Neue „Correctiv“ Enthüllungen

Rechtsextremes Treffen in Potsdam lässt weiter die Wogen hochgehen

Zahlreiche Demonstrierende vor der Nikolaikriche in Potsdam. In ganz Deutschland kam es zu zahlreichen Protesten gegen die rechten Umsturzphantasien
© IMAGO/Eberhard Thonfeld

Berichte über ein Treffen rechter Aktivisten mit Politikern von AfD und CDU in Potsdam haben heftige Reaktionen ausgelöst. Laut neusten Infos soll bei dem Treffen ein wissenschaftlicher Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten erklärt haben, wie durch das Parlament zu „Akten von Linksextremen“ kommen könnte.

Berlin – Eine Woche nach ersten Berichten über ein Treffen von rechten Aktivisten mit Politikern von AfD und CDU in Potsdam hat das Medienhaus Correctiv weitere Details enthüllt. Bei einer szenischen Lesung aus der investigativen Recherche im Berliner Ensemble machten die Journalisten neue Vorwürfe gegen einen der Teilnehmer publik. Es geht laut Correctiv um einen Mitarbeiter eines AfD-Bundestagsabgeordneten und um angebliche Aktionen gegen linke Aktivisten.

Der von Correctiv benannte Mann bestätigte der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage, dass er bei dem Potsdamer Treffen am 25. November anwesend gewesen sei und Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten sei. Er habe aber „an besagtem Tag in meiner Tätigkeit als freier Journalist gesprochen und lediglich am Rande erwähnt, Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten zu sein.“ Einzelne der neuen Vorwürfe aus der szenischen Lesung im Theater bestritt er.

20 bis 30 Personen in Potsdam

Die übrigen nun vor Publikum präsentierten Informationen sind seit voriger Woche bekannt. Zentraler Punkt: Der frühere Kopf der rechtsextremistischen Identitären Bewegung Österreichs, Martin Sellner, sprach bei dem Potsdamer Treffen im November nach eigenen Angaben über ein Konzept zur sogenannten Remigration. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang. Auch AfD-Politiker nutzen den Begriff in der Öffentlichkeit.

An dem Treffen hatten AfD-Funktionäre sowie einzelne Mitglieder der CDU und der erzkonservativen Werteunion teilgenommen, wie inzwischen von Beteiligten bestätigt ist. Laut Correctiv sollen 20 bis 30 Personen zusammengekommen sein. Zweck des Treffens soll auch gewesen sein, Spenden für rechte Aktivitäten zu sammeln.

❓ Was bedeutet Remigration

Immer wieder wird von Personen aus der extremen Rechten der Begriff Remigration verwendet. Von der sprachkritischen „Unwort“-Aktion wurde es am Montag in Marburg zum „Unwort des Jahres“ gekürt. „Das Wort ist in der Identitären Bewegung, in rechten Parteien sowie weiteren rechten bis rechtsextremen Gruppierungen zu einem Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte geworden“, so das Kollektiv. Diesen und andere etwa aus der Migrationsforschung stammenden Begriffe versuchen rechten Szene zu kapern, um damit Pläne zur Vertreibung von Zugewanderten zu kaschieren.

„Was wir Ihnen heute erzählen ist wahr“

Im Theater lasen Schauspieler die Ergebnisse der aufwendigen Recherche mit verteilten Rollen. Sie gruppierten sich, formell gekleidet, um eine weiß gedeckte Tafel auf der Bühne und schlüpften in die Rollen der diversen Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Dabei wurde etwas klarer, wie Correctiv an die Informationen gelangte. Unter anderem mietete das Medienhaus nach eigenen Angaben ein Saunaboot und fotografierte von dort aus mit einem Teleobjektiv die Villa. Zudem filmte eine Person mit einer Uhr im Inneren des Gebäudes. Die Journalisten bezogen sich des weiteren auf „Gedächtnisprotokolle“ von Teilnehmerinnen oder Teilnehmern.

„Was wir Ihnen heute erzählen, ist wahr“, versicherten die Schauspieler auf der Bühne. Einige Szenen waren nach ihren Worten aber auch teilweise „fiktionalisiert“ – der Kern der Aussagen sei so gefallen, nicht aber der gesamte Wortlaut. Sellner und andere Teilnehmer hatten vorige Woche einige Details aus der Recherche bestritten. Die AfD und die Werteunion haben die Bedeutung des Treffens heruntergespielt und Correctiv kritisiert.

Trotzdem ist die Wirkung enorm. Im ausverkauften Theater spendeten die Zuschauer minutenlang Applaus nach der Lesung, die auch in andere Theater und im Internet übertragen wurde. Aus dem Publikum gab es zudem Sprechchöre: „Alle zusammen gegen den Faschismus.“ Der Publizist Michel Friedman lobte die Recherche nach der Vorstellung als „großartige Leistung von freiem Journalismus“.

