Innenpolitik

Pelinka sieht Nachwirkungen von EU-Beitrittsreferendum 1994

Der Politikwissenschafter Anton Pelinka sieht auch nach 30 Jahren eine stabilisierende Wirkung des klaren EU-Beitrittsvotums für Österreichs Europapolitik. "Das Zögern der FPÖ, den letzten Schritt zu setzen (und offen für einen Öxit einzutreten, Anm.) hängt auch damit zusammen, dass Jörg Haider mit seiner Schildlauspolitik einen grandiosen Misserfolg erlitten hat", sagte Pelinka im APA-Interview mit Blick auf die Warnung des damaligen FPÖ-Chefs vor Schildläusen im Joghurt.

Zwar würden die FPÖ-Plakate bei der Europawahl zeigen, dass die Partei "immer noch ein bisschen auf der Schildlaus-Argumentationslinie" sei. "Sie schließt einen EU-Austritt nicht aus, betreibt ihn aber nicht aktiv, weil sie Grund zur Annahme hat, dass das ein Eigentor wäre", sagte Pelinka, der das EU-Referendum unmittelbar nach dem Votum gemeinsam mit führenden Kollegen in einem Sammelband wissenschaftlich analysiert hatte.

Der EU-Beitritt sei "einer der größten Erfolge der Großen Koalition nach 1945" gewesen, so Pelinka. Trotz seiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema habe er damals nicht damit gerechnet, "dass das so deutlich ausgeht". Ein wichtiger Faktor sei die "Kronen Zeitung" gewesen, die kurz vor der Volksabstimmung "die Seiten gewechselt" und für den EU-Beitritt getrommelt habe. Die meistgelesene Zeitung des Landes sei von der Regierung dafür "belohnt" worden, und zwar in Form von Privatradio- und Privatfernsehlizenzen - Österreich musste nämlich nach dem EU-Beitritt das Rundfunkmonopol des ORF beenden.

"Beide Seiten haben Foul gespielt", konstatierte Pelinka unter Verweis auf den vermeintlichen Regierungsdeal mit der "Kronen Zeitung" und die Schildlaus-Propaganda Haiders. "Niemand in Österreich musste jemals ein Schildlausjoghurt essen", betonte er. Milder äußerte er sich zum ebenfalls niemals Realität gewordenen "Ederer-Tausender" über niedrigere Lebenshaltungskosten nach dem EU-Beitritt. Dieser sei zwar "grob vereinfachend" gewesen, doch habe das dahinterstehende "Kernargument" von der Modernisierung Österreichs durch den EU-Beitritt gestimmt.

"Es ist den beiden Regierungsparteien gelungen, die EU als Modernisierungsprojekt darzustellen und die Gegner als Modernisierungsverweigerer", sagte Pelinka. Das klare Ergebnis sei deshalb so überraschend gewesen, "weil noch vor ein bis zwei Jahren eine Mehrheit der österreichischen Wahlberechtigten gegen den EU-Beitritt waren". Entscheidend für den Stimmungswandel seien die damaligen Führungsfiguren der Regierungsparteien, Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) und Außenminister Alois Mock (ÖVP), gewesen. "Sie haben in ihren Parteien die Stimmung gedreht."

Pelinka hob dabei vor allem Mock und seine "Unermüdlichkeit" als "Einzelkämpfer für den EU-Beitritt" hervor. Vranitzky wiederum habe die zunächst zögerliche Kanzlerpartei davon überzeugt, dass der EU-Beitritt nicht nur ein Projekt des Außenministers sei. In beiden Parteien gab es mit den Bauern und Gewerkschaftern starke Widerstände, weswegen die Unterstützung von ÖGB-Präsident Anton Benya (SPÖ) oder dem damaligen Landwirtschaftsminister und späteren EU-Kommissar Franz Fischler (ÖVP) so wichtig gewesen sei.

Umgekehrt sei es bei der FPÖ gewesen. Diese habe noch wenige Jahre vor der Volksabstimmung "fast ein Monopol auf die EU-Befürwortung gehabt". Unter ihrem damaligen Parteichef Jörg Haider sei sie dann zur EU-kritischen Partei geworden. Mit dieser Linie gelinge es den Freiheitlichen seitdem, die europakritische Minderheit zu mobilisieren, die Partei verbaue sich aber zugleich die Aussicht auf eine größere Mehrheit. "Die Mehrheit ist unter anderem wegen der EU-Politik gegen die FPÖ", sagte Pelinka unter Verweis auf die Bundespräsidentenwahl 2016. Das EU-Thema habe nämlich wesentlich dazu beigetragen, dass mit Alexander Van der Bellen der Vertreter einer Zehn-Prozent-Partei mit absoluter Mehrheit zum Bundespräsidenten gewählt worden sei.

Dass die EU-Begeisterung in Schweden und Finnland heute höher ist als in Österreich, liege an der "Geopolitik", so Pelinka. Die beiden skandinavischen Länder würden die Bedrohung durch Russland und den diesbezüglichen Schutz durch die EU-Mitgliedschaft stärker wahrnehmen. Während Österreich mit seinem Referendum im Jahr 1994 als positiver Impulsgeber für die beiden skandinavischen Länder fungierte, könnte es in Sachen NATO-Beitritt nun umgekehrt sein, meinte Pelinka. Das an Russland angrenzende Finnland habe Schweden mitgezogen, und nach der Nationalratswahl könnte die Neutralitätsdebatte auch in Österreich in Gang kommen, so Pelinka. Einen ähnlichen Schulterschluss von Parteien, Medien und Interessensverbänden wie vor dem EU-Beitritt 1994 erwarte er aber nicht, weil dieses Thema viel "differenzierter" sei als jenes der EU-Mitgliedschaft.

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

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