Außenpolitik Österreich

Fischler für Verkleinerung der EU-Kommission

Ex-Kommissar Fischler hat viele Reformideen für die EU
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Der frühere EU-Kommissar Franz Fischler hat sich für eine Verkleinerung der EU-Kommission nach der Europawahl ausgesprochen. "Ich wäre dafür, dass man den Vertrag anwendet", sagte er im APA-Interview mit Blick auf die ausgesetzte Bestimmung, wonach ein Drittel der Staaten keinen EU-Kommissar stellt. Dies würde die "nationalen Tendenzen" in der Brüsseler Behörde zurückdrängen, so Fischler, der sich auch für eine europaweit einheitliche Wahl mit gemeinsamen Listen aussprach.

Der seit dem Jahr 2009 geltende EU-Vertrag von Lissabon sieht ein gleichberechtigtes Rotationsprinzip bei der Besetzung der EU-Kommission vor. Demnach entspricht die Zahl der Kommissare jener von zwei Drittel der Mitgliedsstaaten. Fischler wies darauf hin, dass es zum Abgehen von diesem Prinzip einen einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs brauche. "Es ist bisher öffentlich kaum diskutiert worden, wie man das nächste Mal vorgeht. Aber es würde vieles dafürsprechen, dass man jetzt tatsächlich den Vertrag so wie er ist, anwendet", sagte der ÖVP-Politiker.

Er habe früher selbst die Position vertreten, "dass Europa in den Nationalstaaten ein Gesicht braucht", räumte Fischler ein. Dies sei zwar grundsätzlich richtig, könne aber auch anders organisiert werden, etwa durch eine Aufwertung der Europaparlamentarier, die derzeit auf nationaler Ebene "keine große Rolle spielen". Zudem würde eine Verkleinerung der EU-Kommission auch zwangsläufig dazu führen, dass sich die Mitgliedsstaaten besser koordinieren und stärker im Rat einbringen müssten.

Der frühere Landwirtschaftsminister Fischler verantwortete als erster österreichischer EU-Kommissar zwei Mandatsperioden lang die europäische Agrarpolitik und damit für lange Zeit den größten Brocken im Unionsbudget. Eine Verkleinerung der Kommission würde innerhalb der Brüsseler Behörde "die Notwendigkeit stärken, dass die Kommission das Gesamtinteresse der Europäischen Union vertritt". In der aktuellen EU-Kommission seien nämlich die nationalen Tendenzen stärker als in früheren Amtszeiten. Als Beispiel führte Fischler die Zusammensetzung der Kabinette der EU-Kommissare an. "Die sind wieder wesentlich nationaler geworden, und das ist schlecht."

Fischler sprach sich grundsätzlich dafür aus, das Reformpotenzial innerhalb des Lissabon-Vertrags auszuschöpfen. So sollte das Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen im Rat zurückgedrängt werden, im Gegenzug tritt er für Kompetenzverlagerungen auf die nationale Ebene - etwa im Bereich Regionalpolitik ein. Das EU-Parlament solle endlich zu einem "Vollparlament" mit eigenem Initiativrecht ausgebaut und die EU-Wahlordnung vereinheitlicht werden. Beim passiven Wahlalter gebe es derzeit nämlich Unterschiede von bis zu sieben Jahren. "Es sollte wirklich jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger zu den gleichen Bedingungen am politischen Prozess partizipieren können", forderte Fischler. Weiters soll auch die Listenerstellung "europäisiert" werden. "Funktionieren kann ein europäisches System nur, wenn es auch europäische Parteien gibt", sagte der frühere EU-Kommissar, der sich auch für die Einführung eines europäischen Passes aussprach.

