Endzeitoper „Lorit“ kommt nach Innsbruck: Mysterienspiel ohne Moral
Christina Constanze Polzer war bis 2023 im Schauspielensemble des Tiroler Landestheaters. Nun wagt sie den Rollenwechsel: Am 11. Februar debütiert sie mit der Endzeitoper „Lorit“ als Regisseurin in den Kammerspielen.
Bozen, Innsbruck – „Arg.“ So beschreibt Robert Prosser seinen Gefühlszustand. Der Alpbacher Autor hat gerade erlebt, wie seine Worte und Sätze, die „ausufernde Prosa“, die ihn bekannt machte, zum Klingen gebracht wurde. „Man gibt den Text aus der Hand, muss loslassen – und es entsteht etwas Neues, Starkes, Überwältigendes“, sagt er. Arg eben.
Das Publikum im ausverkauften Studio des Bozner Stadttheaters empfand es am Dienstagabend ähnlich. Die zeitgenössische Endzeitoper „Lorit“, der ein Libretto Prossers zu Grunde liegt, wurde kräftig beklatscht. Auch in Trient, wo das Werk am vergangenen Sonntag uraufgeführt wurde, waren die Reaktionen gut. Die Musik für „Lorit“ stammt vom 1993 in Innsbruck geborenen und in Klagenfurt aufgewachsenen Marius Binder. Er hat für die Alpenapokalypse eine, alles in allem, verblüffend zugängliche, mitunter effektvolle Collage aus Volksmusik, Folkloristischem und freitonalen Formen komponiert. Er habe nach einem „Tiroler Volksklang“ gesucht, sagt Binder. Der knarzt und kracht manchmal eben. Und bisweilen will er selig schunkeln. Es gibt Anklänge an Sakralmusik – und den einen oder andere „Après-Ski“-Hit.
„Lorit“ spielt in, das darf befürchtet werden, nicht allzu ferner Zukunft: Fünf allegorisch überhöhte Figuren fahren Lift – das Volk, der Gottvater der Seilbahnen, die Schöne Landschaft, der Fremdenverkehr und die Letzte Generation. Das Weltklima ist gekippt. Und das Wetter wehrt sich. Der Ausnahmezustand ist Alltag – und der sollte sich schleunigst ändern, wenn es irgendwie weitergehen soll.
„Wir wollen der Gegenwart den Spiegel vorhalten, Fragen stellen, Finger in Wunden stecken, Widersprüche aufzeigen, ohne anzuklagen. Vielmehr versuchen wir, unser Staunen über die Zeit in Töne und Bilder zu übersetzen. Für mich ist ‚Lorit‘ ein Mysterienspiel ohne eindeutige Moral.“ So fasst Christina Constanze Polzer ihre Intention zusammen.
4. Fringe-Opernwettbewerb gewonnen
Die Schauspielerin war bis zum Ende der vergangenen Spielzeit Ensemblemitglied am Tiroler Landestheater. Ihr Vertrag wurde nach dem Intendantenwechsel nicht verlängert. „Das gehört dazu“, sagt die 28-Jährige. Sie hatte die Idee zu „Lorit“.
Zufällig hat sie vom Fringe-Opernwettbewerb erfahren. Den richtet die Haydn-Stiftung samt dazugehörigem Orchester zum mittlerweile vierten Mal aus. Neben Theatern in Trient und Bozen ist nun erstmals auch das Tiroler Landestheater Kooperationspartner. Am 11. Februar kommt „Lorit“ in den Kammerspielen zur Österreichischen Erstaufführung.
„Ich kannte den Wettbewerb gar nicht – und dachte mir, warum nicht? Ich habe Marius Binder angerufen – und gefragt, ob er eine Oper komponieren will“, sagt Polzer. Binder und sie kennen sich seit der Schulzeit. Er sagte zu, holte den Dirigenten Christoph Huber dazu. Polzer brachte Robert Prosser ins Spiel. Eines führte zum anderen. „Als wir das Konzept für die Inszenierung einreichen mussten, gab es noch keine einzige Note, keine Zeile Text. Alles andere ist in den vergangenen sechs Monaten entstanden“, sagt Polzer. Das Konzept überzeugte die Jury. In den vergangenen Wochen nahm „Lorit“ Gestalt an. 40.000 Euro standen dafür zur Verfügung.
Die Endzeitoper ist Polzers erste Regiearbeit im Musiktheater. „Inszenieren war immer ein langfristiges Ziel. Dass es jetzt so schnell ging, ist ein großes Glück – und eine Herausforderung“, sagt sie. Dirigent Christoph Huber, er arbeitet regelmäßig an größeren Häusern, lobt die Debütantin: „Sie hat musikalisches Gespür, große Neugier und arbeitet immer auf Augenhöhe mit dem Team: Das ist leider nicht alltäglich.“
Mit feinen Ideen und klarer Figurenführung wartet Polzers „Lorit“ tatsächlich auf: eine Kammeroper als Kammerspiel, in einer Gondel (Bühne und Kostüm: Julia Neuhold) werden die Phasen und Phrasen von Verzweiflung und leiser Hoffnung an- und durchgespielt. Etwaiger Kitsch wird buchstäblich körperlich angegangen. Das Ensemble (Jubin Amiri, Laura Schneiderhan, Manuel Ried, Milena Pumberger und Bernhard Wolf – in einer lange schweigsamen Sprechrolle) überzeugt auch darstellerisch.
Lorit. Eine Endzeitoper.
Von Marius Binder (Musik) und Robert Prosser (Libretto)
Mit Bernhard Wolf, Jubin Amiri, Laura Schneiderhan, Manuel Ried und Milena Pumberger.
Musikalische Leitung: Christoph Huber
Regie: Christina Constanze Polzer
Am 11. Februar, 19.30 Uhr, in den Innsbrucker Kammerspielen.