Edtstadler pocht auf "Stabilität" nach Michel-Rückzug
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) pocht angesichts des angekündigten Rückzugs von EU-Ratspräsident Charles Michel auf "Stabilität und Handlungsfähigkeit" im Europäischen Rat. Die anstehenden EU-Topjobentscheidungen seien "ein besonderer Drahtseilakt", teilte Edtstadler der APA auf Anfrage mit. Die EU-Institutionen seien aber "in jedem Fall stark genug, um die anstehenden Personalfragen zu lösen, unabhängig von den letztendlich handelnden Personen", betonte sie.
Die EU-Ministerin ließ keine Freude an der Entscheidung Michels erkennen, seine bis November dauernde zweite und letzte Amtszeit zugunsten einer Kandidatur als Spitzenkandidat der belgischen Liberalen bei der Europawahl Anfang Juni vorzeitig zu beenden. "Die Hauptaufgabe des Präsidenten des Europäischen Rates ist es, zwischen den Mitgliedsstaaten zu vermitteln. Die Einigung auf ein Personalpaket ist dabei ein besonderer Drahtseilakt", so Edtstadler. "Es ist daher wichtig, dass die erforderliche Stabilität und Handlungsfähigkeit des Europäischen Rates in dieser Phase gewährleistet ist. Ob eine Kandidatur für das Europäische Parlament angesichts dieser Verantwortung richtig ist, muss Charles Michel selbst bewerten."
Michels Ankündigung hatte am Wochenende für großes Aufsehen in Brüssel gesorgt. Experten und EU-Diplomaten reagierten mit Unverständnis. Es wurde darauf hingewiesen, dass der abrupte Rückzug zu einer Übernahme der wichtigen Führungsfunktion durch den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán führen könnte. Ungarn hat nämlich im zweiten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft inne, doch bezieht sich diese nur auf die Fachministertagungen. Michel konterte die Kritik mit der Aussage, dass bei entsprechendem politischen Willen rechtzeitig eine Nachfolgeentscheidung getroffen werden könne.
Medien berichteten unter Berufung auf das Umfeld Michels, dass der belgische Liberale ein Amt in der EU-Kommission anstreben könnte. Kolportiert wurde auch eine mögliche Spitzenkandidatur für die europäischen Liberalen. Diese werden aber bei der Europawahl Mühe haben, ihre Position als drittstärkste Kraft im Europaparlament gegen die aufstrebenden rechtspopulistischen Parteien zu verteidigen. Nicht nur deshalb gilt es als wenig wahrscheinlich, dass Michel von den Staats- und Regierungschefs für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten vorgeschlagen wird. Die EU-Verträge verpflichten die EU-Chefs nämlich, bei der Nominierung das Ergebnis der Europawahl zu berücksichtigen. Seit 2004 ist der Spitzenposten in der Brüsseler Behörde in der Hand der Europäischen Volkspartei (EVP), der mit Abstand stärksten Kraft im Europaparlament.