Kritiker sprachen von Folter

„Grausamer Tod“: US-Häftling erstmals mit Stickstoffgas hingerichtet

(Symbolfoto)
© AFP/Paul Buck

Menschenrechtsexperten warnten vor einem möglicherweise grausamen Tod für Kenneth Smith. Seine Anwälte zogen bis vor den Supreme Court, um seine Hinrichtung zu stoppen. Erfolglos. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Mann Leid und Schmerz ertragen musste.

Montgomery, Genf, Brüssel – In den USA ist erstmals ein zum Tode verurteilter Mensch mit einer Stickstoff-Methode hingerichtet worden. Der wegen Mordes verurteilte 58 Jahre alte Kenneth Eugene Smith wurde am Donnerstagabend (Ortszeit) in einem Gefängnis im Staat Alabama mittels sogenannter Stickstoffhypoxie exekutiert, wie Alabamas Justizminister Steve Marshall im Anschluss mitteilte. Die Hinrichtungsmethode sei nicht nur in den USA, sondern weltweit erstmals zum Einsatz gekommen, erklärte Marshall.

Bei der Prozedur bekommt der Betroffene über eine Gesichtsmaske Stickstoff zugeführt – die Folge ist der Tod durch Sauerstoffmangel. Menschenrechtsexperten hatten im Voraus beklagt, die Methode sei ungetestet und Smith könnte einen grausamen Tod sterben, der womöglich Folter gleichkomme. Alle Versuche seiner Anwälte, die Exekution aufzuhalten, waren jedoch erfolglos.

Nach 22 Minuten tot

Hingerichtet wurde Smith in einem Gefängnis in der kleinen Stadt Atmore in dem Südstaat der USA. Nach Angaben von Marshall dauerte die Prozedur weniger als 30 Minuten. Bei der Exekution waren nur wenige Medienvertreter als Beobachter zugelassen, darunter eine Reporterin des regionalen Fernsehsenders WHNT. Ihr zufolge sagte Smith kurz vor seinem Tod: "Heute Abend hat Alabama die Menschheit dazu gebracht, einen Schritt zurück zu machen." Und weiter: "Ich gehe mit Liebe, Frieden und Licht."

Die Reporterin berichtete weiter, mit dem Start der Stickstoffzufuhr habe Smith begonnen, sich zu winden und zu zittern. Mehrere Minuten lang habe er schwer geatmet, bevor schließlich keine Atemzüge mehr zu beobachten gewesen seien.

Ein Vertreter der zuständigen Strafvollzugsbehörde sagte, Smith habe zum Teil gezuckt und abnormal geatmet. Aber das sei erwartet worden und entspreche dem Forschungsstand zu Stickstoffhypoxie.

Dass die Inhalation von reinem Stickstoff keine schwerwiegenden Leiden verursacht, halten Experten der Vereinten Nationen allerdings für nicht wissenschaftlich bewiesen. Sie hatten gravierende Bedenken angemeldet, ebenso wie verschiedene Menschenrechtsorganisationen.

Demonstrationen erfolglos

Smiths Anwälte hatten bis zuletzt versucht, die Hinrichtung zu stoppen. Doch weder die zuständigen Gerichte in Alabama noch der Oberste US-Gerichtshof waren ihren Gesuchen gefolgt. Demonstranten hatten in den vergangenen Tagen auch die Gouverneurin von Alabama, Kay Ivey, aufgefordert, noch zu intervenieren – auch das vergeblich.

Alabamas Justizminister Marshall tat all das als Druckkampagnen von Aktivisten ab, die die Todesstrafe ablehnten und ignorierten, dass die neue Methode "human und effektiv" sei. "Alabama hat etwas Historisches erreicht", verkündete er. Trotz der internationalen Bemühungen von Aktivisten, das Justizsystem zu untergraben und Opfern abscheulicher Morde die ihnen zustehende Gerechtigkeit zu verweigern, biete Alabamas "bewährte Methode" nun eine Blaupause für andere Staaten.

Erster Hinrichtungsversuch scheiterte

Die Geschichte des Falls Smith reicht weit zurück: 1988 hatte sich der damals 22-Jährige im Gegenzug für die Zahlung von 1000 US-Dollar auf einen Auftragsmord eingelassen. Opfer war die Ehefrau des Auftraggebers, der sich eine Woche nach der Tat selbst das Leben nahm. Smith und zwei Mittäter wurden gefasst – einer bekam eine lebenslange Haftstrafe, der andere wurde 2010 mittels Giftspritze hingerichtet.

