US-Präsident Joe Biden zieht Kandidatur zurück, Vize Harris in den Startlöchern
Nach wachsenden Zweifeln auch aus den eigenen Reihen wird Biden keine Bewerbung um eine weitere Amtszeit anstreben. Zugleich gab Biden eine Unterstützungserklärung für die derzeitige Vizepräsidentin Kamala Harris ab.
Washington – US-Präsident Joe Biden will wohl aufgrund schlechter Umfragewerte bei der Wahl im November nicht länger für eine zweite Amtszeit antreten und hat seine Stellvertreterin Kamala Harris als Ersatzkandidatin vorgeschlagen. Er glaube, dass es im besten Interesse seiner Partei und des Landes sei, wenn er sich zurückziehe und auf sein Amt konzentriere, so Biden. Harris will Kandidatin werden und muss sich den Rückhalt der Partei sichern - mehrere Personen äußerten sich wohlwollend.
"Ich fühle mich geehrt, die Unterstützung des Präsidenten zu haben, und ich habe die Absicht, diese Nominierung zu verdienen und zu gewinnen", teilte Harris in einer schriftlichen Stellungnahme mit. Die 59-Jährige erklärte, sie werde alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Demokratische Partei und die Nation zu vereinen und den republikanischen Bewerber Donald Trump zu schlagen.
Die Entscheidung über die Kandidatur liegt am Ende bei Delegierten der Demokratischen Partei aus allen Bundesstaaten. Die Demokraten nominieren ihren Präsidentschaftskandidaten offiziell bei einem Parteitag in Chicago Mitte August. Harris benötigt die Unterstützung von 1.969 der 3.936 demokratischen Delegierten, um ihre Nominierung zu sichern.
Die Vorsitzenden der demokratischen Parteien der US-Bundesstaaten stellen sich nach dem Rückzug von US-Präsident Joe Biden geschlossen hinter Vizepräsidentin Kamala Harris als neue Präsidentschaftskandidatin. "Nach der Ankündigung von Präsident Biden haben sich unsere Mitglieder sofort versammelt, um sich hinter der Kandidatin zu vereinen, die bereits in schwierigen Wahlkämpfen erfolgreich war und sich als Führungspersönlichkeit in den Bereichen bewährt hat, die den Amerikanern wichtig sind: reproduktive Freiheit, Verhinderung von Waffengewalt, Klimaschutz, Justizreform und Wiederaufbau der Wirtschaft", teilte der Präsident der Vereinigung der Demokratischen Parteikomitees der US-Bundesstaaten ("Association of State Democratic Committees"), Ken Martin, am Sonntag mit. "Diese Person ist unsere amtierende Vizepräsidentin Kamala Harris."
Harris im Wahlkampfmodus
Harris ist sehr schnell in den Wahlkampfmodus gewechselt. Bereits am Sonntag hätten Wahlkampfstrategen und Verbündete Hunderte von demokratischen Delegierten des im August bevorstehenden Nominierungsparteitages angerufen, berichteten mehrere Quellen. In den Anrufen seien die Delegierten aufgefordert worden, sich nach dem Rückzug von Joe Biden sofort zu Harris zu bekennen und keine Gegenkandidaten zu unterstützen. Harris selbst habe bereits mit dem Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, gesprochen, der als potenzieller Kandidat für den Vizepräsidentschaftsposten der Demokraten gilt. Sie habe auch mit dem Vorsitzenden der Demokraten im US-Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, und dem Vorsitzenden der Gruppe schwarzer Kongressabgeordneter, Steven Horsford, gesprochen, sagt ein Insider.
Die als mögliche Ersatzkandidatin gehandelte demokratische Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, will sich laut einem Bericht der Agentur Bloomberg nicht als Kandidatin aufstellen lassen. Auch der einflussreiche Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, wurde wiederholt als Alternative genannt, unterstützt nun aber Harris. Auf X nannte er sie "Stark. Furchtlos. Hartnäckig." Auch der Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, und US-Verkehrsminister Pete Buttigieg, die beide als mögliche Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten gehandelt werden, sprachen sich öffentlich für Harris aus.
Wenige Stunden nach Bidens Rückzug erschien die Chance zunächst gering, dass Harris einen ernsthaften innerparteilichen Konkurrenten bekommt. Nach Berichten einiger US-Medien erwägt der als Quertreiber bekannte Senator Joe Manchin, anzutreten. Chancen dürfte er nicht haben.
Der 81-Jährige Biden erklärte, es sei im Wahljahr 2020 seine beste Entscheidung gewesen, Harris als Vizekandidatin auszuwählen. Er spreche ihr daher seine volle Unterstützung aus, als Kandidatin der Demokratin bei der anstehenden Wahl anzutreten. Biden rief seine Anhänger auf, für die Wahlkampagne von Harris zu spenden. US-Medien zufolge kamen nach Bidens Entscheidung wieder Millionenspenden herein.
Die Entscheidung Bidens im Wortlaut
„Meine amerikanischen Mitbürger,
in den vergangenen dreieinhalb Jahren haben wir als Nation große Fortschritte gemacht.
