Verbrechen des Ökozids: Firmenbosse vor den Internationalen Strafgerichtshof?
Versinkende Inselstaaten wollen, dass der „Ökozid“ als international strafbares Verbrechen eingestuft wird. Wenn es ihnen gelingt, die Statuten des Weltstrafgerichtshofs zu ändern, müssen Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft in Zukunft besser aufpassen.
Den Haag – Kritiker halten es für das schädlichste Projekt auf dem Planeten: die Förderung von Ölsand in der kanadischen Provinz Alberta. Um fossilen Brennstoff zu gewinnen, soll dort auf einer Fläche größer als Österreich die Wildnis gerodet und der Boden umgegraben werden. Um das Bitumen aus dem Ölsand zu lösen, braucht es zudem viel Energie und Wasser. Zurück bleiben Ödland und giftige Abfälle.
An dem Projekt sollen auch europäische Ölkonzerne und Banken beteiligt sein. Es gilt als Musterbeispiel für einen „Ökozid“ – für eine von Menschen herbeigeführte massive Umweltzerstörung. Andere Beispiele reichen von der Entsorgung von Atommüll über den flächendeckenden Einsatz von Pestiziden bis zur Zerstörung des Großen Barriere-Riffs bei Australien. Im Ukraine-Krieg wird Russland ein Ökozid vorgeworfen – nämlich die Sprengung des Kachowka-Staudamms im vergangenen Jahr.
Insulaner an der Front
Wenn es nach den pazifischen Inselstaaten Vanuatu, Fidschi and Samoa geht, müssen sich die Verantwortlichen für solche Ökozide in Zukunft vor dem Weltstrafgerichtshof in Den Haag verantworten. Die drei Staaten leiden unter dem steigenden Meeresspiegel und immer heftigeren Stürmen. Sie stehen deshalb an vorderster Front, wenn es um den Kampf gegen Klimawandel und Umweltzerstörung geht. Am Montag haben sie in Den Haag formal beantragt, die Ahnung von Ökoziden in die Statuten aufzunehmen.
Der Weltstrafgerichtshof ahndet Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn der zuständige Staat dazu nicht willens oder in der Lage ist. 2010 kam im Zuge einer Statutenänderung das Verbrechen der Aggression hinzu, das nun auf die Invasion Russlands in der Ukraine angewendet werden kann. Auf die gleiche Weise soll der Ökozid hinzugefügt werden, fordern die Inselstaaten.
USA und China nicht dabei
In ihrer Eingabe in Den Haag definieren sie Ökozid unter anderem als „rechtswidrige oder vorsätzliche Handlungen“, die sehr wahrscheinlich „schwere und entweder weitreichende oder langfristige Umweltschäden“ verursachen. Die Debatte darüber dürfte Jahre dauern. Eine Statutenänderung muss von mindestens zwei Drittel der 124 Mitgliedstaaten des Gerichts verabschiedet werden. Der neue Straftatbestand kann dann allerdings nur für jene Länder angewendet werden, die zugestimmt haben.
Kritiker des Vorstoßes gibt es viele. Sie verweisen auf die massiven Widerstände, die etwa von Petrostaaten zu erwarten sind. Um das neue Statut durchzubringen, muss es womöglich abgeschwächt werden, sodass es kaum noch greift. Außerdem sind China, die USA, Indien, Russland und andere bisher gar keine Mitglieder des Gerichts.
Menschen fordern Verantwortung
Die Befürworter verweisen auf den internationalen Trend. In Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Spanien ist der Ökozid bereits strafbar. In Brasilien, Mexiko und Schottland sind entsprechende Gesetze in Vorbereitung. Auch die Bevölkerungen sind dafür. In einer Ipsos-Umfrage gaben erst kürzlich 72 Prozent der Befragten an, dass Entscheidungsträger, die schwere Umwelt- und Klimaschäden genehmigt haben, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollen. Die Umfrage wurde unter 22.000 Menschen in 22 Ländern durchgeführt, darunter fast alle G20-Staaten.
Gerichtsverfahren sind aber nur das letzte Mittel. Umweltschützer hoffen auf eine abschreckende Wirkung nach dem Prinzip: Wer mit Strafverfolgung rechnen muss, agiert vorsichtiger. „Das Strafrecht schafft starke moralische und rechtliche Grenzen und macht deutlich, dass extreme Schäden nicht nur ungesetzlich, sondern völlig inakzeptabel sind“, erklärte die Organisation Stop Ecocide International. Zu ihren Unterstützern zählen unter anderem UNO-Generalsekretär António Guterres, Papst Franziskus, der Musiker Paul McCartney und die Klima-Aktivistin Greta Thunberg.