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Unsichtbarer Krieg im Armenhaus von Mosambik

Er ist kaum zu sehen. Da und dort ein zerstörtes oder verwüstetes Haus oder die riesigen Camps für im Land Vertriebene, denen man an den Rändern vieler Dörfer begegnet, mehr nicht. Aber zu hören ist vom Krieg in der nordmosambikanischen Provinz Cabo Delgado immer wieder. Es gibt kaum Bewohnerinnen oder Bewohner, die nicht von den Gräueln erzählen können. Seit Oktober 2017 kämpft die nordmosambikanische Jihadistenmiliz Al-Shabaab um die Kontrolle in Cabo Delgado.

Dabei verüben die Terroristen immer wieder Überfälle auf Dörfer und Städte. So etwa im vergangenen Mai auf die Bezirkshauptstadt Macomia, etwa 80 Kilometer Luftlinie von der Provinzhauptstadt Pemba entfernt, wo Al-Shabaab mindestens 18 mosambikanische und südafrikanische Soldaten tötete, Autos und Trucks von Hilfsorganisationen stahl, Lager von NGOs plünderte und mehrere ausländische NGO-Vertreter als Geiseln nahmen. Manche sind noch immer in Gefangenschaft der Jihadisten, denen es in diesem Fall um Lösegeld geht.

"Wir waren in Macomia, um die Verteilung von verschiedenen Hilfsgütern - keine Nahrungsmittel - durchzuführen", schildert ein NGO-Vertreter der APA. Er ist mit dem Leben davongekommen, will aber zu seinem Schutz und dem seiner Organisation den Namen nicht nennen. "Wir haben am 9. Mai bei einer Verteilungsaktion in einem Dorf Gerüchte gehört, dass mehr als 500 Kämpfer in einer Gemeinde und rund 400 in einer anderen eingesickert sind." Da habe man bereits gewusst, dass eine Aktion geplant sei.

"Wir warteten eigentlich jeden Tag darauf, dass sich so etwas ereignet", erzählt der Mann weiter. Bereits früher im Jahr verübten die Terroristen in der Nähe von Macomia Attacken auf Soldaten. Nicht nur die mosambikanische Armee ist in der ärmsten Provinz Mosambiks im Einsatz, auch ruandische und tansanische Soldaten - letztere sollen vor allem die Grenze zu ihrem eigenen Land schützen - gehen gegen Al-Shabaab vor. Die SAMIM-Mission, bei der die Truppen von acht der 16 Mitgliedsstaaten der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) beteiligt sind, geht unterdessen zu Ende. 2.200 Soldaten haben das Land größtenteils verlassen. Ruanda hat umgekehrt sein Kontingent um 2.500 Soldaten auf 3.500 erhöht.

"Aufgrund dieser Überfälle wussten wir, dass sie Macomia irgendwann angreifen werden", sagt der NGO-Vertreter. Am 10. Mai war es soweit. Er selbst, als Teamleader seiner Organisation im Einsatz, sah einen der Kämpfer aus 150 Metern - und dieser ihn. "Wenn er uns töten hätte wollen, hätte er es getan." Mit Schüssen in die Luft trieben die Al-Shabaab-Kämpfer die Bewohner in die Flucht. "Wir beobachteten, wie die Menschen davonrannten." Dabei habe er auch gesehen, wie Erwachsene ihre Kinder zurückließen. "Es zerbrach mein Herz."

Auch er und sein Team rannten, um sich im Busch zu verstecken. Dann griffen die Soldaten die Terroristen an, über die Köpfe der Geflüchteten hinweg. "Wir waren mittendrin." Mindestens 18 Soldaten starben an diesem Tag. "Das Militär hatte keine gute Strategie", konstatiert der humanitäre Katastrophenhelfer.

Das Team hatte Glück: "Wir waren gut organisiert, wir verloren keine Menschen", wie der NGO-Vertreter sagt. Seiner Gruppe wurden allerdings Fahrzeuge gestohlen. Ausländische Vertreter anderer Organisationen gerieten in die Gewalt der Al-Shabaab-Kämpfer und sind das teilweise immer noch, weil sich die Lösegeldverhandlungen hinziehen.

Der Katastrophenhelfer schildert auch, dass die Terroristen anders als früher in Macomia der Zivilbevölkerung bedeuteten, sie seien nicht deren Feinde. Das konterkarierten sie allerdings selbst. Zwei Frauen wurden mit ihren Kindern verschleppt, im Busch ein getöteter Mann gefunden.