Smith hatte im Prozess gegen ihn zwar zugegeben, er sei bei der Tat anwesend gewesen. Er beteuerte aber, sich an der tödlichen Attacke selbst nicht beteiligt zu haben. Nach einem Berufungsverfahren sahen die Geschworenen 1996 eigentlich eine lebenslange Haftstrafe für ihn vor, doch der zuständige Richter setzte sich damals darüber hinweg. Das Gesetz, das dies erlaubte, schaffte Alabama erst 2017 ab – als letzter US-Staat.

Eigentlich sollte Smith bereits 2022 hingerichtet werden – ebenfalls per Giftspritze. Dem Gefängnispersonal gelang es damals aber nicht, die dafür nötige Kanüle in seinen Arm zu legen. Nach mehreren Stunden, in denen er angeschnallt auf dem Exekutionstisch lag, wurde er wieder in seine Zelle gebracht. Nach jenem ersten Hinrichtungsversuch wurde Smith eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert.

Weder den gescheiterten Versuch noch die Bedenken mit Blick auf die neue Methode werteten Gerichte jedoch als ausreichend, um die Stickstoff-Hinrichtung zu stoppen. Smiths Anwälte scheiterten mit verschiedenen Anträgen vor mehreren Gerichten bis hin zum Obersten Gerichtshof des Landes. Der Supreme Court wies noch in letzter Minute am Donnerstagabend einen weiteren Eilantrag ab. Der Beginn der Hinrichtung verzögerte sich, weil die Verantwortlichen auf eben diese Entscheidung warteten. Doch auch der letzte juristische Rettungsversuch von Smiths Anwälten scheiterte. Sie hatten argumentiert, dass er zu einer Art Testkandidat würde und noch viel zu viele Fragen zu dem neuartigen Prozedere offen seien.

Erregte internationale Aufmerksamkeit

Der Fall erregte in den vergangenen Wochen über die Grenzen der USA hinweg große Aufmerksamkeit erregt. Smith selbst hatte nur wenige Tage vor seiner Hinrichtung aus dem Gefängnis mit Reportern der britischen Zeitung Guardian telefoniert und berichtet, er sei von Albträumen geplagt, die davon handelten, in die Hinrichtungskammer zurückkehren zu müssen. "Dafür bin ich nicht bereit", sagte er demnach. "Auf keinen Fall. Ich bin einfach nicht bereit."

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drückte seitens der Europäischen Union sein tiefes Bedauern über die Exekution Eugene Smiths aus. Die EU sei entschieden gegen die Todesstrafe, die "letztlich eine Verleugnung der Menschenwürde" sei. Hinsichtlich der Stickstoffmethode verwies Borrell am Freitag in einer Aussendung auf die Expertenmeinungen, wonach es sich um eine "außergewöhnlich grausame (...) Bestrafung" handle.

UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk erneuerte in Reaktion auf die Hinrichtung die Kritik der Vereinten Nationen: Die neuartige und unerprobte Methode des Erstickens durch Stickstoffgas könne womöglich "Folter oder einer grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkommen".

Das österreichische Außenministerium schrieb auf X: "Wir sind entschieden gegen die Hinrichtung durch den Staat Alabama letzte Nacht, bei der Stickstoffgas verwendet wurde, und verurteilen sie. Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche Strafe, die der Menschenwürde widerspricht. Die weltweite Abschaffung der Todesstrafe bleibt eine Priorität der österreichischen Außenpolitik."

Sohn von Mordopfer reagierte

Angehörige der Frau, die 1988 bei dem Auftragsmord getötet worden war, hatten mit Unverständnis auf die Debatte über Smiths mögliches Leiden reagiert. Ihr Sohn sagte dem Sender WAAY vor der Hinrichtung: "Einige dieser Leute da draußen sagen, er solle nicht so leiden." Doch seine Mutter habe auch leiden müssen. "Sie haben einfach auf sie eingestochen – mehrere Male."

Die Todesstrafe gibt es in den USA heute noch beim Militär, auf Bundesebene sowie in 27 Staaten, wobei sie in mehreren davon de facto nicht mehr vollstreckt wird. Die zugelassenen Methoden variieren von Staat zu Staat. Die mit Abstand am häufigsten angewandte Methode ist heutzutage die Exekution mit der Giftspritze. Stickstoffhypoxie ist außer in Alabama nur in Oklahoma und Mississippi erlaubt. Eingesetzt wurde die Methode dort bisher nie. (APA, dpa)

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