Diplomatisches Stelldichein

Warum über 100 Staats- und Regierungschefs diese Woche nach New York pilgern

UNO-Generalsekretär Guterres bei der Generaldebatte des Vorjahres.
© imago/Xinhua

In der UNO-Generaldebatte erhält jedes Land 15 Minuten im weltpolitischen Scheinwerfer. Doch das Misstrauen zwischen den Großmächten lähmt die Weltorganisation, und die US-Wahl wirft ihren Schatten voraus.

New York – Fast acht Jahrzehnte nach ihrer Gründung steckt die Weltorganisation UNO in einer tiefen Krise. Sie kann ihrer wichtigsten Aufgabe, der Wahrung des Friedens in der Welt, nicht nachkommen. Die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine spalten die UNO-Mitglieder und den Weltsicherheitsrat. Dazu kommen zahlreiche andere Konflikte, die weniger Schlagzeilen machen, Aufrüstung, Klimawandel, Armut, Diskriminierung von Frauen und Minderheiten und die Migration, die aus all dem folgt.

UNO-Generalsekretär António Guterres hatte schon im Februar in München gesagt: „Die heutige globale Ordnung funktioniert nicht für alle. Ich würde sogar (...) sagen, dass sie für niemanden funktioniert.“ Auch der Bericht, den Guterres am Dienstag zum Start der diesjährigen UNO-Generaldebatte vorlegt, wird voraussichtlich düster ausfallen – und damit den Tonfall des diplomatischen Schaulaufens vorgeben.

Was ist die UNO-Generaldebatte?

Einmal im Jahr dürfen alle 193 Mitglieder der Vereinten Nationen ihre Weltsicht, ihre Kritik und ihre Forderungen vortragen. Die jeweils 15-minütigen Reden gelten als politischer Ausweis eines Landes. Aus diesem Anlass tummeln sich Präsidenten und Könige, Regierungschefs, Außenminister, Diplomaten, Vertreter von internationalen Organisationen, Außenpolitik-Experten und Journalisten aus aller Welt am Hauptsitz der UNO in New York. Das Spektakel zieht sich über eine ganze Woche.

Sitzen die Redner alle im großen Saal?

Nein. Im Saal sitzen Diplomaten der Mitgliedsländer. Trotzdem kann es lebendig werden, wenn applaudiert wird oder Delegationen aus Protest ausziehen. Die Spitzenpolitiker selbst nützen indessen die Gelegenheit für bilaterale Treffen. Am Rande der Generaldebatte können sie an einem Tag mehr Kollegen treffen als sonst in mehreren Monaten. Dazu kommen Gipfel und andere Veranstaltungen. Sogar EU-Treffen haben schon in New York stattgefunden, weil eh alle da waren.

Wer vertritt Österreich?

Für Österreich spricht traditionell der Außenminister. In den vergangenen Jahren waren zumeist auch der Bundespräsident und/oder der Bundeskanzler sowie weitere Minister in New York. Heuer allerdings beschäftigt sich Österreich mehr mit sich selbst. Bundespräsident Alexander Van der Bellen sagte mit Verweis auf das Hochwasser ab, und die Regierungspolitiker stecken im Finale des Wahlkampfs. Auch Außenminister Alexander Schallenberg absolviert ein verkürztes New York-Programm.

Was ist das größte Problem?

Die Blockade des Weltsicherheitsrats. Das mächtigste Gremium der Weltorganisation kann völkerrechtlich bindende Resolutionen verabschieden, Sanktionen verhängen und UNO-Missionen verabschieden. Es bildet aber noch immer die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg ab. Die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich verfügen über ein Veto. Und wann immer die Vetomächte gegensätzliche Interessen haben, geht nichts mehr weiter. Das war zwar auch früher so, aber in den vergangenen Jahren ist das Misstrauen zwischen den Großmächten gewachsen. Das erhöht jetzt den Druck auf die Vetomächte, sich doch für eine Reform des Weltsicherheitsrats zu öffnen.

Über wen reden alle?

Über einen, der gar nicht da ist: der frühere US-Präsident Donald Trump. Sollte er die Wahl im November gewinnen, könnte die Weltorganisation zum Kollateralschaden seiner „America First“-Politik werden. Unter Trump droht ein Rückzug der USA aus Teilen des UNO-Systems, und die USA könnten als größter Geldgeber ausfallen. Das ist zwar nicht offiziell Thema der diesjährigen Generaldebatte; aber alle wissen: Was sie jetzt besprechen oder beschließen, könnte nach der US-Wahl hinfällig sein.

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