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„Die Spielzeit ist unwesentlich“

Kinder müssen den Umgang mit digitalen Medien und Computerspielen von den Eltern lernen.
© Privat

Viele Kinder und Jugendliche zocken mit Computerspielen, wenige verfallen den digitalen Drogen. Kinder- und Jugendpsychiater Martin Fuchs im Interview.

Die Forschung zu Computerspielsucht hat vor 30 Jahren begonnen. Seither hat sich viel verändert …

Martin Fuchs: Tatsächlich hat die Forschung mit der Einführung des Internets angefangen. Seit rund 20 Jahren beobachten wir, wie die Gamingindustrie an der Immersion, also der Verschmelzung von digitalen und realen Inhalten arbeitet. Der Game Boy, das waren irgendwelche Pixel in dunkelgrau und schwarz. Die Erfahrung war nicht so intensiv, wie das jetzt, 30 Jahre später, z.B. mit dem VR Headset von Apple ist. Es gibt erste Videos von Menschen mit dieser VR Brille, die mit der Hand Gesten in die Luft malend arbeiten. Das wirkt heute bizarr, vielleicht gewöhnen wir uns alle daran. Für vulnerable Menschen ist diese Verschmelzung von Wirklichkeit und Virtualität aber möglicherweise schwierig.

Unterscheidet sich Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen von der bei Erwachsenen?

Fuchs: Kleine Kinder haben sehr wenige kognitive Möglichkeiten, sich zu regulieren. Sie fallen besonders leicht auf Tricks der Computerspiele-Industrie herein. Wenn man einem Vierjährigen ein entsprechendes Gerät in die Hand gibt, wird er wahrscheinlich bis zur Erschöpfung damit spielen, weil die Belohnungssysteme so stark getriggert werden können. Es ist die Aufgabe der Eltern, Regeln einzuführen. Die US-Fachgesellschaft der KinderärztInnen empfiehlt beispielsweise, dass Kinder bis drei Jahre gar keine digitalen Geräte in die Hand bekommen sollten. Jugendliche sind wiederum in einer besonders vulnerablen Phase, weil sich in der Zeit die belohnungsversprechenden, lustbetonten Anteile des Gehirns viel schneller entwickeln als der präfrontale Cortex und sie sich daher schlechter kontrollieren können. Das ist das Wesen der Pubertät.

„Kleine Kinder haben sehr wenige kognitive Möglichkeiten, sich zu regulieren. Sie fallen leicht auf die Tricks der Computerspiele-Industrie herein.“

Martin Fuchs

Was raten Sie den Eltern?

Fuchs: Alle professionellen Ratschläge zielen darauf ab, dass es von Anfang an Regeln und Grenzen braucht. Das muss man als Eltern auch aushalten. Zugleich sollen die Regeln nicht zu restriktiv sein. Wenn alle Kinder eine Konsole haben, dann muss man sich nicht als einzige Eltern querstellen. Unser übergeordnetes Ziel sollte es sein, dass Kinder Selbstkontrolle lernen und Medienkompetenz erwerben, und das schon weit vor dem 18. Geburtstag. Es gibt dazu Ratgebermaterial, ich kann z.B. die Safer Internet Initiative (saferinternet.at) sehr empfehlen.

Nicht alle werden süchtig …

Fuchs: Für viele junge Menschen ist Gamen ein Hobby, mehr als drei Milliarden Menschen weltweit spielen Computerspiele. Um beim Schach oder im Fußball gut zu werden, muss man auch viele Stunden trainieren. Es ist auch bekannt, dass viele ChirurgInnen, die heute minimalinvasiv operieren, als Jugendliche fanatische Gamer waren. Die Störung beginnt dort, wo Entwicklungsaufgaben im wirklichen Leben zu kurz kommen: Die Schulnoten werden schlechter, das Kind hat Schlafstörungen, isoliert sich oder vernachlässigt andere Freizeitaktivitäten.

Welche Risikofaktoren gibt es?

Fuchs: Wir sprechen von einer Sucht-Trias. Dieses Modell spannt sich zwischen drei Polen auf. Da sind zunächst einmal die Merkmale des Spiels selbst. Es gibt Spiele, die eher süchtig machen können als andere. Dann gibt es Merkmale, die Menschen selber mitbringen, z.B. genetische Charakteristika, wie eine Suchtveranlagung oder Depression, aber auch lebensgeschichtliche Merkmale. Hat der oder die Betroffene erlebt, dass er/sie sich mit digitalen Medien beruhigen kann, wenn sich die Eltern streiten? Der dritte Bereich betrifft das soziale Umfeld. Das ist das große Feld, wie Familien mit digitalen Medien und Spielen umgehen. Wenn in allen drei Ebenen Risikofaktoren zusammenkommen, ist es wahrscheinlich, dass Sucht entsteht.

Ist die Zeit, die ins Spiel investiert wird, ein Faktor für Sucht?

Fuchs: Gegenfrage: Ab wie vielen Stunden ist man klavierspielsüchtig oder fußballspielsüchtig? Die Spielzeit ist eine relativ unwesentliche Information. Das stößt Eltern zunächst vor den Kopf. Ein neues Spiel darf und soll aber vorübergehend intensiv benutzt werden, ähnlich wie bei anderen Hobbys. Die Grenze zur Störung ist eben die Frage, ob das problematische Spielverhalten anhält und Probleme bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben auslöst.

Die WHO hat Computerspielsucht unlängst als Diagnose anerkannt. Heißt das, dass Computerspielsucht zunimmt?

Fuchs: Es gibt Studien, die zeigen, dass es während der Pandemie zu einer deutlichen Zunahme gekommen ist und die Zahlen nur langsam wieder zurückgehen. Letztlich handelt es sich aber um eine kleine Gruppe von etwa zwei bis drei Prozent der Kinder und Jugendlichen, die Suchtkriterien aufweisen, das spielt nicht die Hauptrolle bei uns im Klinikalltag. Dass die WHO Computerspielsucht in den Diagnosekatalog ICD-11 aufgenommen hat, zeigt dennoch, wie relevant das Thema ist und, dass wir es künftig auf dem Schirm haben müssen.

Das Gespräch führte Theresa Mair

Woche des Gehirns

Martin Fuchs ist seit zehn Jahren an der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie als Mediziner, Psychotherapeut und Forscher tätig. Am 12. März wird er im Rahmen der Woche des Gehirns im großen Hörsaal der Med Uni Innsbruck zum Thema „Digitale Drogen: Wie Smartphone und Spielkonsole süchtig machen“ sprechen.

Die mentale Gesundheit steht heuer im Fokus der Woche des Gehirns: In fünf allgemeinverständlichen Vorträgen (11. bis 15. März, immer ab 18:30 Uhr, Großer Hörsaal, Fritz-Pregl-Str. 3, Innsbruck) wird es u.a. um Angsterkrankungen, Schizophrenie und halluzinogene Substanzen in der Therapie gehen. Eintritt frei. Programm und Livestream: www.i-med.ac.at/gehirn

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