Hisbollah-Chef Nasrallah bei Angriff Israels getötet
Nach dem Tod des langjährigen Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallah bei einem israelischen Luftangriff hat sich die Terrormiliz unbeugsam gezeigt. Man werde den Kampf fortsetzen "zur Unterstützung von Gaza und Palästina, zur Verteidigung des Libanon und seines standhaften und ehrenhaften Volkes", erklärte die vom Iran unterstützte Miliz am Samstag. Die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen erklärte, Nasrallahs Tod werde den Widerstand nur stärken.
Irans Oberster Führer, Ayatollah Ali Khamenei, rief alle Muslime auf, entsprechend ihrer Möglichkeiten dem libanesischen Volk und der "stolzen Hisbollah" beizustehen. Wer Nasrallahs Nachfolger werden würde, war zunächst unklar.
Nach der Tötung von Nasrallah ordnete die libanesische Regierung eine dreitägige Staatstrauer an. Die staatliche Nachrichtenagentur NNA berichtete, während der Staatstrauer von Montag bis Mittwoch sollten die Flaggen an öffentlichen Einrichtungen auf halbmast hängen. Fernseh- und Radiosender würden ihre Programme an das "schmerzhafte Ereignis" anpassen, hieß es. Darüber hinaus soll an dem Tag, an dem Nasrallahs Beerdigung stattfindet, die Arbeit in allen öffentlichen und privaten Einrichtungen eingestellt werden, wie NNA berichtete. Die Hisbollah hat bisher nicht bekanntgegeben, wann Nasrallah beerdigt werden soll.
Nasrallah sei auf die "Seite seines Herrn" gewechselt und habe sich seinen "großen und unsterblichen Märtyrern angeschlossen", teilte die proiranische Schiitenmiliz auf Telegram mit. Stunden zuvor hatte das israelische Militär den Tod des 64 Jahre alten Hisbollah-Anführers bekanntgegeben. "Hassan Nasrallah wird nicht länger in der Lage sein, die Welt zu terrorisieren", teilte das Militär mit. Auch der wichtige Hisbollah-Kommandant für den Süden des Landes, Ali Karaki, und weitere Kommandeure der Miliz seien bei einem Angriff am Freitag in einem Beiruter Vorort getötet worden.
Indes hat das israelische Militär hat nach eigenen Angaben erneut ein Ziel in einem südlichen Vorort der Hauptstadt Beirut angegriffen und dabei ein ranghohes Mitglied des Hisbollah-Geheimdienstes getötet. Das Militär gibt den Namen des Mannes mit Hassan Khalil Yassin an. Ersten Berichten aus dem Libanon zufolge wurde der Vorort Chiyah getroffen. Die dicht besiedelten Wohngebiete im Süden von Beirut gelten als Hochburg der pro-iranischen Terrormiliz Hisbollah.
Bei israelischen Angriffen im Libanon starben nach Behördenangaben 33 Menschen. 195 weitere Personen wurden am Samstag verletzt, wie das libanesische Gesundheitsministerium mitteilte. Insgesamt wurden damit seit Ausbruch der Kämpfe zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär am 8. Oktober vergangenen Jahres den Behörden zufolge mehr als 1.600 Menschen im Libanon getötet, darunter rund 300 Frauen und Kinder. Ein Großteil der Opfer kam bei israelischen Angriffen in den vergangenen zehn Tagen ums Leben.
Der Tod Nasrallahs, der die Organisation seit 30 Jahren anführte, war der schwerste Schlag Israels gegen die Hisbollah und einen ihrer größten Feinde seit Jahrzehnten. Welche Folgen das für den Konflikt mit Israel, für die Nahost-Region sowie den Libanon selbst haben dürfte, ist zurzeit kaum absehbar.
