Burgtheater setzt künftig auf Diversität und Inklusion
Fünf Jahre hat Thomas Jonigk in Wien gelebt. In der zweiten Hälfte der 1990er war er Chefdramaturg an Hans Gratzers Schauspielhaus, arbeitete als Autor und Regisseur - und fühlte sich sehr wohl. Nun ist er zurück, wird problemlos von der Kellnerin seines Stammcafés wiedererkannt, erkennt aber die Stadt kaum wieder. "Wien ist viel internationaler als damals." Das wird sich auch auf der Bühne niederschlagen. Darauf hat er großen Einfluss. Er wird Chefdramaturg des Burgtheaters.
Stefan Bachmann, den künftigen Burgtheaterdirektor, kenne er "schon ewig", erzählt der in Eckernförde an der Ostsee Geborene im Gespräch mit der APA. Nach der Corona-Pandemie hat Bachmann den früher an den Schauspielhäusern in Düsseldorf und Zürich fest engagierten, später nur noch als Gast arbeitenden Theatermann fest nach Köln geholt. Als dann der Sprung nach Wien fixiert wurde, sei rasch klar gewesen: Jonigk springt mit. "Ich hatte ohnedies vor, im Alter hierherzuziehen. Nun ist es halt früher geworden", lacht der 58-Jährige, der kürzlich von einer Bekannten eine Wohnung im 8. Bezirk übernehmen konnte. Sein Arbeitsplatz ist von dort in fünf Minuten per Fahrrad zu erreichen.
Burgtheater-Hausautor wird Jonigk, von dessen zwei Dutzend Stücken Stefan Bachmann einige zur Uraufführung brachte (das erste, "Du sollst mir Enkel schenken", vor bereits drei Jahrzehnten in Bonn), nicht. "Es wäre mir lieber, wenn meine Stücke an anderen Wiener Häusern gespielt würden", schmunzelt er. Zuletzt war seine Saramago-Bearbeitung "Stadt der Blinden" am Theater in der Josefstadt zu sehen. Als Regisseur hat er eine Inszenierung pro Spielzeit in seinem Vertrag (die erste soll jedenfalls einem zeitgenössischen Stück gelten). Vor allem aber trägt der Spielplan seine Handschrift.
Ein Schwerpunkt werde der österreichischen Literatur gelten, versichert Thomas Jonigk. "Ich halte die österreichische dramatische Literatur ohnedies für besser als die deutsche. Außerdem finde ich es immer wichtig, am Theater einen lokalen Bezug zu haben." Gleich wichtig sei jedoch die Internationalität. Ungarn werde ein besonderes Augenmerk gelten, was sich etwa in einem zweisprachigen Projekt in der zweiten Spielzeit äußern werde. Gibt es ein Bekenntnis auch zur Vielfalt der Sprachen auf der Burgtheater-Bühne? "Bekenntnis ist vielleicht zu viel gesagt, jedenfalls aber den Wunsch oder die Absicht. Rein deutschsprachige Teams gibt es ohnedies nicht mehr. Wichtig ist aber, dass man künstlerisch davon überzeugt ist." Dass die Fremdsprachigkeit von Aufführungen etwa bei den Wiener Festwochen nie ein Problem war, sei nicht aufs Burgtheater übertragbar: "Das Festivalpublikum ist leider nicht jenes, das ins Repertoire kommt", weiß Jonigk aus Erfahrung - und kündigt gleichzeitig an, dass die deutsch-iranische Regisseurin Mina Salehpour ihre in Köln begonnene Arbeit in Wien fortsetzen werde.
