Viele Inhaftierte bei Bandenangriff auf Gefängnis befreit
Bewaffnete Banden haben in Haiti das Nationalgefängnis in der Hauptstadt Port-au-Prince angegriffen und dabei offenbar Hunderten Inhaftierten die Flucht ermöglicht. Die Polizisten hätten die Banditen nicht daran hindern können, eine große Anzahl von Gefangenen zu befreien, die unter anderem wegen "Entführung, Mord und anderen Straftaten" inhaftiert waren, teilte die Regierung am Sonntag (Ortszeit) mit.
Die Angaben in den Medien zu den Entflohenen variierten - von Hunderten bis nahezu allen knapp 3700 Inhaftierten war die Rede. Mehrere Menschen wurden bei dem Angriff am Samstag laut offiziellen Angaben verletzt, Medienberichten zufolge soll es Tote gegeben haben. Es soll auch einen weiteren Angriff auf ein Gefängnis östlich der Hauptstadt in Croix-des-Bouquets gegeben haben. Ob Inhaftierte dort auch flüchten konnten, wurde nicht mitgeteilt.
Der Generalkoordinator des Anwaltskollektivs für die Verteidigung der Menschenrechte (Caddho) in Haiti, Arnel Remy, berichtete von weniger als 100 übrig gebliebenen Insassen und veröffentlichte in den sozialen Medien Bilder von verwüsteten Zellen mit geöffneten Türen. Überprüfen ließen sich seine Angaben nicht. Die Polizeigewerkschaft hatte bei dem Versuch, die bewaffneten Banden zurückzuhalten, am Samstagabend um dringende Unterstützung weiterer Einheiten gebeten.
Die Bandengewalt in dem krisengeschüttelten Karibikstaat ist zuletzt wieder erheblich eskaliert, nachdem Interimspremierminister Ariel Henry zu Gesprächen um einen internationalen Polizeieinsatz in Kenia war. Nach monatelangen Verhandlungen und einem juristischen Tauziehen unterzeichneten Vertreter beider Länder am Freitag ein entsprechendes Abkommen. Die kenianische Regierung will demnach 1.000 Polizeibeamte in den armen Karibikstaat entsenden. Während der Abwesenheit des Regierungschefs haben kriminelle Banden in Teilen von Haitis Hauptstadt das öffentliche Leben mit Waffengewalt lahmgelegt. Schüsse fielen unter anderem am internationalen Flughafen. Mehrere Polizisten sind nach Regierungsangaben getötet worden.
In dem laut "Miami Herald" völlig überfüllten Gefängnis seien unter anderem mehrere Bandenanführer inhaftiert, aber auch Verdächtige im Zusammenhang mit der Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse. Moïse war in der Nacht zum 7. Juli 2021 in seiner Residenz mit zwölf Schüssen getötet worden. Den Ermittlungen zufolge führten rund 20 kolumbianische Söldner im Auftrag mehrerer Drahtzieher die Tat aus. Laut US-Justiz lautete der Plan der Verschwörer ursprünglich, Moïse zu entführen und als Staatschef zu ersetzen. Die Hintergründe des Verbrechens sind noch immer nicht zweifelsfrei geklärt. Henry übernahm im Anschluss die Regierungsgeschäfte.
Seit der Ermordung des Präsidenten hat sich die Sicherheitslage in Haiti dramatisch verschlechtert. Brutal agierende Banden kontrollieren nach UN-Schätzung rund 80 Prozent der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince und weiten ihr Einflussgebiet zunehmend auch auf andere Teile des Landes aus. Die Gewalt verschärft die prekäre Versorgungslage - fast die Hälfte der elf Millionen Bewohner Haitis leidet laut Vereinten Nationen unter akutem Hunger.
UN-Generalsekretär António Guterres hatte am Freitag bei dem Gipfeltreffen der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) zu mehr Unterstützung für eine internationale Mission aufgerufen, die Haiti im Kampf gegen die grassierende Bandengewalt helfen soll.