Warum zwischen Israels Premier und seinem Verteidigungschef die Fetzen fliegen
Israel steht am Scheideweg: Entweder die Geiseln zurückholen und alle Fronten beruhigen, oder auf militärischen Sieg setzen – und damit das Leben der Geiseln riskieren.
Tel Aviv – Seit Israel den Hamas-Führer Ismael Haniyeh im Iran getötet hat, bangt das Land vor der angekündigten Vergeltung des Iran. Israel und die USA gehen davon aus, dass es noch in dieser Woche zu einem direkten militärischen Angriff kommt. Die USA haben einen zusätzlichen Flugzeugträger in die Region beordert.
Im Angesicht dieser Bedrohung ist in Israels Regierung offener Streit ausgebrochen. Verteidigungsminister Yoav Gallant richtet seinem Regierungschef aus, dessen Gerede vom totalen Sieg sei „Nonsens“. Woraufhin Premier Benjamin Netanjahu konterte, der Verteidigungsminister habe eine „anti-israelische“ Haltung.
Der Streit hängt direkt mit der Sicherheitskrise zusammen. Denn es geht um das weitere Vorgehen im Viel-Fronten-Krieg gegen den Iran und dessen „Achse des Widerstands“, zu der u.a. auch die libanesische Hisbollah und die Houthis im Jemen gehören.
Militärs für Kriegsende
Verteidigungsminister Gallant sowie der Sicherheits- und Militärapparat sind angeblich für ein Abkommen mit der Hamas. Dadurch sollen alle Geiseln nach Hause kommen – im Gegenzug für das vorläufige Ende des Gaza-Kriegs. Darauf aufbauend könnten dann auch die anderen Fronten beruhigt werden. Hisbollah und Houthis wollen ihre Angriffe auf Israel ja aus Solidarität mit den Palästinensern gestartet haben.
Auf der Gegenseite steht die kriegerische Rhetorik von Premier Netanjahu und seinen rechtsradikalen Koalitionspartnern, die auf militärische Expansion setzen. Kritiker werfen ihnen schon lange vor, den Krieg fortzusetzen, um an der Macht zu bleiben – und dafür die Geiseln zu opfern. Erst am Montagabend hatte die Hamas mitgeteilt, als „Reaktion auf die israelischen Verbrechen“ sei eine Geisel getötet worden.
Rüffel für den Minister
Vor diesem Hintergrund trat Verteidigungsminister Gallant in einem Ausschuss des Parlaments auf. Laut israelischen Medien sagte er hinter verschlossenen Türen, Israel stehe an einem Scheideweg. Seinem Premier warf er vor, die „Kriegstrommeln“ zu rühren. Dessen Büro bekräftigte, die einzige Option sei ein entscheidender Sieg gegen die Hamas. Diese Direktive sei auch für den Verteidigungsminister bindend.
Netanjahu hat seinen Parteikollegen Gallant im Vorjahr schon einmal gefeuert – damals wegen Kritik an der Justizreform –, und dies nach öffentlichen Protesten rückgängig gemacht. Zudem fungiert Gallant als Verbindungsmann zur Biden-Administration in Washington, mit der Netanjahu im Clinch liegt. Jetzt allerdings gibt es neue Spekulationen über eine mögliche Entlassung des Verteidigungsministers.
Der Zeitpunkt ist brisant: Für Donnerstag ist eine weitere Verhandlungsrunde über ein Abkommen mit der Hamas angesetzt. Gerüchtehalber könnte der Iran diese noch abwarten und danach losschlagen. Die Hamas allerdings wollte zumindest bis Dienstag gar nicht daran teilnehmen und forderte stattdessen, endlich einen Plan von US-Präsident Joe Biden vom Mai umzusetzen. Darin sind u.a. die Freilassung der Geiseln und ein Waffenstillstand enthalten. Das erhöht den Druck auf Netanjahu.
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