Wagenknecht hatte Kontakt zu Initiator von Radikalen-Treffen

Die Politikerin Sahra Wagenknecht hatte nach eigenen Angaben mehrmals Kontakt zum Veranstalter des Potsdamer Treffens radikaler Rechter, ohne dessen politischen Hintergrund zu kennen. „Der hat mir nette Mails geschrieben“, sagte Wagenknecht am Mittwochabend in der ZDF-Sendung Markus Lanz. „Der hat mir vor Jahren mal ein Abendessen mit einem linken deutschen Kabarettisten vermittelt. Also das heißt, ich war überhaupt nicht bösgläubig, dass der aus der rechten Szene kommt.“ Dies sei „so 2014, 2013“ gewesen. Laut Wagenknecht war der Mann dann auch bei dem Essen mit ihr und dem Kabarettisten in einem Restaurant dabei.

Es geht um einen ehemaligen Zahnarzt aus Düsseldorf, der nach Angaben des Medienhauses Correctiv auf Nachfrage bestätigt hatte, dass er „alleiniger Veranstalter“ des Treffens in einer Potsdamer Villa gewesen sei.

Die Politikerin betonte, sie habe bei ihrem Kontakt zu dem Mann „nicht im Traum auf rechtsradikale Hintergründe schließen“ können. „Ich mein', jetzt werd ich mit diesem Mann keinerlei Kontakte mehr haben. Aber wenn jemand sich so einführt, wenn jemand auf so 'ne Art Kontakt aufnimmt, dann erreicht er natürlich, dass man überhaupt nicht drüber nachdenkt, dass das ein Rechter ist.“

AfD-Verbot als Zankapfel

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner äußerte sich skeptisch. „Ich würde mir wünschen, dass es die AfD nicht gibt, aber ein Verbot sehe ich kritisch“, sagte der CDU-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte ebenfalls dem RND: „Ich bin gegen ein AfD-Verbot, weil es nicht reicht, den Rechtsextremismus auf dem Papier zu verbieten, sondern menschenverachtendes Gedankengut in den Köpfen bekämpft werden muss.“

Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz von der SPD sagte dagegen dem Rundfunk Berlin-Brandenburg: „Es reicht nicht festzustellen, dass die AfD in Teilen als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, sondern hier muss jetzt wirklich geprüft werden, ist diese Partei eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland.“

Habeck: AfD will aus Deutschland Staat wie Russland machen

Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck hat eindringlich vor der rechtspopulistischen AfD gewarnt. „Es geht den Rechtsautoritären um einen Angriff auf das Wesen der Republik“, sagte der Grüne Politiker dem Magazin Stern. „Sie wollen aus Deutschland einen Staat wie Russland machen.“ Darauf bereiteten sie sich systematisch vor.

Auf die Frage, ob er für oder gegen ein AfD-Verbot sei, sagte Habeck, dass über ein Verbot das Bundesverfassungsgericht entscheide. Die Hürden seien zu Recht sehr hoch, und der Schaden durch ein gescheitertes Verfahren wäre massiv.

Habeck betonte: „Sollte sicher nachgewiesen sein, dass eine Partei das Land in einen faschistischen Staat verwandeln will, gehört sie verboten, egal, wie stark sie ist. So oder so müssen die demokratischen Parteien die AfD politisch schlagen.“

Seit der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche haben Zehntausende in vielen Städten gegen Rechtsextremismus demonstriert. Am Mittwochabend kamen nach Angaben der Organisatoren in Freiburg 10.000 Menschen zusammen. Die Polizei ging von 6000 bis 7000 Leuten aus. In Berlin zogen der Polizei zufolge etwa 3500 Menschen vor das Rote Rathaus. (dpa, TT.com)

Scholz begrüßt Demonstrationen

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Demonstrationen in mehreren Orten Deutschlands gegen „Rassismus und Hetze“ begrüßt. „Ich bin dankbar, dass Zehntausende in diesen Tagen überall in Deutschland auf die Straße gehen - gegen Rassismus, Hetze und für unsere freiheitliche Demokratie“, schrieb er am Mittwoch auf der Plattform X. Das mache Mut und zeige: „Wir Demokratinnen und Demokraten sind viele - viel mehr als diejenigen, die spalten wollen“, fügte er hinzu.

Für die kommenden Tage sind weitere Kundgebungen unter anderem in Frankfurt geplant. Scholz hatte vergangenen Samstag selbst an einer solchen Kundgebung in Potsdam teilgenommen.

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