Harry Sokal wird 70: "Ich bin musikalisch ein Chamäleon"
Stets ein Hut, eine knallige Brille und ein einprägsamer lyrischer Tenor-Saxofon-Ton - das ist Harry Sokal, der am 18. März seinen Siebziger feiert. Der Wiener gilt als einer der zehn besten "Post-Coltrane"-Saxofonisten Europas - doch halt: Schublade! Denn Sokal betont im APA-Interview: "Ich bin musikalisch ein Chamäleon". Und verweist etwa auf seine Formation "Depart": "Das ist meine funky side."
Harry Sokal hat zunächst Blockflöte gelernt und in der "Hauskapelle" mit seinem Vater gespielt. Weil der an der Ziehharmonika immer viel lauter war als der junge Harry, sattelte dieser auf die Klarinette um - "und da ist es dann nicht mehr sehr weit zum Saxofon", kommentiert Sokal den wichtigen Schritt seiner Musikerlaufbahn. Aller Anfang war aber - wie so oft - schwer. Sokal: "Ich habe auf der Straße gespielt und hab' am Anfang nix können." Also ging er zu Jazzpianist Fritz Pauer und ließ sich kompetent anleiten.
Mit viel Ironie schildert der Siebziger seine Lehrjahre: "Ich durfte bei 'Gypsy Love' die Wurstsemmeln holen." Bei der nur kurze drei Jahre bestehenden Austro-Rockband spielten allerdings spätere Größen wie Karl Ratzer, Harri Stojka (Bass!), Peter Wolf und auch Kurt Hauenstein ("Supermax"). So kam Sokal mit vielen angehenden Szene-Stars in Berührung.
Erste größere Öffentlichkeit durfte Harry Sokal im ORF genießen: Er gewann tatsächlich Mitte der 1970er-Jahre gemeinsam mit Peter Ponger (p) und Joris Dudli (dr) die TV-Talente-Show "Show Chance". Doch den Wiener zog es in die USA, wo er sich musikalisch entfalten und von wo er auch nicht mehr zurückkehren wollte - bis ihm das Geld ausging. Dennoch: Spätestens da wurde er in den Bann des Spiel von Jazz-Saxofon-Großmeister John Coltrane gezogen: "Er ist ein ganz wichtiges Element in meinem Spiel."
Der Rest ist tatsächlich Geschichte: Sokal ist Gründungsmitglied des legendären Vienna Art Orchestra und hat über 25 Jahre mit dem Flügelhornisten Art Farmer und dessen Formationen gespielt. Sokal und sein Saxofon sind in Summe auf mehr als 500 Tonträgern zu hören. Ein - kurzer - Auszug aus der Liste von Stars, für die bzw. mit denen er gespielt hat: Art Blakey, Dave Holland, Wynton Marsalis, Terje Rypdal, Michel Portal, Mike Richmond, Mino Cinelu, Friedrich Gulda, Idris Muhammad, Joe Zawinul, Harry Pepl, Gene Jackson und Andy McKee. Aber auch Pop-Produktionen in Österreich veredelte er, u. a. von der Hallucination Company, Wolfgang Ambros und Falco ("Einzelhaft") bis hin zu Andre Hellers 1980er-Album "Verwunschen" (Anspieltipp: "Oder Was").
Auf die hypothetische Frage, mit welchen verstorbenen Musikern Sokal heute am liebsten spielen würde, überrascht er: "Elvin Jones, Schlagzeuger im John Coltrane Quintett." Nachsatz, schon naheliegender: "Und wenigstens ein paar Töne mit Miles Davis." Und mit Lebenden? Da kommt dafür ein "Vor-Satz" des Musikers: "Es geht mir jetzt darum, musikalisch hauptsächlich zuhause zu sein." Und der Jubilar kann sich dann nicht für einen allein entscheiden, daher: Wolfgang Puschnig (sax), Wolfgang Muthspiel (git), Thomas Gansch (tr) und Karl Ratzer (git).
Heute lebt Harry Sokal in einem sehr kleinen Ort im Norden von Wien und ist dort sehr häufig in seinem Keller-Studio zu finden. Warum nicht mehr in Wien? "Wir waren immer eine Ruhestörung! Irgendwann in meiner Anfangszeit ist die Polizei reingestürmt, und ein Beamter hat mit seinem Gummiknüppel wie wild auf das Schlagzeug eingedroschen. Hier störe ich niemanden", grinst Harry Sokal. Denn er ist immer noch sehr aktiv: "Der Siebziger fühlt sich großartig an. Das Feuer ist keineswegs erloschen, im Gegenteil: Ich 'brenne' noch immer!" Zu hören und spüren wird das am 18. März im Wiener Porgy & Bess sein, wo Harry Sokal mit seiner Formation "Free Tenors" exakt an seinem Geburtstag aufspielt.