Erzähler, Redner und Musiker Michael Köhlmeier ist 75
"Ich bin auf der Welt, um Romane zu schreiben", sagte Michael Köhlmeier einmal. Dieser Aufgabe ist er mit Büchern wie "Spielplatz der Helden" oder "Abendland" nachgekommen. Populär wurde der Vorarlberger als Erzähler und Nacherzähler von Märchen und Mythen, stets pointiert sind seine politischen Reden und Kommentare. Heute, Dienstag, feiert der Autor und Musiker seinen 75. Geburtstag - mit der Uraufführung seiner "Rap Novel" "Hoochie-Coochie Man" im Wiener Rabenhof.
Musikalisch begleitet von Blues-Musiker Hans Theessink erzählt Köhlmeier an vier Abenden (Vorstellungen bis 18. Oktober) in Versform und Singsang "die Lebensgeschichte eines Hurensohns, der bereits als Kind zusammen mit seiner Bande aus Freaks and Monsters Verbrechen begeht, die das Lebenswerk eines Schwerkriminellen sein könnten", wie im Klappentext des kürzlich im Wieser Verlag erschienenen Buches verraten wird.
In einer weiteren Neuerscheinung beschäftigt sich Köhlmeier in der Reihe "Dinge des Lebens" des Residenz Verlags mit Gitarren. Von denen hat er nämlich 37 Stück zu Hause, "jede hat ihre Geschichte und zu jeder hat er eine besondere Beziehung: Da sind die Kult-E-Gitarren wie die Fender Stratocaster von 1968, aber auch die beiden Gibsons, die amerikanische Martin-Tenorgitarre u.v.m.", wie es seitens des Verlags heißt. "In diesem sehr persönlichen Buch erzählt er von seinen Gitarren, von bewunderten Instrumentenbauern und vom Gefühl der Macht, das ihm die erste Begegnung mit Verstärker und E-Gitarre verliehen hat."
Auch als Redner ist Köhlmeier, der am 4. Mai 2018 in der Wiener Hofburg seine vor den Spitzen des Staates gehaltene sechsminütige Rede zum Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus mit den Worten "Sehr geehrte Damen und Herren, erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle", begann, sehr aktiv. "Reden gegen das Vergessen" hieß sein 2018 erschienener Sammelband mit öffentlichen Einwendungen. Ende September sprach er zum Auftakt der Dachstein Dialoge über "Toleranz als historische Herausforderung", über Gleichgültigkeit und Gerechtigkeit, und fragte dabei auch nach möglichen Grenzen der Toleranz: "Darf mit Toleranz rechnen, wer den Rechtsstaat abschaffen möchte?"
"Meine politischen Äußerungen tätige ich als normaler Bürger, der für das Gemeinwesen eine gewisse Verantwortung spürt", sagt Köhlmeier. Nach den Nationalratswahlen zeigte er sich in einem Interview mit den "Oberösterreichischen Nachrichten" "entmutigt, weil es offenbar so viele Menschen gibt, die ein Bedürfnis nach Rache und Vergeltung haben" und gab in Richtung von Politikern mit Vorliebe zu deftigen, beleidigenden Sagern zu bedenken: "Wie kann jemand, der sein Mundwerk nicht unter Kontrolle hat oder haben will, jemals irgendetwas unter Kontrolle haben?" Er glaube "ganz bestimmt", dass FPÖ-Obmann Herbert Kickl autoritäre Macht anstrebe. "Er ist sicher intelligent, aber er ist ein Verletzter, ein Gekränkter, ein zutiefst gekränkter und ängstlicher Mann, der nicht gewillt ist, irgendetwas zu verzeihen. Er ist nicht von politischer Botschaft angetrieben, in Wahrheit ist er ideologiefrei. Aber er nutzt eine Ideologie für seine persönliche Abrechnung, (...) wahrscheinlich mit der ganzen Welt."
Am 15. Oktober 1949 in Hard (Vorarlberg) als Sohn eines Journalisten geboren, studierte Köhlmeier nach der Matura zunächst Germanistik und Politikwissenschaften in Marburg und später Mathematik und Philosophie in Gießen und Frankfurt. Gemeinsam mit Reinhold Bilgeri gründete er 1972 das Duo Köhlmeier & Bilgeri; ihr Mundartlied "Oho Vorarlberg" wurde zum Hitparaden-Erfolg und zur heimlichen Landeshymne. Das Musizieren und Liedermachen hat ihn auch später nie losgelassen.
