Wegen Disziplinarstrafe

Bundes-ÖVP ortet „Anschein der Befangenheit" beim Richter im Kurz-Prozess

Der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz (li) und Richter Michael Radasztics (im Hintergrund).
© APA/Fohringer

Wegen einer Disziplinarstrafe für die Weitergabe einer Information an Peter Pilz in seiner Zeit als Staatsanwalt, ortet ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker einen „Anschein der Befangenheit" beim Richter Michael Radasztics.

Wien – Nachdem am Dienstag bekannt wurde, dass der Richter im Falschaussage-Prozess gegen Sebastian Kurz, Michael Radasztics, im Mai 2023 zu einer Disziplinarstrafe verurteilt wurde, die Entscheidung aber erst am Montag im Rechtsinformationssystem (RIS) aufschien, rückte am Mittwoch ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker mit Kritik an ihm aus. Er ortet einen „Anschein der Befangenheit", der von zweiter Instanz – das Urteil gegen Kurz ist nicht rechtskräftig – geklärt werden soll.

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Gleich zu Beginn seiner eilig einberufenen Pressekonferenz stellte Stocker klar, dass „die folgenden Aussagen nicht als Kritik an der Justiz im Allgemeinen und der Rechtssprechung im Speziellen" zu verstehen seien. Er stellte die Frage in den Raum, ob Radasticzs die Öffentlichkeit über den Diziplinarentscheid informieren hätte müssen. „Wahrscheinlich nicht. Hätte er sollen? Meiner Meinung nach schon."

Kurz wollte einen Richterwechsel

Denn die Disziplinarstrafe stehe in direktem Zusammenhang mit der Befangenheitsanzeige, die Kurz' Verteidigung gleich am ersten von über zehn Verhandlungstagen, an deren Ende am Freitag letztlich eine achtmonatige bedingte Haftstrafe für den Ex-Kanzler stand, einbrachte. Kurz wollte einen Richterwechsel, da Radasztics aufgrund angeblicher Kontakte zum ehemaligen Grün-Abgeordneten Peter Pilz nicht objektiv sei. Es gebe weder eine persönliche Beziehung noch ein Vertrauensverhältnis zu Pilz, entgegnete dem der Richter im Oktober.

Tatsächlich war die Strafe zu Prozessbeginn schon mehrere Monate alt. Radasztics wurde in zwei Sachverhalten disziplinarrechtlich verurteilt, beide gehen auf seine Zeit als Staatsanwalt zurück. Er ermittelte ursprünglich gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und betreute dann bis 2019 jahrelang das Eurofighter-Verfahren. Einerseits hat er Grasser nicht über ein abgebrochenes Ermittlungsverfahren gegen ihn informiert, andererseits teilte er dem damaligen Nationalratsabgeordneten Peter Pilz die Existenz einer Weisung im Eurofighter-Akt mit, so das Urteil des OLG Graz.

Hätte das Verfahren einen anderen Verlauf genommen, wenn man das vor Prozessbeginn gewusst hätte?
Christian Stocker, ÖVP-Generalsekretär

Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts Wien, widerspricht den Ausführungen Stockers klar: „Das ist natürlich Teil einer PR-Litigation die hier stattfindet um die Person des Richters anzugreifen", sagte er gegenüber dem „Ö1-Mittagsjournal". Und weiter: „Hier werden Äpfel mit Birnen vermischt, das Disziplinarverfahren hat überhaupt nichts mit der Führung des aktuellen Verfahrens gegen den ehemaligen Bundeskanzler Kurz zu tun". Dass die Entscheidung erst am Montag – just drei Tage nach dem Urteil gegen Kurz und Bonelli – veröffentlicht wurde, sei laut OLG Graz Zufall, die Anonymisierung habe viel Zeit in Anspruch genommen.

Grüne und SPÖ: Zurufe aus der Politik an Justiz unterlassen

Die Grünen und die SPÖ richteten Stocker indes aus, „Zurufe aus der Politik an die unabhängige Justiz" zu unterlassen. „Verschwörungstheoretische Pressekonferenzen" kenne man eigentlich nur von den Freiheitlichen, und auch davon sei jede einzelne zu viel, sagt die grüne Generalsekretärin Olga Voglauer in einer Aussendung. Und weiter: „Der ÖVP-Generalsekretär sagt, es geht ihm darum Zweifel an der Justiz zu verhindern, dabei streut er diese selber indem er disziplinarrechtliche Angelegenheiten und Strafverfahren unredlich vermischt und Zusammenhänge konstruiert, die nicht gegeben sind. Als Rechtsanwalt sollte Christian Stocker das besser wissen". Jan Krainer (SPÖ) befand, die ÖVP würde „in ihrem blinden Eifer, mit dem sie Kurz und das System Kurz verteidigt, die Fundamente der Republik untergraben".

Nun stelle sich Stocker die Frage: „Hätte das Verfahren einen anderen Verlauf genommen, wenn man das vor Prozessbeginn gewusst hätte?" Jedenfalls erwecke Radasztics' Verhalten „den Anschein von Befangenheit. (...) Es macht einen Unterschied, ob das zu Beginn transparent offengelegt wird, oder es die zweite Instanz klären muss". Und von letzterem geht Stocker aus. Kurz' Anwalt Otto Dietrich gab ebenso wie Bernhard Bonellis Anwalt Werner Suppan direkt im Anschluss an den Urteilsspruch bekannt, Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe einzubringen. Damit muss sich nun das OLG befassen. (APA)

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