Flächenbrand in Nahost droht

Auch Hamas-Militärchef angeblich getötet, Irans oberster Führer Khamenei befiehlt Angriff auf Israel

Ayatollah Ali Khamenei erklärte, es werde „eine harte Bestrafung“ für den gezielten israelischen Angriff in Teheran geben.
© IMAGO/Iranian Supreme Leader S Office

Nach Israels gezielter Tötung von Hamas-Auslandschef Haniyeh in Teheran beschleunigt sich die Eskalation im Nahen Osten rasant. Israel erklärte am Donnerstag, auch Hamas-Militärchef Deif getötet zu haben. Die Welt ist in großer Sorge vor einem verheerenden Flächenbrand.

Teheran – Nach der Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Haniyeh in Teheran hat Israel einen weiteren der führenden Köpfe der militanten Palästinenser-Organisation für "eliminiert" erklärt: Hamas-Militärchef Mohammed Deif. Das Militär teilte auf der Plattform X und über WhatsApp mit, man könne nun bestätigen, dass Deif getötet worden sei. Der Angriff auf Deif im Gazastreifen war Mitte Juli erfolgt.

"Die IDF (Israelische Streitkräfte) geben bekannt, dass IDF-Kampfjets am 13. Juli 2024 in der Gegend von Khan Younis angegriffen haben. Nach einer Auswertung des Geheimdienstes kann bestätigt werden, dass Mohammed Deif bei dem Angriff eliminiert wurde", teilte das Militär mit. Von der Hamas war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

Nach einer Auswertung des Geheimdienstes kann bestätigt werden, dass Mohammed Deif bei dem Angriff eliminiert wurde.
Israelisches Militär

Deif galt neben dem am Mittwoch im Iran getöteten Hamas-Politchef Haniyeh und dem im Gazastreifen vermuteten Yahya Sinwar als Drahtzieher des Großangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Damit sind drei der einflussreichsten Männer von Iran-unterstützten, israelfeindlichen Organisationen binnen kürzester Zeit getötet bzw. für tot erklärt worden.

Israels Armee in höchster Alarmbereitschaft

Vor Bekanntgabe der Tötung Deifs hatten die Tötung Haniyehs und die Tötung eines Hisbollah-Kommandanten in der libanesischen Hauptstadt Beirut zu höchster Anspannung im Nahen Osten geführt. In Erwartung möglicher Vergeltungsschläge nach den Angriffen in Beirut und Teheran befindet sich die israelische Armee nach Medienberichten in höchster Alarmbereitschaft. Der israelische Rundfunk meldete am Donnerstag, die Luftabwehr des Landes sei in maximaler Bereitschaft.

Der israelische Rundfunk berichtete, in Israel rechne man damit, dass die Hisbollah eine "starke Vergeltung" plane. Ungeachtet der Drohungen hat die israelische Heimatfront ihre Anweisungen an die israelische Zivilbevölkerung bisher nicht verändert.

Khamenei: „Rache ist Pflicht des Iran“

Der oberste geistliche Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, will einem Bericht zufolge einen direkten Angriff auf Israel. Khamenei habe einen entsprechenden Befehl erteilt, berichtete die "New York Times" unter Berufung auf drei über den Befehl informierte iranische Beamte, darunter zwei Mitglieder der iranischen Elitestreitmacht, den Revolutionsgarden.

Die iranische Führung hatte bereits zuvor empört reagiert. Rache sei die Pflicht des Iran, da Haniyeh auf iranischem Boden getötet worden sei, sagte Khamenei. "Es wird eine harte Bestrafung geben." Khamenei sagte weiter, das ganze Land trauere um einen mutigen und heiligen Krieger. Präsident Pezeshkian drohte, der Iran werde dafür sorgen, dass "die terroristischen Besatzer ihre feige Tat" bereuten. Der Iran und die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas machten Israel für den Angriff verantwortlich, die Hamas sprach von einer "schweren Eskalation".

Für jede Aggression gegen Israel, egal von welcher Seite, wird ein hoher Preis gezahlt werden
Benjamin Netanyahu, israelischer Ministerpräsident

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu warnte nach den tödlichen Angriffen auf Haniyeh und den Hisbollah-Kommandanten Muhsin "Fuad" Shukr am Dienstagabend in einem Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut vor Rachemaßnahmen. "Für jede Aggression gegen Israel, egal von welcher Seite, wird ein hoher Preis gezahlt werden", sagte Netanyahu am Mittwochabend in einer TV-Ansprache. "Bürger Israels, es liegen schwierige Tage vor uns. Seit dem Anschlag in Beirut gibt es Drohungen aus allen Richtungen", erklärte er mit Blick auf die Ankündigungen des Iran und der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah, Vergeltung zu üben.

In Teheran versammelten sich Tausende, um gegen die Tötung des Hamas-Führers zu protestieren.
© AFP

"Wir sind auf jedes Szenario vorbereitet und werden uns geschlossen und entschlossen gegen jede Bedrohung stellen", sagte Netanyahu. Israel habe in den vergangenen Tagen den Stellvertretern des Irans, darunter der Hamas und der Hisbollah, vernichtende Schläge versetzt.

Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats

Angesichts einer möglichen Ausweitung des Krieges in Nahost trat der UNO-Sicherheitsrat in New York zu einer vom Iran beantragten und von China, Russland und Algerien unterstützten Dringlichkeitssitzung zusammen. "Es bedarf dringend diplomatischer Bemühungen, um die Richtung zu ändern und einen Weg zu regionalem Frieden und Stabilität zu finden", sagte die UNO-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo, vor dem Weltsicherheitsrat. "Die Kommunikation mittels Raketen, bewaffneten Drohnen und anderen tödlichen Angriffen muss ein Ende haben."

Der Weltsicherheitsrat mahnte schließlich dringend zur Deeskalation. Alle Aktionen, "die den gesamten Nahen Osten in den Abgrund treiben könnten", müssten vermieden werden, ließ UNO-Generalsekretär António Guterres in New York mitteilen.

Iran fordert Schritte des UN-Sicherheitsrats gegen Israel

Der Iran rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, gegen Israel vorzugehen. Die mutmaßlich von Israel ausgeführte Tat in der iranischen Hauptstadt Teheran verstoße gegen internationales Recht und "deutet auf eine Absicht hin, den Konflikt zu eskalieren und den Krieg auf die gesamte Region auszudehnen", sagte der iranische UNO-Botschafter Amir Saeid Iravani vor dem Weltsicherheitsrat in New York.

📽️ Video | Eskalation in Nahost: Was droht als nächstes?

Der stellvertretende israelische Botschafter Jonathan Miller sagte, der Iran destabilisiere den gesamten Nahen Osten, indem die Islamische Republik Stellvertreter-Gruppen finanziere - als solche gelten insbesondere die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon und die mit ihr verbündete Hamas im Gazastreifen. "Wir fordern daher, dass dieser Rat den Iran für seine anhaltende Unterstützung des regionalen Terrorismus verurteilt und die Sanktionen gegen Teheran verschärft", sagte Miller.

Hamas: „Verbrechen, das bestraft werden muss“

Der stellvertretende Hamas-Chef im Gazastreifen, Khalil al-Hayya, erklärte am Mittwoch in Teheran, weder die Hamas noch der Iran wollten einen Krieg in der ganzen Region. Es gebe jedoch ein Verbrechen, das bestraft werden müsse. Haniyeh wurde nach Darstellung der islamistischen Terrororganisation bei einem gezielten Raketenangriff in Teheran getötet. "Eine Rakete traf den Raum, in dem Ismail Haniyeh sich aufhielt, und er wurde direkt getroffen", sagte Hayya.

Der Iran machte auch Israels wichtigsten Verbündeten USA für den Tod von Haniyeh verantwortlich. "Auch die USA sind für diesen brutalen Terrorakt verantwortlich", hieß es in einer Mitteilung des iranischen Außenministeriums. Washington habe die israelische Regierung schon immer unterstützt und deren Verbrechen stets befürwortet. Daher spielten die USA auch in diesem Vorfall eine Rolle.

US-Außenminister Blinken: „Waren nicht informiert“

Die USA betonten hingegen, in den tödlichen Angriff auf Haniyeh weder involviert noch darüber informiert worden zu sein. "Wir hatten davon keine Kenntnis und waren nicht beteiligt", sagte Außenminister Antony Blinken dem Sender Channel News Asia bei einem Besuch in Singapur. Die USA zeigten sich "besorgt" über eine mögliche Eskalation in Nahost. "Wir sind natürlich besorgt über eine Eskalation", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, vor Journalisten. "Die Berichte der letzten 24, 48 Stunden tragen sicherlich nicht dazu bei, dass die Temperatur sinkt", sagte er.

Washington beobachte die Entwicklungen genau. "Es ist nicht so, dass wir die Bedenken einfach beiseite schieben. Wir beobachten dies sehr, sehr genau", sagte Kirby. Dies sei eine der "vorrangigen Sorgen" von US-Präsident Joe Biden. Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Israel und der Hisbollah setzten die USA ihre Reisewarnungen für den Libanon auf die höchste Stufe.

Die israelische Regierung wollte sich zum Tod des Hamas-Anführers nicht äußern. "Wir kommentieren diesen speziellen Vorfall nicht", sagte Sprecher David Mencer. Israel fühle sich den Verhandlungen für eine Waffenruhe im Gazastreifen verpflichtet. Es wolle eine Vereinbarung zur Freilassung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln.

EU kritisiert Israel und ruft zu „Zurückhaltung“ auf

Die Europäische Union rief nach dem tödlichen Angriff auf Haniyeh alle Konfliktparteien auf, "größtmögliche Zurückhaltung" zu üben und eine weitere Eskalation zu vermeiden. Die EU vertrete grundsätzlich eine Position, "die außergerichtliche Hinrichtungen ablehnt und die Rechtsstaatlichkeit unterstützt, auch im Rahmen der internationalen Strafgerichtsbarkeit", erklärte Peter Stano, Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, am Mittwoch.

Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock rief die deutschen Bürger im Libanon zur sofortigen Ausreise auf. "Ich appelliere erneut an alle deutschen Staatsangehörigen in Libanon auszureisen, solange das möglich ist", zitierte das Auswärtige Amt Baerbock (Grüne). In der angespannten Lage könne jede Entscheidung Entspannung bedeuten oder Öl ins Feuer gießen. "Ich rufe alle - insbesondere Iran - zu Zurückhaltung & Deeskalation auf: für die Menschen in der Region", zitierte das Außenministerium Baerbock weiter. (TT.com, APA/Reuters/dpa/AFP)

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