Rodel-Ass vor Vaterkarenz

Tiroler Weltcup-Gesamtsieger Kindl: „Unser Luxus ist gemeinsame Zeit“

Wolfgang Kindl gewann mit Thomas Steu den Gesamtweltcup und genießt mit Gattin Elena und Söhnchen Luis die Leichtigkeit des Seins.
© Springer, FIL

Nach dem sensationellen Gesamtweltcupsieg wird Rodel-Ass Wolfgang Kindl heute (16.30 Uhr) am Natterer Dorfplatz der rote Teppich ausgelegt. Just dort erzählte der Familienvater der TT sein Doppelsitzer-Märchen.

Natters – Die Entschleunigung hat begonnen. Vor Tagen raste Wolfgang Kindl (35) noch mit über 100 Sachen durch den Eiskanal von Sigulda. Zum Dorfplatz in der Heimatgemeinde Natters kommt er im Schritttempo. Lässig, mit verkehrt aufgesetzter Mütze und seinen Schätzen: Das sind Ehefrau Elena und Söhnchen Luis, der Bestzeiten vor sechs Monaten zur schönsten Nebensache degradierte. „Unser Luxus ist neben Urlauben die gemeinsame Zeit. Wir erleben Sachen, die man nicht kaufen kann – das ist viel mehr wert“, stellt Kindl – im dichten Weltcup-Kalender über weite Strecken von der Familie getrennt – klar.

Wolfgang Kindl genießt die Zeit in seiner Heimat Natters.
© Axel Springer

Hinten anstellen muss sich mit Thomas Steu auch jener Vorarlberger, der kürzlich mit dem Tiroler für eine Rodel-Sensation sorgte. In ihrer ersten gemeinsamen Doppelsitzer-Saison holte das Duo den Gesamtweltcup. „Begonnen hat es mit einem Schmäh. Ich habe zum Steu gesagt: Wenn der Lorenz (Ex-Partner Koller, Anm.) einmal aufhört, dann hocke ich mich bei dir rauf“, lässt Kindl das Märchen Revue passieren: „Dann ist es ernst geworden.“ Koller hörte auf, aus Steu/Koller wurde Steu/Kindl und die Rodel-Welt fragte sich: Einsitzer und Doppelsitzer – wie soll denn das funktionieren?

Die ersten Testfahrten in La Plagne (FRA) verliefen zur Überraschung aller Beteiligten herausragend. Und ja, der Rest ist wirklich Geschichte: Europameister in Igls, zwei WM-Silbermedaillen. „Auf einmal waren wir als Newcomer das Zugpferd – da haben die anderen dreingeschaut. Der Gesamtweltcup war nie das Ziel, aber unser Vorsprung wurde größer und größer“, schwelgt Kindl bei einem Espresso in einer Bäckerei in Erinnerungen und bedankt sich bei allen Unterstützern – insbesondere bei Material-Experte Peter Penz, der sich im Schlittenraum für Überstunden nie zu schade war.

Kindl und Herausforderungen – das scheint eine „never ending story“ zu sein. Schon vor seiner erfolgreichen Einsitzer-Karriere (u. a. zwei WM-Titel) hatte er mit Unkenrufen „von Leuten, die sich auskennen“ zu kämpfen. Das Urteil: für den Einsitzer zu klein.

Ein Arbeiter vor dem Herrn

„Es macht mich extrem stolz, dass ich es trotzdem geschafft habe, in beiden Disziplinen vorne mitzufahren. Den Hebel, der mir beim Start fehlt, habe ich durch das harte Training ausgeglichen.“ Dass es früher „nur Sport“ gegeben habe, kann Gattin Elena – sie saß im Jugendbereich für die Eisbären Innsbruck selbst auf der Rodel, ihr Papa Franz leitet einen Wolfgang-Kindl-Fanclub – nur bestätigen: „Mittlerweile merkt er, dass es Pausen braucht. Er ist ein kleiner Fanat und grübelt ohne Ende. Er will immer mehr, mehr und mehr.“ Weshalb es den einen oder anderen „Arschtritt“ brauchte, etwa in der abgelaufenen Saison nach bisweilen enttäuschenden Einsitzer-Ergebnissen: „Der Wolfi ist so ehrgeizig, dass man ihn auf die positiven Dinge hinweisen muss.“

Das dürfte in diesen Tagen, Wochen und Monaten nicht schwerfallen. Heute wird der Heeressportler in Natters (16.30 Uhr, Dorfplatz) geehrt. Und nach einem Teneriffa-Urlaub kehrt Elena im April als Ergotherapeutin ins Krankenhaus Hochzirl zurück. „Dann gehe ich in die Vaterkarenz“, wirft Wolfgang dem kleinen Luis einen herzlichen, aber auch von Respekt geprägten Blick zu. Der Satz „Das wird spannend“ ließe sich mehrfach interpretieren. Doch wer im Eiskanal schon mehrmals die Grenzen des Möglichen verschieben konnte, wird es auch mit einem Windelwechsel-Marathon aufnehmen können. Locker sogar.