Zustand von Hisbollah-Chef nach Israel-Attacke unklar
Nach dem Luftangriff Israels auf einen Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut herrscht Ungewissheit über den Gesundheitszustand von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Aus libanesischen Sicherheitskreisen hieß es: "Niemand kann genau sagen, wie es Nasrallah geht." Die iranische Nachrichtenagentur Tasnim wiederum berichtete unter Berufung auf "informierte Quellen", dass Nasrallah wohlauf sei. Über den tatsächlichen Zustand könne aber nur die Miliz selbst informieren.
Die proiranische Hisbollah-Miliz selbst äußerte sich auf Nachfrage zunächst nicht dazu. Der Luftangriff des israelischen Militärs galt dem Hauptquartier der schiitischen Miliz, das unter Wohngebäuden versteckt gewesen sein soll. Unbestätigten Medienberichten zufolge soll Nasrallah selbst Ziel des Angriffs gewesen sein. Nach der Attacke meldete das libanesische Gesundheitsministerium zwei Tote und 76 Verletzte, wie das libanesische Gesundheitsministerium mitteilte.
Ein israelischer Regierungsvertreter sagte, dass "führende Hisbollah-Kommandanten" das Ziel des Angriffs gewesen seien. Es sei noch zu früh zusagen, ob Nasrallah bei dem Schlag getroffen worden sei. Der Angriff könnte aber einen Kipppunkt in dem Konflikt darstellen. Einige Personen seien nämlich nicht zu ersetzen, und Nasrallah zähle dazu.
Scharfe Kritik am Luftangriff Israels kam von den Verbündeten der Hisbollah. Die jemenitische Houthi-Miliz sagte, dass der Angriff "die Tür zu einem offenen und umfassenden Krieg geöffnet" habe. Der einflussreiche iranische Ex-Parlamentspräsident Ali Larijani sprach vom Überschreiten einer "roten Linie" durch Israel. Das iranische Außenministerium übte scharfe Kritik an Israel. "Die fortgesetzten Verbrechen des zionistischen Regimes (...) zeigen deutlich, dass der Aufruf der USA und einiger westlicher Länder zu einem Waffenstillstand ein offenkundiger Betrug ist", kritisierte Ministeriumssprecher Nasser Kanaani mit Blick auf Israel.
US-Außenminister Antony Blinken sprach von einem "heiklen Moment" für den Nahen Osten und die Welt. Von den Entscheidungen der "nächsten Tage" hänge ab, in welche Richtung sich die Region entwickeln werde. Das Pentagon betonte, vom Schlag nicht im Voraus informiert worden zu sein. "Die Vereinigten Staaten waren nicht an diesem Einsatz beteiligt und wir wurden nicht vorab gewarnt", sagte die stellvertretende Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und sein israelischer Kollege Joav Galant hätten miteinander telefoniert, als der Einsatz bereits im Gange gewesen sei, fügte sie hinzu.
Nach dem Schlag gingen die Feindseligkeiten weiter. So flog die israelische Luftwaffe weitere Angriffe unter anderem auf Raketenabschussrampen im Libanon. Im Norden Israels ertönte am Abend Luftalarm. Die israelische Armee gab an, dass in der Stadt Safed ein Haus und ein Auto von einer Rakete der pro-iranischen Hisbollah direkt getroffen worden sei. Der israelische Rettungsdienst Magen David Adom erklärte, auf dem Weg zum Ort des Vorfalls zu sein. Die Hisbollah erklärte ihrerseits, die Stadt Safed angegriffen zu haben. Kämpfer hätten "Raketensalven" auf die Stadt abgefeuert, "um den Libanon und sein Volk zu verteidigen und um auf israelische Angriffe" auf Zivilisten zu reagieren, hieß es in einer Erklärung der Schiitenmiliz.
ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg sieht die Gefahr, dass es im Libanon zu einem "unglaublichen Flächenbrand" kommen könnte. Es sei eine Illusion zu glauben, "dass man im Nahen Osten mit dem Feuer spielen und das unter Kontrolle halten kann", sagte Schallenberg am Freitag nach einem Gespräch mit seinem iranischen Amtskollegen Abbas Araghchi bei der Generaldebatte der Vereinten Nationen in New York zur APA.
Ebendort hatte Israel Ministerpräsident Benjamin Netanyahu vor der UNO-Vollversammlung betont, die Attacken gegen die Hisbollah-Miliz fortzusetzen. "Wir werden die Hisbollah weiter unter Druck setzen, bis alle unsere Ziele erreicht sind", sagte Netanyahu. Die USA und andere Länder fordern eine dreiwöchige Waffenruhe, um eine diplomatische Lösung des Konflikts zu erreichen.
An das libanesische Volk gewandt sagte Netanyahu: "Wir befinden uns nicht im Krieg mit euch. Wir befinden uns im Krieg mit der Hisbollah, die euer Land gekapert hat und droht, unseres zu zerstören." Solange die Hisbollah den Weg des Krieges wähle, habe "Israel keine andere Wahl", sagte Netanyahu. Er fügte hinzu, Israel habe "jedes Recht, diese Bedrohung zu beseitigen und unsere Bürger sicher in ihre Heimat zurückzubringen, und genau das tun wir".
Die Hisbollah-Miliz beschießt Israel seit Beginn des Gazakrieges vor bald einem Jahr fast täglich. Sie will damit der Hamas im Gazastreifen im Kampf gegen Israel beistehen und eine Waffenruhe im Gazakrieg erreichen. Israel schoss lange jeweils in ähnlichem Umfang zurück. Das Land hat seine Luftangriffe im Libanon jedoch zuletzt massiv verstärkt. Hunderte Menschen wurden getötet.
Die Hisbollah ist eine vom Iran unterstützte Miliz und eine starke politische Kraft im Libanon. Dem Iran drohte Netanyahu unterdessen mit harten Gegenschlägen: "Ich habe eine Botschaft an die Tyrannen in Teheran: Wenn ihr uns angreift, werden wir euch angreifen". Die internationale Politik der Beschwichtigung gegenüber dem Iran müsse ein Ende haben.
Netanyahu bekräftigte, sein Land angesichts vieler Feinde weiter zu verteidigen. Israel strebe nach Frieden und sehne sich nach Frieden. "Doch wir stehen wilden Feinden gegenüber, die unsere Vernichtung anstreben. Und wir müssen uns gegen diese wilden Mörder verteidigen. Unsere Feinde wollen nicht nur uns zerstören. Sie wollen unsere gemeinsame Zivilisation zerstören und uns alle in ein dunkles Zeitalter der Tyrannei und des Terrors zurückführen."
Israels Ministerpräsident wird früher als geplant aus New York abreisen. Nach Angaben seines Büros wollte er noch Freitagabend nach Israel zurückkehren. Israelische Medien berichteten, er werde um 20.00 Uhr Ortszeit (02.00 MESZ) abfliegen.
Nach der neuerlichen Attacke Israels wies der geschäftsführende libanesische Ministerpräsident Najib Mikati die Behörden an, "alle betroffenen Einheiten zu mobilisieren". Dies sei nötig, "insbesondere angesichts der Berichte über eine große Zahl von Opfern", sagte er. Die erneute Aggression beweise einmal mehr, dass der israelische Feind alle internationalen Bemühungen und Rufe nach einer Waffenruhe missachte, erklärte Mikati weiter.
Die internationale Gemeinschaft müsse ihrer Verantwortung nachkommen und "dieser Tyrannei und dem Vernichtungskrieg", der gegen den Libanon geführt werde, ein Ende bereiten, forderte er. Mikati hält sich derzeit ebenfalls bei der UNO-Vollversammlung in New York auf. Auch er kündigte nach dem Luftangriff Israels an, vorzeitig die Heimreise antreten zu wollen.