Kultur Österreich

Nazis, Kitsch und Pointen: "Nachtland" in den Kammerspielen

Ein Bild bringt in "Nachtland" die Dinge gehörig ins Wanken
© APA

Es ist ein unscheinbares Aquarell der Wiener Ruprechtskirche, das ein Geschwisterpaar nach dem Tod des Vaters auf dessen Dachboden entdeckt. Hinter einigen Skiern versteckt, hastig in Papier eingeschlagen. Und doch hat es dieses Bild in sich, wie sich bei der Premiere von "Nachtland" Donnerstagabend in den Kammerspielen der Josefstadt schnell zeigt. Immerhin ist es signiert mit "A. Hitler". Folglich bringt dieser Kitsch die Welt der versammelten Menschen gehörig ins Wanken.

Die Grundidee, die der deutsche Dramatiker Marius von Mayenburg in seinem 2022 uraufgeführten Stück darlegt, ist ziemlich gerissen. Die streitlustige Nicola (Martina Ebm) und ihr naiver Bruder Philipp (Oliver Rosskopf) stehen vor der Aufgabe, den Haushalt des Vaters aufzulösen. Viel von Wert ist da nicht zu entdecken, wäre da eben nicht dieses kleine Gemälde, für das sich auch ihre Partner Fabian (Roman Schmelzer) und Judith (Silvia Meisterle) interessieren - wenngleich aus jeweils höchst unterschiedlichen Motiven.

Denn die Frage, was mit dem Bild passieren soll, würde es sich tatsächlich als "ein echter Hitler" herausstellen, birgt gehöriges Konfliktpotenzial. Nicola und Philipp riechen das schnelle Geld, wollen dem anderen aber diesen Geldsegen nicht so wirklich gönnen. Fabian fungiert dabei als ständig beschimpfter Handlanger, während Judith sich über die neue Seite der Familie nur wundern kann. Denn nicht nur die Gier bricht Bahn, auch ihr Jüdischsein wird plötzlich Thema. Wobei Nicola und Philipp eilig ein ums andere Mal betonen, dass ihre Vorfahren sicher keine Nazis waren - oder?

Denn just hier liegt der Hund begraben: Um das Bild wirklich zu Geld machen zu können, muss die Provenienz belegt werden. Keine Schwierigkeit, wenn man es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und plötzlich Beziehungen zwischen Großmüttern und Hitler-Vertrauten entdeckt. Das freut die hinzugezogene Expertin (Susa Meyer) vom Auktionshaus mit einem kaum verhohlenen Faible für die Kunstarbeiten des Führers natürlich über alle Maßen. So sind sicherlich 100.000 Euro und mehr zu lukrieren, nicht wahr? Aber natürlich ist alles gar nicht so einfach...

In der kargen Wohnung (Bühne: Johannes Schütz) steht Judith dem Treiben zunächst fassungslos gegenüber, muss sich plötzlich stereotype Allgemeinplätze und antisemitische Vorurteile anhören, um letztlich selbst in den Angriffsmodus zu wechseln. Die vielfach ins Schwarze treffenden Sätze von Mayenburgs lässt Regisseur Ramin Gray in hohem Tempo abfeuern: Kaum ist ein moralisches Minenfeld abgehandelt, schon sitzen die nächsten Treffer. Fragen von Schuld und Verantwortung werden ebenso angerissen wie die (un)mögliche Trennung von Kunstwerk und Künstler. Sogar ein unmoralisches Angebot des potenziellen Käufers an Judith schwindelt sich schlussendlich noch hinein.

Und doch bleiben nach pausenlosen eineinhalb Stunden zwar etliche Lacher und so manch nachdenklich machender Seitenhieb, aber nur wenig Substanzielles über. Dafür schwimmt von Mayenburg zu sehr an der Oberfläche und lässt seinen Figuren kaum Platz zur Selbstreflexion. Sie erfüllen alle eine Funktion und das durchaus gekonnt - aber darüber hinaus werden diese Hüllen nur leidlich gefüllt. Dabei gelingt es dem Ensemble, allen voran einer mit viel Furor agierenden Meisterle, die diversen Dynamiken, die hier aktiv werden, eindrucksvoll aufzuzeigen. Langer Applaus für einen kurzweiligen, aber nicht unbedingt tiefschürfenden Abend, der ganz ohne Kitsch auskommt.

(Von Christoph Griessner/APA)

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