Ashton für behutsame Wiederannäherung Londons an EU
Die frühere EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton tritt gegen einen "Big Bang"-Ansatz in der Wiederannäherung ihres Landes an die Europäische Union ein und zeigt Verständnis für die Linie von Labour-Premier Keir Starmer, der sich um bessere Beziehungen bemüht, einen Wiedereintritt in Binnenmarkt und Zollunion aber ausschließt. "Die Trennung war für beide Seiten hart, und ich denke, wir müssen das in einer vernünftigen und maßvollen Weise heilen", sagte Ashton im APA-Interview.
Die Spaltung innerhalb Großbritanniens sei so außergewöhnlich gewesen und das Bedürfnis der Menschen, die Debatte über den Brexit hinter sich zu lassen, so stark, "dass die aktuelle Regierung offensichtlich eine bessere, stärkere Beziehung zu Europa anstrebt, aber für den Moment zumindest anerkennt, dass man das Land nicht eine Reihe weiterer großer Entscheidungen über Europa durchmachen lassen kann". Das könnte sich freilich ändern. Was die EU aber sicher nicht brauchen könne, sei ein Hin und Her auf britischer Seite, betonte die 68-jährige Labour-Politikerin, die dem Oberhaus (House of Lords) angehört.
"Auch wenn ich glauben möchte, dass Großbritannien jetzt erkennen würde, dass eine engere Beziehung zu Brüssel viel besser ist, weiß ich nicht, was passieren würde, wenn wir versuchen sollten, das in eine formellere Struktur zu gießen. Und Sie wissen, dass die Politiker, die für den Brexit eingetreten sind, dann sagen würden: Wenn das geschieht, dann werden wir es wieder rückgängig machen, wenn wir an die Macht kommen. Und Europa braucht Gewissheit. Fürs Erste eine Beziehung aufzubauen, die akzeptiert wird und auf breitere Unterstützung stößt, ist meiner Ansicht nach daher nicht nur im britischen, sondern auch im europäischen Interesse", sagte Ashton.
Wohin das führen werde, bleibe abzuwarten. "Viele in Großbritannien würden gerne eine formellere Beziehung sehen - die Zollunion ist ein gutes Beispiel. Aber noch sind wir nicht soweit, und vielleicht werden wir dort auch nicht hinkommen." Die Regierung in London müsse sich jedenfalls in einem Rahmen bewegen, der der Stimmung im Land entspreche und der für die EU für die nächsten Jahre "realistisch, akzeptabel und funktionsfähig" sei.
Auf die Frage, ob eine erneute stärkere Integration in die EU nicht auch dabei helfen könnte, die dringenden Probleme in Großbritannien rascher zu lösen, sagte Ashton, das könnte durchaus der Fall sein, nach der nächsten Wahl aber auch wieder in die Gegenrichtung umschlagen. "Ich denke daher, dass es besser ist, das in einer vernünftigen, gemäßigten Form aufzubauen und mehr Konsens zu schaffen."
Klar sei, dass es viel zu tun gebe "in unserer Wirtschaft, in unserer Infrastruktur, im NHS (Gesundheitssystem)", das Reformen nötig mache, jedoch auch mehr Ressourcen, für die eine stärkere Wirtschaft erforderlich sei. "Aber man braucht langfristig eine stärkere Wirtschaft, vor allem, wenn es um die Infrastruktur und den Gesundheitsbereich geht. Man muss etwas aufbauen, das in 20 oder 30 Jahren noch da ist, und das heißt, man muss es ordentlich aufbauen." Die Idee eines "Big Bang"-Ansatzes bringe einen "in einem Land, in dem immer noch viele Leute der Ansicht sind, dass es besser ist, außerhalb der EU zu sein", daher auch in dieser Hinsicht nicht sehr weit.
Den Austrittsprozess, der nach dem britischen EU-Referendum im Juni 2016 beide Seiten über Jahre beschäftigt hatte, bezeichnete Ashton als "nicht gut": "Wir hätten zum Beispiel von Anfang an Abkommen zu Außenpolitik, Verteidigung und Sicherheit haben sollen." Immerhin verfolge man ja auch dieselben Ziele bezüglich dessen, "was wir wollen - das sieht man in der NATO, wo die meisten Länder ja ebenfalls Mitglieder sind". Zeitweise sei es auch nur mehr um Rhetorik gegangen, "auf die wir verzichten hätten können".
Für die Europäische Union als Institution fand die frühere Handelskommissarin sehr positive Worte: Es handle sich dabei um das "außergewöhnlichste Projekt der Welt": "Brüssel ist der einzige Ort auf der Erde, wo die Leute hinfahren, um Lösungen zu finden, nicht nur die Position ihres Landes zu vertreten. Ich weiß, es gibt Länder, die von Zeit zu Zeit oder sogar recht regelmäßig auf ihrer Position beharren. Aber es kommt in Brüssel, in der Europäischen Union immer noch sehr selten vor, dass man keine Antwort findet. Und das gibt es nirgendwo sonst. Bei den Vereinten Nationen geht es immer noch stark um Länderpositionen. Manchmal sind sie erfolgreich, und das ist großartig, aber in Brüssel ist das die alltägliche Arbeit."
Auf die Frage, ob es sie schmerze, dass sie infolge des Brexit keinen EU-Pass mehr hat, sagte Ashton: "Für mich ist das ein Teil von mir, der gewissermaßen jetzt fehlt. Denn auch wenn ich sehr stolz darauf bin, Britin zu sein, und es immer sein werde, habe ich mich immer als Britin und Europäerin gesehen, und dass Großbritannien Teil dieser europäischen Identität war und Europäerin zu sein Teil dessen, Britin zu sein. Wenn ich jetzt durch die Passkontrolle gehe, sind die Leute zwar immer nett und freundlich, aber es ist nicht dasselbe."
(Das Gespräch führte Alexandra Angell/APA)