Selbstkontrolle der Zeitungen

Kritik an anonymisierten Zitaten: Presserat rügt „Standard“ wegen Bericht über Lena Schilling

Berichterstattung zulässig, Rüge wegen Art und Weise: Die Grünen Spitzenkandidatin Lena Schilling mit Parteichef Werner Kogler .
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Negative Werturteile nur mit anonymen Zitaten zu bringen, würden „anonymen Heckenschützen“ Tür und Tor öffnen. Der Standard verteidigt seine Berichterstattung mit politischer Relevanz. Keiner der erhobenen Vorwürfe sei bestritten worden.

Wien – Die Berichte über die grüne Spitzenkandidatin Lena Schilling und ihren Charakter waren ein beherrschendes Thema im EU-Wahlkampf. Die Frage beschäftigte auch den Presserat. Dieses Selbstkontrollorgan der Tageszeitungen prüfte den ersten Artikel des Standard dazu und stellte fest, dass die Zeitung damit gegen zwei Punkte aus dem Ehrenkodex für die österreichische Presse verstoßen habe. Über die Vorwürfe gegen Schilling zu berichten, sei „grundsätzlich zulässig“.

Die Art und Weise der Berichterstattung verstoße aber gegen das „Gebot einer gewissenhaften und korrekten Wiedergabe von Nachrichten“ sowie gegen das „Gebot einer gewissenhaften und korrekten Zitierweise“. Anonyme Zitate, die nur einen negativen Charkter zeichnen sollen, aber kein „Tatsachensubstrat“ enthalten, seien zu vermeiden. Andernfalls würde dies „anonymen Heckenschützen“ Tür und Tor öffnen.

Die Zeitung hatte am 7. Mai unter dem Titel „Lena Schillings Kandidatur gerät in Turbulenzen“ die Affäre losgetreten: Schilling verbreite angeblich Fehlinformationen, die auch den höchstpersönlichen Lebensbereich der Betroffenen berührten, hieß es da. Der Senat 1 des Presserats erachtet es „grundsätzlich als zulässig, dass über fragwürdige schwerwiegende Behauptungen, die die Spitzenkandidatin einer wahlwerbenden Partei über Mitstreiterinnen und Mitstreiter bzw. Journalisten verbreitet oder aufstellt, berichtet wird“.

Informanten könnten eigene Interessen verfolgen

Das Gremium kritisiert aber die in dem Artikel vielfach als Beleg für die Vorwürfe angeführten anonymen Zitate. Bei der Leserschaft sei der Eindruck entstanden, die Politikerin habe einen mangelhaften Charakter und leide möglicherweise sogar an psychischen Problemen, was als Vorwurf seitens eines Mediums ungewöhnlich sei und unverhältnismäßig schwer wiege. Es wäre geboten gewesen, "auf jene anonymisierten Zitate zu verzichten, die lediglich Werturteile zur Person Lena Schilling enthalten und in denen kein Kontext zu konkreten Ereignissen hergestellt wird". Denn es scheine naheliegend, dass Informanten aus Schillings Umfeld bei den Grünen, aus dem linken politischen Spektrum oder der Klimabewegung eigene Interessen verfolgen könnten.

Standard würde Wahrheitsbeweis antreten

Der Standard verteidigte in einer in der Entscheidung veröffentlichten Stellungnahme seine Berichterstattung. Die erhobenen Vorwürfe hätten politische Relevanz, keiner der im Artikel erwähnten sei zudem bestritten worden. Die Anonymisierung der Zitate begründete das Medium damit, dass Informantinnen und Informanten andernfalls negative Konsequenzen zu befürchten gehabt hätten. Man sei in der Lage, „vor Gericht in jedem einzelnen Punkt den Wahrheitsbeweis anzutreten“.

Die Grünen äußerten sich nicht inhaltlich zum Urteil, begrüßten ab, "dass sich der Presserat ausführlich mit der Thematik befasst und geurteilt" habe, denn der Presserat sei "der richtige Ort für diese Reflexion". (TT, APA)