Streit um Klimaplan

Wie Österreich die EU-Klimaziele klar erreichen kann

Eine Temporeduktion auf Österreichs Straßen gehört zu den laut WissenschafterInnen hoch effektiven Maßnahmen zur Reduktion der CO2-Emissionen.
© Thomas Böhm

Mit einer „breiten Palette hoch empfehlenswerter Maßnahmen“ kann Österreich die EU-Klimaziele klar erreichen, da sind sich WissenschafterInnen einig. Doch die Maßnahmen sind nicht immer populär.

Wien – Beim Thema Nationaler Energie- und Klimaplan (NEKP) sind die Fronten in der türkis-grünen Bundesregierung weiterhin verhärtet. Während ÖVP und Grüne um eine Einigung ringen, wurden Vorschläge zur Verbesserung des Plans von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern bewertet: Der Plan des Umweltministeriums erfüllt die EU-Vorgaben zur Reduktion der CO2-Emissionen nicht, daher war öffentlich zu Verbesserungsvorschlägen aufgerufen worden.

Ein Team von 55 Forschenden um das Climate Change Center Austria (CCCA) bewertete nun die eingereichten Maßnahmen. „Sie bieten eine gute Basis, um die Lücke der Emissionsreduktion zu schließen“, resümierte der Grazer Klimaforscher Karl Steininger am Mittwoch bei einem Medientermin in Wien.

„Eine breite Palette hoch empfehlenswerter weiterer Maßnahmen liegt nun bewertet am Tisch“, so Steininger, der am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz forscht: „Mit der Umsetzung eines ausreichend großen Anteils daraus kann Österreich seine Klimaziele klar erreichen.“

Die Maßnahmen

VERKEHR: Unter den Maßnahmen findet sich etwa eine Temporeduktion auf Österreichs Straßen auf 100, 80 und 30 Stundenkilometer auf Autobahnen, Freilandstraßen und im Ortsgebiet, die die Wissenschafter als hoch effektiv einordneten. Damit wäre nicht nur eine formidable Reduktion der Treibhausgasemissionen aus dem Verkehr möglich, sondern es gäbe auch um 28 Prozent weniger Verkehrstote, so die Prognose.

ENERGIE: Ein verstärkter Ausbau der Stromerzeugung durch Sonnen- und Windenergie wäre ebenfalls sehr wirksam, so wie eine Dekarbonisierung der Fernwärme, berichtete Keywan Riahi vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse – IIASA in Laxenburg (NÖ). Bei der Müllverbrennung sollte man das entstehende CO2 „einfangen“ und speichern. In Gebäuden sollten öfter Wärmepumpen eingebaut und die Heizungen, Lüftungen und Klimaanlagen vermehrt mit erneuerbarer Energie versorgt werden.

BAUWESEN: Im Bauwesen könnte man wiederum Emissionen reduzieren, indem die Materialien mit höherer Rate zurückgewonnen, also recycelt werden.

LANDWIRTSCHAFT, ERNÄHRUNG: Auch bei der Land- und Forstwirtschaft sowie Ernährung gibt es viele als wirksam eingestufte Ansätze, sagte die österreichische Meteorologin und Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb: Man sollte die Biolandwirtschaft ausweiten, Lebensmittelabfälle reduzieren und sich nachhaltiger ernähren, indem mehr pflanzenbasierte und weniger tierische Produkte verzehrt werden.

Nicht immer populär

Manche der vorgeschlagenen Maßnahmen, wie etwa eine Temporeduktion im Straßenverkehr, sind bei der Bevölkerung allerdings nicht sehr populär, erklärte Benjamin Schemel vom Institut für ökologische Ökonomie der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup gäbe es eine „sehr starke Resistenz“ gegen Temporeduktionen im Straßenverkehr, wie auch gegenüber einem Ende von Neuzulassungen bei Verbrennungsmotoren. Ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Radwege würde aber mehrheitlich begrüßt. Auch die Abkehr von fossilen Brennstoffen sowie der Ausbau der Stromnetz-Infrastruktur und von Erneuerbaren Energien fänden viele Befürworter.

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) begrüßten in Presseaussendungen die wissenschaftliche Bewertung der vorgelegten Konzepte. „Sie zeigen klar, mit welchen prioritären Maßnahmen wir ans Ziel kommen können und hat damit eine solide Grundlage für die weitere Ausarbeitung des Nationalen Energie- und Klimaplans geschaffen“, sagte etwa Johannes Wahlmüller von Global 2000. Man solle „das parteipolitisches Hick-Hack um den Entwurf beenden“ und einen wirksamen Plan vorlegen, meint er.

Der Nationale Energie- und Klimaplan

Der Nationale Energie- und Klimaplan (NEKP) ist für alle EU-Staaten verbindlich. Darin müssen sie darlegen, wie sie die EU-Energie- und Klimaziele erreichen wollen. Er muss bis Juni 2024 fertiggestellt und an die EU-Kommission übermittelt werden.

Mit den aktuell darin vorgeschlagenen Maßnahmen werden laut Berechnungen des Umweltbundesamtes die EU-Zielvorgaben nicht erreicht. Statt 48 Prozent weniger Treibhausgasausstoß bis 2030 im Vergleich zu 2005 würden nur 35 Prozent erreicht.

Deshalb wurde im Sommer eine „öffentliche Konsultation“ gestartet. Politische Parteien, Interessensverbände, Ministerien, Bundesländer, Wissenschafter und NGOs waren eingeladen, ihre Ideen einzubringen, wie die vorgegebene Reduktion erreicht werden könnte. Der Entwurf wurde ihnen Anfang Juli 2023 vorgelegt, sie konnten bis Ende August dazu schriftlich Stellung nehmen.

Ein Team von 55 Wissenschaftern rund um das CCCA hat die vorgeschlagenen Maßnahmen in dem vorliegenden Bericht bewertet.

Keine Einigung in Sicht

Indes ist auf der Regierungsseite vorerst keine Einigung bezüglich des NEKP zu erkennen. Am vergangenen Sonntag hatte Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) im „ZiB2“-Interview Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) erneut zum Einlenken aufgefordert. Edtstadler blieb am Montag gegenüber Medien bei ihrer Kritik, dass Gewessler den NEKP nach Brüssel geschickt habe, ohne dies mit dem Regierungspartner abzusprechen.

Die EU-Kommission eröffnete im Dezember ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich. Grund ist die Säumnis, den Entwurf fristgerecht nach Brüssel zu senden, geht aus einem Verfahrensverzeichnis der EU-Kommission hervor. Der von Klimaschutzministerin im Oktober übermittelte Entwurf war von Edtstadler wieder zurückgezogen worden. (APA, TT.com)