Österreichs erste Bundeskanzlerin: Brigitte Bierlein ist tot
Das Bundeskanzleramt teilte am Montag mit, dass die ehemalige Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein verstorben ist. Sie wurde 74 Jahre alt.
Wien – Trauer um Brigitte Bierlein: Die erste österreichische Bundeskanzlerin ist heute verstorben. Wie der Verfassungsgerichtshof, dem Bierlein rund 16 Jahre angehörte, mitteilte, erlag sie kurz vor ihrem 75. Geburtstag einer kurzen schweren Erkrankung. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) würdigte, dass Bierlein in einer schwierigen Phase Verantwortung aus Liebe zu ihrer Heimat übernommen habe: „Unser Land ist ihr zu großem Dank verpflichtet.“
Bundeskanzler Nehammer zeigte sich in einer Aussendung zutiefst erschüttert. Mit Bierlein verliere Österreich eine herausragende Persönlichkeit und Vorreiterin, die die Republik für Generationen entscheidend geprägt habe: „Sie hat in einer schwierigen Zeit nicht gezögert, Verantwortung zu übernehmen, um der Republik und den Menschen in unserem Land zu dienen.“
Angelobung zur Bundeskanzlerin vor genau fünf Jahren
Mit dem Tod von Brigitte Bierlein verliert Österreich seine erste Bundeskanzlerin. Die damalige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs wechselte 2019 als Chefin einer Experten-Regierung ins Kanzleramt, als infolge des Ibiza-Skandals im Land politisch nichts mehr ging. Die Angelobung fand auf den Tag genau vor fünf Jahren statt – am 3. Juni 2019. Dies war der letzte Schritt einer doch sehr erfolgreichen Karriere, die sich zum allergrößten Teil in der Justiz abspielte.
Bierlein gilt hierzulande als "Pionierin". Nicht nur war sie erste Regierungschefin, auch am VfGH war die Wienerin die erste Frau, die es ganz an die Spitze schaffte. Sie selbst attestierte sich dereinst einen "gewissen Ehrgeiz".
Bierlein, Tochter eines Beamten und einer Künstlerin, verschrieb ihre Karriere der Justiz. Dabei hatte sie dereinst sogar überlegt, sich an der Kunstakademie einzuschreiben, ehe dann gemäß Rat der Mutter doch das Interesse am Recht Vorrang gewann. Die Kunst blieb Begleiterin der stets modische Akzente setzenden Juristin. Sie galt als Lieberhaberin des Theaters und der Malerei, gehörte auch dem Aufsichtsrat der Bundestheater-Holding an.
Richterin mit 26 Jahren
In nur vier Jahren hatte Bierlein das Jus-Studium absolviert, mit 26 legte sie die Richteramtsprüfung ab, mit 28 Jahren wurde sie zur Staatsanwältin ernannt, mit 41 Generalanwältin, 2003 Vizepräsidentin am VfGH und am 1. Jänner 2018 dessen Leiterin.
In der Justiz war Bierlein schon als Standesvertreterin nicht nur mit ihrer fachlichen Qualifikation, sondern auch mit resolut-selbstbewusstem Auftreten und schnörkellos-geraden Ansagen aufgefallen. 1977 von den Richtern zu den Staatsanwälten gewechselt, engagierte sie sich in der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte - und wurde dort 2001 zur Präsidentin gewählt. Auf diese Funktion musste sie mit dem Eintritt in den VfGH verzichten. Vor dem Wechsel in das Höchstgericht war sie nicht weniger als zwölf Jahre Generalanwältin in der Generalprokuratur, davor in Staatsanwaltschaft und Oberstaatsanwaltschaft Wien tätig.
Politisch wurde Bierlein, der als Staatsanwältin eine gewissen Tendenz zu Law&Order zugeschrieben wurde, eher dem konservativen Sektor zugeordnet. Parteimitglied war sie jedoch nie. Als Van der Bellen sie zur Bundeskanzlerin ernannte, kam dann auch Beifall von allen Seiten. Das gute halbe Jahr, das sie die Regierungsgeschäfte schnörkellos führte, war dann auch von Skandalen verschont.
Oper, Theater, Kunst als Hobbys
Für Familie blieb der Wienerin keine Zeit, sie hätte es sich nicht vorstellen können, Job und Kinder unter einen Hut zu bringen, sagte Bierlein in Interviews. Ihr langjähriger Lebensgefährte, der Richter Ernest Maurer, verstarb 2021.
In ihrer Freizeit besuchte Bierlein gerne Vernissagen und Ausstellungen, sowie - wenn es die Zeit zuließ - Oper und Theater. Auch sammelte sie Kunst, hatte etwa einen (Josef) Mikl zuhause hängen. Nur am Rande mit Kultur zu tun hatte, dass sie zur Leiterin der Sonderkommission zum Skandal in der Wiener Ballett-Akademie bestellt wurde. Bierlein war auch in der Unabhängigen Opferschutzkommission gegen Missbrauch und Gewalt aktiv.
Zahlreiche Trauerbekundungen
Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich tief betroffen von Bierleins Tod. "Sie hat in vielen Funktionen der Republik treu gedient. Als Hüterin unserer Verfassung und auch als erste Bundeskanzlerin", betonte er: „Ich habe Brigitte Bierlein als mutige, disziplinierte Frau kennengelernt, die Verantwortung übernommen hat, als ihr Land sie gebraucht hat. Sie wird für viele Mädchen und Frauen, für uns alle, auch in Zukunft als Vorbild wirken.“
Von VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter hieß es, der Verfassungsgerichtshofs verliere eine unparteiliche ehemalige Präsidentin und einen hochgeschätzten Menschen, Österreich eine entschlossene Verfechterin des Rechtsstaats. Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker meinte, Bierlein habe Maßstäbe gesetzt und sei eine herausragende Persönlichkeit gewesen.
„Ich hoffe, dass ihr bewusst war, wie sehr sie andere inspiriert hat“, sagt auch Alexander Van der Bellen. „Man spricht oft vom ‘Werk und Wirken’ einer Person - aber selten entwickelt das Werk eine solche Wirkung, wie im Fall von Brigitte Bierlein.“
Seitens der Bundesregierungsmitglieder betonte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), "eine starke Frau, eine gewichtige Stimme für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung ist heute von uns gegangen". Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bezeichnete sie als "Pionierin", die in unterschiedlichen Rollen Vorbild für viele Frauen gewesen sei.
Für die Grünen erklärte Klubobfrau Sigrid Maurer, Bierlein werde für sie und viele andere als "die richtige Frau zur richtigen Zeit" in Erinnerung bleiben. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach von einem "traurigen Tag für Österreich" und nannte Bierlein als erste Bundeskanzlerin "ein Vorbild für viele". Worte der Trauer kamen auch von den Bundestheatern, fungierte sie doch auch als Aufsichtsratvorsitzende der Holding. (TT.com, APA)