Tories vor Abwahl

Vor Parlamentswahl im Juli: Machtwechsel in Großbritannien naht

In strömendem Regen hat Premier Sunak den Wahltermin verkündet. Labour-Chef Keir Starmer dürfte der nächste Premier werden.
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Großbritannien wählt am 4. Juli ein neues Parlament. Die Oppositionspartei Labour liegt laut Umfragen meilenweit vor den regierenden Tories.

London – Rishi Sunak stand im Londoner Regen wie ein begossener Pudel, als er am Mittwoch die Parlamentswahl für den 4. Juli ankündigte. Wenn der konservative britische Premierminister es nicht schafft, binnen Wochen die öffentliche Meinung deutlich herumzureißen, dürfte sein nächster Auftritt in der Downing Street sein letzter als Premier werden – um seine Niederlage einzuräumen.

Rund 20 Prozentpunkte liegen Sunaks Konservative in Umfragen hinter der Labour Party zurück. Wenn nicht noch ein größeres Wunder geschieht, zieht Oppositionsführer Keir Starmer am 5. Juli in die Downing Street ein, als erster Labour-Premier seit 14 Jahren – und 100 Jahre nach dem ersten sozialdemokratischen Regierungschef der britischen Geschichte.

Der Vorsprung von Labour ist vor allem dem gewaltigen Ärger über die Konservativen zu verdanken. Wofür die Partei steht, wissen viele Menschen nicht. Erst vor Kurzem stellte Starmer ein Sofortprogramm vor. Er will u. a. für wirtschaftliche Stabilität sorgen, Wartezeiten beim staatlichen Gesundheitsdienst NHS verkürzen, ein nationales Energieunternehmen gründen und 6500 Lehrkräfte einstellen.

Labour in die Mitte geführt

Einen Wandel verspricht Starmer den Briten. Viele WählerInnen setzen vor allem darauf, dass das Chaos der vergangenen Jahre mit drei Premierministern, Skandalen und ständigen Ministerwechseln endlich ein Ende hat. „Die Strategie von Sir Keir Starmer besteht darin, der Öffentlichkeit zu versichern, dass das größte Risiko dieses Mal darin besteht, eine diskreditierte Regierung im Amt zu halten“, sagt der Politologe Mark Garnett von der Universität Lancaster. Starmer gilt durchaus als langweilig. Aber genau danach sehnten sich viele Briten, ist oft zu hören.

Starmer wäre erst der siebente Labour-Premier. Entstanden aus der Arbeiterbewegung, vereinte die Labour Party bei ihrer Gründung im Jahr 1900 die linken Bewegungen. Von Beginn an ist sie eng mit den Gewerkschaften verbunden, die bis heute über viel Einfluss verfügen.

Der ehemalige Anwalt Starmer ist seit April 2020 der „Leader of His Majesty’s Most Loyal Opposition“, wie der Chef der größten Oppositionspartei im britischen Unterhaus traditionell genannt wird. Übernommen hat der 61-Jährige die Sozialdemokraten von Jeremy Corbyn, der 2019 die Wahl haushoch gegen den damaligen Premier Boris Johnson verloren hatte. Von Corbyns sehr linken Positionen hat Starmer die Partei wieder in die politische Mitte geführt. Zuletzt übernahm Starmer auch gemäßigt-konservative Positionen – er nutzt dabei den Raum, den ihm der Rechtskurs der Tories lässt. Viele Menschen schätzen an dem Vater zweier Teenager-Kinder seine Bodenständigkeit, Ruhe und Einfühlsamkeit. Privat ist Sir Keir, wie er sich seit einigen Jahren nennen darf, ein großer Fan des Fußball-Erstligisten Arsenal.

Starmer und die EU

In Corbyns Schattenkabinett fungierte Starmer als Brexit-Sprecher. Im Gegensatz zum damaligen Parteichef setzte er sich für ein zweites Referendum ein, um den EU-Austritt zurückzudrehen. Mittlerweile aber hat er klargemacht, dass er keinen Rückweg in die EU sieht. Zwar will er sich ihr wieder annähern. Einen Wiedereintritt in die EU-Zollunion oder den Binnenmarkt aber lehnt Starmer bisher ab. Kommentatoren meinen, der Labour-Chef habe Angst, wichtige Wählerstimmen im traditionell EU-kritischen Norden Englands zu verlieren. (dpa, TT)