Kultur Österreich

Festwochen: Currentzis und Lyniv dirigieren Antikriegswerke

Milo Rau nimmt die nächsten zwei Musiktheaterprojekte ins Visier
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Milo Rau, neuer Intendant der Wiener Festwochen, hat die nächsten Projekte seiner ersten Festivalausgabe bekanntgegeben, bevor am 1. März das vollständige Programm veröffentlicht wird. Und die Vorhaben haben es in sich: Im Konzerthaus wird das Requiem "Babyn Yar" des Ukrainers Jevhen Stankovych erklingen - unter Dirigat von Shootingstar Oksana Lyniv. Im Burgtheater indes wird Benjamin Brittens "War Requiem" intoniert - vom umstrittenen Teodor Currentzis.

Somit werden die monumentalen Antikriegswerke, die zwischen 150 und 200 Personen auf der Bühne erfordern, von Lyniv als einem der Aushängeschilder der ukrainischen Kultur und Currentzis als greco-russischem Dirigenten geleitet, der sich bis dato öffentlich nicht dezidiert gegen Wladimir Putins Angriffskrieg geäußert hat. Der naheliegenden Diskussion wolle man gar nicht ausweichen, machte Milo Rau im APA-Gespräch klar, im Gegenteil: "Wenn wir die Wiener Festwochen wieder etablieren wollen als Ort, an dem wir auch strukturell über die Dinge nachdenken, dann ist es folgerichtig, Currentzis einzuladen in dieser Gleichzeitigkeit."

Beide Künstler seien dazu bereit, auch wenn sie natürlich ihre Distanz hätten, was vollkommen legitim sei. Es gehe nicht um ein "Doppel-Requiem", der Zusammenhang entstehe aus der gemeinsamen Plattform heraus. "Aber wir verwickeln beide nicht in ein gemeinsames Statement oder eine Zwangspartnerschaft", machte Rau deutlich und stellte zugleich fest: "Nur Currentzis alleine zu bringen, das fände ich ein bisschen fragwürdig. Ich glaube nicht, dass man Kunst jenseits vom Kontext, wer sie macht und wie sie entsteht, rezipieren kann. Da belügt man sich selbst." Er selbst sei aber auch niemand, der Menschen wie Teodor Currentzis eine öffentliche Positionierung abverlange: "Den Bekenntniswahn, den wollen wir gar nicht."

"Wären wir eine schwache, feige Institution, würden wir sagen: Currentzis bringt zu viele unkontrollierbare Diskussionen." Da man das aber nicht sei, gibt es flankierende Gesprächsformate etwa zu Fragen des Boykotts in der Kunst. "Es kann dann auch das Ergebnis sein, dass wir im Jahr darauf solch einen 'Fall' anders betrachten. Für mich ist die erste Ausgabe aber auch eine der Widersprüche und des Auslotens."

In jedem Falle sind beide nun bekannt gegebenen Werke, deren Vorverkauf am heutigen Donnerstag startet, zwei markante Beispiele für Arbeiten, die sich musikalisch mit den Themen Krieg und Massenmord auseinandersetzen. Am 2. Juni erklingt Stankovychs Kaddish Requiem "Babyn Yar", das auf das Massaker der Nazi-Besatzer an rund 33.000 ukrainischen Jüdinnen und Juden 1941 in der gleichnamigen Schlucht nahe Kiew Bezug nimmt und gesprochene Sprache, Tenor, Bass, Chor und Orchester kombiniert, im Konzerthaus. Lyniv leitet das Kyiv Symphony Orchestra bei dem Werk, das in seiner jetzigen Fassung 2016 uraufgeführt wurde. Zehn Tage später, am 12. Juni, führt Currentzis sein SWR Symphonieorchester, den London Symphony Chorus und die Wiener Sängerknaben im Burgtheater durch Brittens ganz auf Versöhnung zielendes, ökumenisches Werk, das 1962 erstmals erklang und die lateinischen Texte der Totenmesse mit Gedichten von Wilfred Owen verknüpft.

Dass sich unter den bis dato bereits bekannten Vorhaben der ersten Festwochen unter Milo Rau nun primär musikalische Vorhaben finden, sei durchaus auch als Statement zu verstehen, unterstrich der 47-jährige Intendant. "Für mich waren die Wiener Festwochen eigentlich immer ein Festival der Musik, bis es dann eine Wende gab", verwies Rau auf das Aufkünden der Kooperation mit Musikverein und Konzerthaus unter seinem Vorvorgänger Tomas Zierhofer-Kin. Er strecke nun wieder erste Fühler in Richtung der beiden Musikinstitutionen aus.

Zu den musikalischen Projekten, die von Rau bereits in seinem ersten Jahr massiv vorangetrieben werden, gehört bekanntermaßen auch die Akademie der Zweiten Wiener Moderne, mit der man Komponistinnen vor den Vorhang holen will. Rund 170 Bewerbungen aus knapp 50 Ländern gab es für das Projekt, aus denen am Dienstag kommender Woche in New York die zehn Auserwählten für 2024 präsentiert werden, darunter auch so etablierte Künstlerinnen wie die gebürtige Chinesin Du Yun. Alljährlich soll es hier auch Uraufführungen mit Werken der betreffenden Tonsetzerinnen geben. "Wir müssen mit gutem Beispiel vorausgehen, sonst haben wir nur eine Diskursplattform mehr, was ja nicht der Sinn sein kann", betonte Rau.

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