Heute verfügt Amerika über die stärkste Wirtschaft der Welt. Wir haben historische Investitionen in den Wiederaufbau unserer Nation getätigt, die Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente für ältere Menschen gesenkt und eine erschwingliche Gesundheitsversorgung auf eine Rekordzahl von Amerikanern ausgeweitet haben. Wir haben dringend benötigte Unterstützung für eine Million Veteranen bereitgestellt, die giftigen Substanzen ausgesetzt waren. Das erste Gesetz zur Waffensicherheit seit 30 Jahren verabschiedet. Die erste afroamerikanische Frau für den Supreme Court ernannt. Und die bedeutendste Klimagesetzgebung in der Weltgeschichte verabschiedet. Amerika war nie besser aufgestellt, um zu führen, als wir es heute sind.
Ich weiß, dass nichts davon ohne Sie, das amerikanische Volk, hätte geschafft werden können. Zusammen haben wir eine Jahrhundert-Pandemie und die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression überwunden. Wir haben unsere Demokratie geschützt und erhalten. Und wir haben unsere Bündnisse rund um die Welt neu belebt und gestärkt.
Es war die größte Ehre meines Lebens, als Ihr Präsident zu dienen. Und auch wenn es meine Absicht war, die Wiederwahl anzustreben, glaube ich, dass es im besten Interesse meiner Partei und des Landes ist, beiseite zu treten und mich ausschließlich auf die Erfüllung meiner Pflichten als Präsident für den Rest meiner Amtszeit zu konzentrieren.
Ich werde später in dieser Woche über meine Entscheidung ausführlicher zur Nation sprechen.
Lassen Sie mich fürs Erste meine tiefe Dankbarkeit gegenüber all denjenigen aussprechen, die so hart dafür gearbeitet haben, mich wiedergewählt zu sehen. Ich möchte Vizepräsidentin Kamala Harris danken, dass sie bei dieser ganzen Arbeit eine außergewöhnliche Partnerin gewesen ist. Und lassen Sie mich meine aus tiefem Herzen empfundene Wertschätzung für das amerikanische Volk zum Ausdruck bringen für den Glauben und das Vertrauen, die Sie in mich gesetzt haben.
Ich glaube heute, wie ich es schon immer getan habe: dass es nichts gibt, das Amerika nicht tun kann - wenn wir es gemeinsam tun. Wir müssen uns nur daran erinnern, dass wir die Vereinigten Staaten von Amerika sind.“
Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und seine Frau Hilary, die 2016 als demokratische Präsidentschaftskandidatin die Wahl gegen Trump verlor, unterstützen Harris als neue Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, wie sie in einer Stellungnahme erklärten. Der frühere US-Präsident Barack Obama lobte Bidens Rückzug, stellte sich aber nicht öffentlich hinter Harris als Ersatzkandidatin. Biden habe „wieder einmal die Interessen des amerikanischen Volkes über seine eigenen stellt“. Biden sei ein „Patriot von höchstem Rang“.
Trump: Harris sei leichter zu schlagen
Trump sagte dem US-Sender CNN, seiner Ansicht nach sei es leichter, Harris in dem US-Präsidentschaftswahlen im November zu schlagen als Biden. Wenige Stunden darauf setzte er auf der von ihm mitbegründeten Plattform Truth Social einen wütenden Kommentar ab. Sein Wahlkampfteam habe Zeit und Geld in "den Kampf gegen den betrügerischen Joe Biden" investiert. "Jetzt müssen wir wieder von vorne anfangen", schrieb er.
Auch der US-Vizepräsidentschaftskandidat der Republikaner, J.D. Vance, äußerte sich. "Joe Biden war der schlechteste Präsident meines Lebens, und Kamala Harris hat ihn auf Schritt und Tritt begleitet", schrieb er auf X und warf Harris vor, Bidens "Politik der offenen Grenzen und des grünen Betrugs" mitzuverantworten.
In den vergangenen Wochen war der 81-jährige US-Präsident Biden wegen seines Alters und seines mentalen Zustandes in der eigenen Partei massiv unter Druck geraten. Bidens Rückzug so kurz vor der Wahl ist eine dramatische und heikle Wende. "Obwohl es meine Absicht war, mich um eine Wiederwahl zu bemühen, glaube ich, dass es im besten Interesse meiner Partei und des Landes ist, wenn ich mich zurückziehe und mich für den Rest meiner Amtszeit ausschließlich auf die Erfüllung meiner Pflichten als Präsident konzentriere", schrieb der Demokrat. "Ich werde im Laufe dieser Woche vor der Nation ausführlicher über meine Entscheidung sprechen."
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Nach Informationen aus Regierungskreisen soll der Rückzug auf schlechte Umfragewerte zurückzuführen sein. Biden habe sich in den vergangenen 48 Stunden intensiv mit jüngsten Umfrageergebnissen befasst, sagten zwei mit der Angelegenheit vertrauten Personen aus dem US-Präsidialamt. Die Daten hätten auf sinkende Chancen für eine erfolgreiche Wiederwahl hingedeutet. Die Entscheidung zum Rückzug sei kurzfristig gefallen. (APA/dpa/Reuters)
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