Der Konflikt tobt in einer Region, die ohnehin das Armenhaus Mosambiks ist. Mosambik ist insgesamt im Index der menschlichen Entwicklung 2022 an 183. Stelle von 193 Ländern. Cabo Delgado, die Provinz an der Nordgrenze zu Tansania gelegen, zählt zu den Regionen, die 2019 massiv durch den Zyklon "Kenneth" getroffen wurden. In den vergangenen Jahren herrschte meist Dürre mit viel zu geringen Regenmengen auch während der nassen Saison. Chronischer Wassermangel ist die Folge, überhaupt Anfang September während der Trockenzeit.

Dabei hätte die mehrheitlich muslimische Provinz durchaus das Zeug zu einem gewissen Wohlstand: Cabo Delgado am Indischen Ozean hat große Gasvorkommen. Das könnte oder dürfte wohl einer der Gründe für die Al-Shabaab-Aktivitäten sein.

Doch wer hinter der Terrorgruppe steckt, ist eine der zahlreichen offenen Fragen. Gerüchte gibt es viele, Fakten hingegen kaum. Als gesichert gilt, dass Al-Shabaab in Mosambik nichts mit der gleichnamigen Gruppierung in Somalia zu tun hat, außer dass beide jihadistischen Hintergrund haben. Anders als die somalischen Al-Shabaab besteht bei den mosambikanischen Terroristen offenbar ein Naheverhältnis zum Islamischen Staat (IS). Nicht zufällig feierte der IS den Überfall in Macomia auf seinen Internetkanälen als großen Erfolg.

Als relativ gesichert gilt auch, dass die meisten Mitglieder der Gruppe in Mosambik nicht aus dem Land selbst kommen, sondern aus Tansania. Das wurde der APA von mehreren Gesprächspartnern unabhängig voneinander bestätigt. Neben Mosambikanern sollen aber auch Somalier mitmischen.

Zum Überfall in Macomia gibt es darüber hinaus mehrere Berichte, dass die Islamisten auch Kindersoldaten benutzten. "Human Rights Watch" etwa berichtete, dass 13-Jährige bei dem Angriff dabei waren, und machte darauf aufmerksam, dass die Rekrutierung und Verwendung von Kindern als Soldaten Kriegsverbrechen darstellt. Dazu passen mehrere voneinander unabhängige Berichte - auch der APA gegenüber -, dass immer wieder Kinder bei den Attacken von Al-Shabaab verschleppt wurden und nicht wieder aufgetaucht sind.

Dazu gibt es zahlreiche Spekulationen um die Stärke der Gruppe und wie bzw. von wem sie unterstützt wird. "10.000 sind es sicher nicht, die Truppe muss sich ja auch versorgen. Maximal 5.000 Kämpfer werden es sein. Was aber Grund zur Sorge bereitet: Die Gruppe hat offenbar großen Zulauf", sagt ein mit dem Thema befasster Mosambikaner. Zu den Hinterleuten gibt es nur Spekulationen: Eine davon besagt, dass Al-Shabaab von einem Golfstaat finanziert wird, eine weitere, dass Finanziers in Kenia sitzen sollen. Auch Kreise in Tansania kamen in dem Zusammenhang zur Sprache. Dagegen spricht aber klar das tansanische Engagement auf mosambikanischem Gebiet mit Unterstützung der Regierung in Maputo.

Immer wieder wurde auch in den Gesprächen mit der APA die Frage gestellt, warum die mosambikanische Armee mit den Terroristen nicht aufräumt, obwohl sie militärisch - überhaupt mit der Unterstützung der Ruander - wohl dazu in der Lage wäre. Spekulationen in dem Zusammenhang gehen dahin, dass ein äußeres Feindbild manchen politisch einflussreichen Kreisen in Maputo durchaus nicht ungelegen kommt. Verwiesen wurde in dem Zusammenhang auch darauf, dass Anfang Oktober Wahlen in Mosambik stattfinden.

Was auch immer davon wahr ist und was nicht, Erfolgsmeldungen nach dem relativ ruhigen Jahr 2023, wonach man Al-Shabaab zurückgedrängt und Cabo Delgado unter Kontrolle habe, scheinen aufgrund der Aktivitäten der Terroristen im heurigen Jahr verfrüht. Ebenso ist aus schon erwähnten Gründen den Gedanken an einen Strategiewechsel der Gruppe, wonach sich die Überfälle nicht mehr gegen die Zivilbevölkerung richten, wenig Glauben zu schenken.

