Leere statt Stille: Kušejs letzte Regie als Burg-Direktor
Es brennt im Burgtheater. Am Anfang und am Ende seiner Inszenierung von Tennessee Williams' "Orpheus steigt herab" lässt Martin Kušej lodernde Flammen projizieren. Wirklich gezündet hat seine letzte Regiearbeit als Burgtheaterdirektor jedoch nicht. Die Transferierung des 1957 uraufgeführten Südstaatenstücks in eine zeitlose Parabel über Ausgrenzung erwies sich als nicht überzeugend. Der letzte Schlussapplaus, den sich der Direktor am Samstag abholte, war wenig enthusiastisch.
Das in einer Kleinstadt in den Südstaaten der USA spielende Drama atmet ganz die (be-)drückende Atmosphäre jener Williams-Stücke wie "Endstation Sehnsucht", die den Dramatiker berühmt gemacht hat: Engstirnigkeit, Bigotterie, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Unterdrückung von Gefühl und Leidenschaft. Einem zugewanderten Italiener wurde einst der Wein- und Obstgarten samt Liebeslauben angezündet, als er seinen illegal gebrannten Alkohol auch an Schwarze verkaufte. Dass er beim Löschen der Flammen umkam, ist nur einer der dunklen Schatten der Vergangenheit in dem Städtchen, in dem nun das Auftauchen eines jungen Mannes mit Gitarre und Schlangenhautjacke für Unruhe sorgt.
"Der Mann in der Schlangenhaut" hieß die Verfilmung von Sidney Lumet mit Marlon Brando und Anna Magnani in den Hauptrollen. Am Burgtheater spielen Tim Werths und Lisa Wagner die Rollen von Val und Lady. An ihnen liegt es nicht, dass der inklusive Pause dreistündige Abend nicht jene Wucht entfaltet, die das auf eine ziemlich vorhersehbare Tragödie zusteuernde Geschehen erzielen könnte. Annette Murschetz' Bühnenbild erzählt als Brandruine Vorgeschichte und Ende gleich mit und bietet mit einem senkrecht aufgestellten Cabriolet einen für genau eine Szene bespielten überflüssigen Ausstattungsgag auf. In diesem Rahmen setzt Kušej auf Abstraktion statt Atmosphäre, auf Verlangsamung statt Intensivierung.
Kušej hat sich die Sprechweise der Figuren von Ödön von Horváth zum Vorbild genommen. Dort spielen sich die wahren Tragödien in der Stille zwischen zwei Sätzen ab, die einem Jargon entnommen sind, der nicht vom Herzen, sondern von der Lektüre kommt, und so nie ganz das ausdrücken kann, was gemeint ist. Bei Tennessee Williams liegt der Schrecken aber weniger im Unvermögen, etwas adäquat zur Sprache bringen zu können, als in der Versteinerung der Hirne und der Herzen. Statt Stille herrscht Leere. Man sieht nicht Menschen, die sich hilflos um Kommunikation bemühen, sondern Darsteller, die ein Konzept des aneinander Vorbeiredens zu erfüllen versuchen.
Intensität erhält der Abend ausgerechnet dann, wenn dieses Konzept durchbrochen und miteinander gesprochen wird. Wie es etwa zwischen Val und der Geschäftsfrau Lady der Fall ist, deren Mann (Martin Reinke) im Sterben liegt. Hier begegnen einander zwei Menschen, die sich vorgenommen haben, nicht mehr mitzumachen in einem Spiel, dessen Regeln sie verachten. Dazu hat sich auch Carol (Nina Siewert) entschlossen, deren Geheimnis die Inszenierung bloß andeutet. Sie wird mit Verstoßung bestraft, und dass das nicht nur dahingesagt, sondern beinhart exekutiert wird, machen vor allem Männer wie Sheriff Talbott und sein Gehilfe Dog (Norman Hacker und Rainer Galke) deutlich.
Manches an der Grundkonstellation erinnert an "Dogville" von Lars von Trier, wo eine fremde junge Frau in eine Kleinstadt kommt und eine Spirale der Gewalt auslöst. Der dänische Filmregisseur machte daraus eine unbarmherzige Brecht'sche Parabel über Machtverhältnisse. Martin Kušej inszeniert "Orpheus steigt herab" dagegen als eine Mischung aus Western und Künstlerdrama, in der Revolver, Messer und Gitarren die wichtigsten Requisiten sind. Auch wenn Sätze wie "Das einzige, was mir Halt gab, war meine Gitarre", anderswo stark unter Kitschverdacht gerieten, ist das Motiv des in den Hades herabsteigenden Sängers aus der griechischen Mythologie natürlich präsent. Kušej verstärkt das noch, indem nicht nur Tim Werths immer wieder zur Gitarre greift, um seinen Emotionen Ausdruck zu verleihen, sondern auch Oliver Welter als Art musikalischer Hohepriester mit melancholischen Liedern das Geschehen unterbricht. Sein Gesang begleitet den Untergang. Und kann nichts mehr retten.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)