Israels Militär griff nach eigener Darstellung das Hauptquartier der Hisbollah an, das sich demnach unter Wohngebäuden befunden haben soll. Nach dem Angriff im Vorort Haret Hreik nahe dem Flughafen waren dichte Rauchwolken zu sehen und anschließend große Trümmerberge. Staatlichen Medien zufolge wurden mehrere Gebäude komplett zerstört. Dem Gesundheitsministerium zufolge wurden mindestens sechs Menschen getötet und 91 verletzt.
Israels Armeesprecher Daniel Hagari sagte, Nasrallahs Tod mache die Welt sicherer. Zugleich warnte er: "Es ist noch nicht vorbei, die Hisbollah hat noch mehr Möglichkeiten."
Nasrallah stand seit 1992 an der Spitze der Schiitenmiliz. Er war einer der schwierigsten Gegenspieler Israels. Er stimmte sich eng mit dem Iran und dessen Revolutionsgarden (IRGC) ab, dem wichtigsten Unterstützer der Hisbollah. Er hat die Miliz in eine deutlich mächtigere und gefährlichere Organisation verwandelt als sie in der Zeit seines Vorgängers war.
Nasrallah, 64 Jahre alt und Vater von vier Kindern, erhielt seine religiöse Ausbildung in den zwei wichtigsten Zentren der schiitischen Muslime: in der irakischen Pilgerstadt Nadschaf und im iranischen Qom. 1982 schloss er sich der neu gegründeten "Partei Gottes" im Libanon an.
Nach dem Tod von Anführer Abbas al-Mussawi, den Israel 1992 getötet hatte, wurde er zum Nachfolger gewählt. Als großen Triumph der Hisbollah empfand er den Abzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon im Jahr 2000 und den ihrer Beschreibung nach "göttlichen Sieg" nach Ende des Kriegs 2006.
Mit dem Tod Nasrallahs könnte der Konflikt mit Israel, der fast ein Jahr lang gewissen Regeln zu folgen schien, noch weiter außer Kontrolle geraten. Allerdings ist nicht klar, ob der Iran als wichtigster Unterstützer der Miliz im Fall eines Kriegs zu Hilfe eilt. Die neue iranische Regierung unter Präsident Masoud Pezeshkian kämpft mit einer schweren Wirtschaftskrise und strebt eine Wiederannäherung an den Westen an. Obwohl Irans militärische Führung nach der Tötung des Hamas-Chefs Ismail Haniyeh Ende Juli Vergeltung angekündigt hatte, blieb diese bis heute aus.
Die Hisbollah wurde durch massive Angriffe Israels in den vergangenen Wochen schwer getroffen. Ihre Führung, Kommunikationsmittel, Raketen- und Waffenarsenale, Infrastruktur und wohl auch ihre Kampfmoral wurden deutlich geschwächt.
Mehrere Szenarien wären jetzt möglich: Die Hisbollah könnte den Kampf vorerst aufgeben, den Beschuss Israels beenden, einer Waffenruhe zustimmen und sich - wie es eine UN-Resolution vorsieht - rund 30 Kilometer von der Grenze entfernt zurückziehen. Israel hätte ein Kriegsziel erreicht, wenn mehr als 60.000 Menschen in ihrer Häuser und Wohnungen im Norden des Landes zurückkehren können.
Oder die Hisbollah weitet ihre Angriffe gegen Israel aus, greift mit modernsten Raketen israelische Städte und militärische Ziele an und verursacht viele Todesopfer und Sachschäden. Damit könnten eine weitere Eskalation, eine israelische Bodenoffensive und möglicherweise ein regionaler Flächenbrand drohen. Oder die Hisbollah setzt den Beschuss Israels auf niederschwelligem Niveau fort.
Fraglich ist auch, inwieweit der Iran der Hisbollah zur Seite steht und wie sich andere nicht-staatliche Verbündete des Irans, wie die Houthi-Miliz im Jemen und Milizen im Irak, verhalten. Auch im Libanon ist unklar, in welcher Form die militärisch, politisch und sozial sehr mächtige Organisation fortbestehen wird.