Die Menschen in Cabo Delgado leben - nach wie vor - in großer Furcht, auch wenn einige aus den Lagern für intern Vertriebene in ihre Dörfer zurückgekehrt sind. Kein Wunder bei den von Al-Shabaab verübten Gräueln, von denen die Bewohner erzählen. Wie die 40-jährige Lea (Name und Alter geändert, Anm.), die im Raum Nangade unweit der tansanischen Grenze neben ihren drei eigenen Kindern auch vier ihres ermordeten Bruders und ihrer gestorbenen Schwägerin großzieht. Ihr Dorf wurde erstmals im Februar 2021 überfallen, da flüchtete sie mit ihrer Familie in den Busch und in ein Flüchtlingslager. Ihr Bruder wurde von den Terroristen bei einem weiteren Angriff drei Monate später getötet.

"Er und seine Frau wurden von den Aufständischen auf dem Feld erwischt. Sie führten ihn in den Busch und zwangen seine Frau, sich auf den Boden zu setzen. Zwei ihrer Kinder, zwei und fünf Jahre alt, mussten sich neben sie setzen. Dann brachten sie ihr den Kopf ihres Mannes und legten ihn in ihren Schoß", schildert Lea. Ihre Schwägerin starb später ebenfalls, seither zieht sie ihre Nichten und Neffen auf.

Der 35-jährige Hakeem (Name und Alter geändert), der in einem Dorf im Bezirk Quissanga lebt, erzählt von der abendlichen Attacke im Jänner 2019 auf sein Dorf. "Als sie kamen, rannten wir in den Busch", schildert der gläubige Muslim. "Sie begannen, Häuser anzuzünden." Außerdem hätten sie zumindest zwei ältere Menschen gefangen genommen und umgebracht. Er selbst habe seinen ältesten Sohn verloren. "Er musste mit ihnen gehen." Hakeem hat keine Ahnung, was mit seinem Sohn passiert ist.

20 Tage blieben die Al-Shabaab-Kämpfer im Dorf. Er sei mit seiner Familie und zahlreichen anderen Dorfbewohnern in ein Camp gegangen. "Ich kam 2023 nach Hause. Wenn man leidet, ist es besser, zuhause zu leiden", sagt er. Die Terroristen hasst er und spricht ihnen ab, im Interesse des Islam zu agieren: "Das sind keine echten Muslime."

In einem Dorf ganz in der Nähe überlebte der 33-jährige Zefania (Name und Alter geändert, Anm.) einen Angriff von Al-Shabaab auf sein Dorf. Auch er und seine Familie, mitsamt der etwa 70-jährigen Großmutter Bongani - so genau weiß niemand ihr richtiges Alter -, flüchteten in den Busch. "Hungrig und durstig", wie er sagt, wanderten sie tagelang durch den Busch, bis in ein rund 110 Kilometer entferntes Flüchtlingscamp. Zefania trug Bongani dabei die ganze Zeit auf seinen Schultern. Angst war das eine, der Tod das andere: Viele aus dem Dorf überlebten den Marsch bis zum Camp nicht.

2023 kehrte die Familie ins Dorf zurück, übrig war nichts. Die Terroristen hatten alles, was nicht niet- und nagelfest war, geplündert. Davon müssen alle Heimkehrer ausgehen. Sie können noch von Glück reden, wenn sie ihr Haus ausgeräumt, aber sonst unversehrt finden. Viele der Lehmhütten werden angezündet. Nach welchen Kriterien die Al-Shabaab-Kämpfer dabei vorgehen, bleibt völlig im Verborgenen. Im Raum Nangade findet man ein von den Terroristen angezündetes Haus, an dem noch eine gelb-blau bemalte Fassade erkennbar ist. "Das haben sie angezündet, weil es ihnen zu schön war", meint der Dorfälteste und zuckt die Achseln.

Der Überfall in Macomia hat gezeigt, dass es für Hilfsorganisationen unglaublich schwierig und alles andere als sicher ist, der Bevölkerung die dringendst benötigte Hilfe zukommen zu lassen. "Wenn ich nach Hause komme, umarme ich normalerweise zuerst meine Kinder. Weil ich nicht weiß, was am nächsten Tag sein wird", schildert Jorge, der für CARE die Verteilung von Hilfsgütern in den Dörfern organisiert und so die schlimmste Not der Menschen zu lindern versucht. Viele andere Hilfsorganisationen trauen sich gar nicht mehr so weit ins Feld.

Macomia hat auch ihm gezeigt, in welche Gefahr er sich Tag für Tag begibt. "Aber ich liebe meinen Job", sagt Jorge. Ans Aufhören hat er auch nach dem Überfall auf NGO-Vertreter am 10. Mai keine Sekunde gedacht. "Wir wissen, dass wir nicht sicher sind. Aber das ist meine Mission, das ist mein Job", betont Jorge mit Tränen in den Augen.

(Von Gunther Lichtenhofer/APA)

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