Mit "Originalton-Hörspielen", in denen Köhlmeier Konflikte in Fabriken und sozialen Randgruppen dokumentierte, begann Anfang der 80er Jahre sein vielfältiges literarisches Schaffen. 1982 erschien sein Debütroman "Der Peverl Toni und seine abenteuerliche Reise durch meinen Kopf". Nach emsiger Produktion weiterer Romane wie der Liebesgeschichte "Bleib über Nacht" oder der "Trilogie der sexuellen Abhängigkeit" fing Köhlmeier 1995 an, die "Klassischen Sagen des Altertums" in der gleichnamigen Ö1-Reihe zu erzählen, schrieb sie in drei Bänden nieder und adaptierte sie später auch für das Fernsehen.
So war es nicht das ureigene Erzählen, sondern das Nacherzählen, mit dem Köhlmeier seinen Durchbruch feierte. Vermittler alter Mythen und antiker Sagen, von Märchen und Shakespeare-Dramen, des Nibelungenliedes und der Bibelgeschichte war Köhlmeier in seinen Bestsellern sowie im Radio.
Schon seine früheren Romane, wie der "Spielplatz der Helden" (1988), "Die Musterschüler" oder der "Telemach" (1995), hatten Köhlmeier als kraftvolle Erzählerstimme etabliert, mit dem hochgepriesenen Mammut-Werk "Abendland" gelang ihm nach sechsjähriger Schreibarbeit im Jahr 2007 ein ganz neuer literarischer Höhepunkt. Der Roman kam auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises, die Erzählung "Madalyn" (2010), der schmale Roman "Zwei Herren am Strand", eine Verflechtung der Biografien von Charlie Chaplin und Winston Churchill (2014), sowie sein im Jänner erschienener bisher letzter Roman "Das Philosophenschiff" schafften es jeweils auf die Longlist.
Im 650-Seiten-Buch "Die Abenteuer des Joel Spazierer", Schelmenroman und Lügengeschichte, Gottsuche und Höllenfahrt in einem, führte Köhlmeier 2013 nicht nur seine Alter-Ego-Figur des Schriftstellers Sebastian Lukasser weiter, sondern zeigte sich erneut als souveräner Autor, der gleichzeitig die Bedingungen des Erzählens reflektieren kann, ohne dabei aufdringlich zu werden. Gleich auf 960 Seiten brachte es 2021 sein Roman "Matou", in dem "der gebildetste Kater, den die Weltgeschichte kennt" von seinen sieben Leben und über Herrchen von Camille Desmoulins bis Andy Warhol berichtet - ein Meisterstück, das bewies, dass dem Erzähler in der Wahl seiner Mittel und Masken keine Grenzen gesetzt sind.
Köhlmeiers Geschichten-Strom ist weit verzweigt. Auch kürzere Prosa, Essays, Kinderbücher, Hörspiele, Theaterstücke, Lyrik und Drehbücher (etwa die von Robert Dornhelm verfilmten "Der Unfisch" und "Requiem für Dominic") hat der Autor veröffentlicht, der mit seiner Frau, der Schriftstellerin Monika Helfer, in Hohenems lebt, aber auch in Wien eine Wohnung hat. Vorarlberg brauche er zum Leben, sagte er jüngst der "OÖN": "Wenn man mich von hier vertreiben würde, ich würde eingehen wie eine Pflanze, die man nicht gießt."
Ausgezeichnet wurde Köhlmeier u.a. mit dem Rauriser Literaturpreis (1982), dem Johann-Peter-Hebel-Preis (1988), dem Manes-Sperber-Preis (1993), dem Anton-Wildgans-Preis (1996), dem Grimmelshausen-Preis (1997), dem Preis des Vorarlberger Buchhandels (2001), dem Aachener Literaturpreis (2014), dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis (2016), dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse (2016), dem Literaturpreis der Adenauer-Stiftung (2017) und dem Ferdinand-Berger-Preis (2019).