Kritisch äußerte sich Fischler zu den derzeitigen Sanktionsmechanismen gegen EU-Staaten, die grundlegende Werte der Union verletzen. Das Artikel-7-Verfahren sei nämlich zur Gänze "auf politischen Entscheidungen aufgebaut, die noch dazu zum Teil einstimmig sein müssen". Dabei gehe es bei Rechtsstaatsverletzungen "eigentlich um Rechtsfragen". Daher würde er dafür plädieren, die Entscheidungskompetenz über einen tatsächlichen Ausschluss an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu übertragen. "Das würde auch eine enorme Objektivierung bedeuten", argumentierte Fischler. Freilich wäre dafür eine Vertragsänderung erforderlich, bei der dann auch "die potenziellen Kandidaten eines Verfahrens mitstimmen" müssten. Man dürfe bei Regelverstößen jedenfalls nicht ewig zuschauen und faule Kompromisse suchen, sagte er mit Blick auf Ungarn. "Dann ist das Risiko, dass andere auch auf solche Ideen kommen, im Wachsen."

Zur Verteilung der EU-Topjobs nach der Europawahl wollte Fischler keine Prognosen abgeben. So sei innerhalb der Europäischen Volkspartei (EVP) "noch lange nicht sicher, ob (die amtierende Kommissionspräsidentin Ursula) von der Leyen als Spitzenkandidatin aufgestellt wird". Fischler verwies diesbezüglich auch darauf, dass der französische Präsident Emmanuel Macron jüngst den italienischen Ex-Premier Mario Draghi als Kommissionspräsidenten forciert habe. Von der Leyen habe "im Großen und Ganzen eine gute Arbeit geleistet", dabei aber "zu viel Ankündigungspolitik" gemacht und wenig auf die Umsetzung gepocht, bilanzierte der ÖVP-Politiker.

Von der Europawahl wünscht sich Fischler, dass "die großen globalen Zukunftsthemen den Wahlkampf dominieren". "Die wahlwerbenden Gruppen müssen danach befragt werden, wie sie sich vorstellen, dass unsere Enkel auch noch eine lebenswerte Welt vorfinden", sagte er unter Verweis auf das Klimathema. Weitere wichtige Themen seien Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, aber auch Migration, doch sei diesbezüglich mit der jüngsten Einigung auf ein Asylpaket bereits ein "Riesenschritt gelungen", der nun auf seine Belastungsfähigkeit "abgetestet" werden müsse.

Große Verschiebungen erwartet Fischler nicht. Die europaskeptischen Parteien dürften bei der Europawahl zwar zulegen, "aber ihre Zuwächse sind nicht so exorbitant, dass das einen echten Wandel in Europa herbeiführt". Dieser könnte eher durch Regierungswechsel auf nationaler Ebene kommen. "Das halte ich für das größere Risiko. Man braucht sich nur vorstellen, Frau Le Pen würde nächste Präsidentin in Frankreich, was das dann für Folgen hätte."

Die laut Umfragen vergleichsweise große Europaskepsis in Österreich führte Fischler darauf zurück, "dass man zu Hause in Österreich selbst die Europapolitik nicht sehr ernst nimmt" und sich im Vergleich zu anderen Ländern wie Luxemburg auf EU-Ebene "zu wenig engagiert". Diese Kritik richte sich gegen Österreich im Allgemeinen "und die Europapartei ÖVP im Speziellen", sagte er auf Nachfrage. "Das lässt sich ja ändern", fügte er hinzu. Auf die Frage, ob er ÖVP-Spitzenkandidaten Reinhold Lopatka als würdigen Nachfolger von Othmar Karas ansehe, sagte Fischler: "Das glaube ich schon. Und ich glaube auch, dass er mit Karas gut zusammenarbeiten kann."

Fischler führte das geringe EU-Engagement der österreichischen Politik unter anderem auf "politische Beratungsleute" zurück, die meinten, dass man mit europäischen Themen keine nationale Wahl gewinnen könne. Als Beispiel für diesen Zustand nannte er die aktuelle ÖVP-interne Diskussion über eine Vorverlegung der Nationalratswahl. Diese Diskussion werde nämlich ausschließlich "danach bewertet, ob das national nützt. Was die Konsequenzen für die Europawahl sind, darüber wird gar nicht geredet", so Fischler. Er selbst sehe eine Vorverlegung der Nationalratswahl "skeptisch". Die FPÖ werde bei beiden Wahlen gut abschneiden. "Die Illusion braucht man nicht mehr zu haben, dass man auf diese Weise die Chancen für die FPÖ schmälert."

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

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