnete für den Text, 186 stimmten dagegen. Unter den Gegenstimmen waren auch Abgeordnete des Macron-Lagers.
Das Abstimmungsverhalten in der Nationalversammlung dürfte am Mittwoch noch einmal genauer in den Blick genommen werden. Denn obgleich die rechtsnationale Marine Le Pen und ihr Rassemblement National das Gesetzesvorhaben vergangene Woche durchfallen ließen, stimmten die Abgeordneten nun für das Vorhaben - wie zuvor von Le Pen angekündigt.
Diese Ankündigung hatte das Macron-Lager unter Druck gesetzt. Es wollte nicht, dass das Gesetz nur mit Hilfe der Rechtsnationalen verabschiedet wird. Innenminister Gérald Darmanin betonte jedoch noch in der Nacht auf Mittwoch, der Text sei nicht nur dank der Stimmen des Rassemblement National angenommen worden. Die Mehrheit ohne Rechtsnationale sei groß gewesen.