Nach Wien übernommen wird auch "Akins Traum vom osmanischen Reich" von Akın Emanuel Şipal, als eine von drei Inszenierungen des Intendanten Bachmann, der auch seine Molière-Überschreibung "Der eingebildete Kranke" und seine mit dem Deutschen Theaterpreis "Der Faust 2023" ausgezeichnete Dramatisierung des Romans "Johann Holtrop" von Rainald Goetz mitbringt. Ein Wiedersehen mit Martin Reinke, der am Freitag in der letzten Kušej-Inszenierung "Orpheus steigt herab" Premiere hatte, bringt Rafael Sanchez' Kölner "König Lear"-Inszenierung. "Bei ein, zwei weiteren Kölner Arbeiten prüfen wir derzeit noch die technische Machbarkeit", sagt Jonigk. Zur Eröffnung seiner Direktion hält sich der neue Chef selbst zurück. Programmatisch eröffnet er mit Inszenierungen von zwei Frauen: Karin Henkel bringt "Hamlet" am Burgtheater heraus, auch im Akademietheater wird zum Auftakt eine Regisseurin inszenieren. Stefan Bachmann selbst steigt erst später in den Ring.
Während das Vestibül weiter vor allem als Hauptquartier für die Theaterpädagogik dient, steht das Kasino am Schwarzenbergplatz in der ersten Saison wegen einer Generalsanierung der Räume nicht zur Verfügung. Man plane danach eine schnellere und flexiblere Bespielung und für die Umbauzeit digitale und mobile Alternativen, sagt Jonigk und kündigt überhaupt eine Intensivierung der Community-Arbeit an. In Köln habe man mit dem "Import Export Kollektiv", einem diversen Ensemble von Menschen im Alter von 14 bis 36 Jahren, beste Erfahrungen gemacht. Nicht nur Diversität, sondern auch Inklusion soll künftig im Burgtheater ernstgenommen werden. Geplant ist ein "Professionalisierungsprogramm für Menschen mit kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen", die danach Ensembles bereichern sollen. "Ich finde wichtig, dass man als Haus diese Signale aussendet", meint der Chefdramaturg und bekennt: "Früher wollte ich immer Sozialarbeiter werden und mit Menschen mit Behinderung arbeiten."
Autoren sollen künftig stärker an den Theaterbetrieb angebunden werden, das Nachspielen aktueller Stücke sei aber ebenso wichtig wie Uraufführungen und Stückaufträge sagt Jonigk, der als Autor aus eigener Erfahrung spricht. Apropos Erfahrungen: Ein eigenes Vorbereitungsbüro im Burgtheater habe man nicht gehabt, schildert er. "Unser Büro war das Café Eiles." Und das Café Prückel, wo auch gerade Stefan Bachmann eingetroffen ist, um sich mit einem neuen Ensemblemitglied zu besprechen. Mit 70 Schauspielerinnen und Schauspielern bleibt die Größe des Ensembles exakt gleich. Zu zwölf Nichtverlängerungen sind drei Pensionierungen oder Abgänge gekommen. Zehn Kolleginnen und Kollegen (wie der Wiener Paul Basonga oder der Linzer Stefko Hanushevsky, der seinen Soloabend "Der große Diktator" mitbringt) kommen aus Köln nach Wien, zudem wird es einige Rückkehrer ans Haus geben, von Stefanie Reinsperger bis Caroline Peters und Joachim Meyerhoff.
Bei den Regisseurinnen und Regisseuren setzt man zunächst vor allem auf Kräfte, die mit Burg- und Akademietheater bereits vertraut sind oder mit denen man in Köln gut zusammengearbeitet hat, doch längst ist Thomas Jonigk an der Planung der zweiten Spielzeit. "Stefan Bachmann ist ein Teamplayer. Er kommuniziert klar und transparent. Das spürt man im Haus bereits. Es kommen viele Dialoge in Gang. Aber manches wird noch ein bisschen dauern." Sicher scheint dagegen, dass sich schon bald nach der Saisoneröffnung im Herbst die politische Landschaft in Österreich verändern wird. "Wir planen möglichst viele Gesprächsformate, mit denen wir das auffangen und spontan reagieren können. Gleichzeitig finde ich es schwierig, wenn Theater parteipolitisch auftreten", sagt Jonigk. "Mit Ausgrenzung und Besserwissen ist nichts zu gewinnen."
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)