Möbelmuseum Wien rollt Hedy Lamarr den Roten Teppich aus
"Jüdische Marilyn", Erfinderin, Ladendiebin: Hedy Lamarr hatte ein filmreifes Leben. Und auch die Wendungen nach dem Tod des wienstämmigen Hollywoodstars 2000 sind leinwandtauglich. Zuletzt hatte sich René Benko die Namensrechte für sein geplantes Kaufhaus in der Mariahilfer Straße gesichert - und den Zugriff auf einen Teil des Nachlasses. Die Idee für ein Lamarr-Museum am Areal hängt aufgrund der Signa-Insolvenz zwar in der Schwebe, doch Danielle Spera bleibt am Ball.
Die einstige Direktorin des Jüdischen Museums in Wien fungierte als Kuratorin für das Projekt und vermittelte auch den Ankauf des Nachlasses von Lamarrs Kindern. Nun kuratiert sie im Möbelmuseum Wien, Teil der Schönbrunn Group, die neue Ausstellung "Hausfrau, Künstlerin, Wildfang" anlässlich von Lamarrs 110. Geburtstag am Samstag (9. November), die ein anderes Konzept als die einst für das Kaufhaus vorgesehene verfolgt, auch wenn sich dank einer Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter einzelne Originale in der Schau finden. Laut Ediktsdatei wurde die ursprünglich vorgesehene Verwertung des Benko-Nachlassanteils bekanntlich wieder ausgesetzt, die weitere Zukunft ist hier offen.
Sie sei glücklich, Hedy nun im Möbelmuseum Wien präsentieren zu können, das für sie "ein verstecktes Kleinod" in der Museumslandschaft darstelle, unterstrich Spera im APA-Gespräch. Für die Leiterin des Möbelmuseums Wien, Petra Reiner, gliedert sich die am Donnerstagabend eröffnende Schau nahtlos in den aktuellen Jahresschwerpunkt "Frauen im Design und Empowerment" ein. "Es ist vielleicht kein Coming-Home für Hedy bei uns, aber ein schöner Besuch", freute sich Reiner über die Ausstellung, die in ihren Augen die Verwegenheit und den Facettenreichtum einer Frau zeigt, die die Grenzen der Konvention durchbrach.
Auf diese Vielschichtigkeit reflektiert Spera auch mit dem auf ein Zitat der Künstlerin zurückgehenden Titel "Hausfrau, Künstlerin, Wildfang". "Das war ihr Leben: Sie war ein Wildfang vom Anfang bis zum Ende." Und dies wird auf den rund 250 Quadratmetern Ausstellungsfläche mit mosaikartig aus verschiedenen Blättern zusammengesetzten Schauwänden auch deutlich. Dies ermögliche einerseits, dass die von Stefan Fuhrer gestaltete Ausstellung künftig leicht auf Wanderschaft geschickt werden könne, ist für Spera aber auch ein Symbol für das fragmentierte, wendungsreiche Leben der Hedy Lamarr.
Dies begann am 9. November 1914 in einer jüdischen, großbürgerlichen Familie als Hedwig Eva Maria Kiesler. Der Vater war Bankdirektor, die Mutter Pianistin. Ende der 20er-Jahre wurde Hedwig von Max Reinhardt für die Schauspielerei entdeckt. Nach einer Ausbildung am Theater in Berlin kehrte sie nach Wien zurück, wo sie Anfang der 30er-Jahre als Scriptgirl beim Film zu arbeiten begann. An der Seite von Hans Moser und Heinz Rühmann spielte sie 1931 ihre erste größere Rolle in dem Streifen "Man braucht kein Geld". Der Durchbruch gelang dann aber mit nackten Tatsachen, als sie 1933, knapp 18-jährig, in Gustav Machatys "Ekstase" für die erste kurze Nacktszene der Mainstreamfilmgeschichte verantwortlich zeichnete. Die Ehe mit dem Waffenfabrikanten Fritz Mandl unterbrach diese junge Karriere zwar vorerst, doch 1937 verließ Hedwig den ungeliebten Ehemann und das repräsentative Heim am Wiener Schwarzenbergplatz.
Sie ging nach London und wurde von MGM-Boss Louis B. Mayer nach Hollywood geholt. Dort wurde sie alsbald als "schönste Frau der Welt" vermarktet und drehte unter ihrem neuen Namen rund 30 Filme mit Stars wie Clark Gable, Judy Garland, Spencer Tracy oder James Stewart. Heute noch am bekanntesten ist ihre Verkörperung der weiblichen Titelrolle in Cecil B. DeMilles Bibelverfilmung "Samson und Delilah" aus 1949. Der von ihr kreierte Typus der dunkelhaarig-rätselhaften Schönheit hatte dabei Einfluss auf die Film-und Populärkultur und sorgte nicht zuletzt dafür, dass Pop-Art-Ikone Andy Warhol sie zum Bildmotiv auserkor. Zugleich haderte Hedy stets mit den uniformen Körpervorgaben Hollywoods, von denen sie sich doch nie ganz lösen konnte, wie die missglückten Schönheitsoperationen im reiferen Alter zeigen. Spera verdeutlicht das in der aktuellen Ausstellung mit zahlreichen Zitaten der Diva, die sich in den Briefen an ihre Mutter über die vermeintliche Traumfabrik auslässt und damit das Panorama eines vielschichtigen, friktionsreichen Charakters eröffnet.
Dazu gehörte auch Hedys Engagement als Erfinderin, entwickelte sie doch mit dem US-Komponisten George Antheil 1942 eine neuartige Fernsteuerung für Torpedos, bei der das Steuerungssignal über mehrere Frequenzen verteilt wurde und so vor Störungen durch den Feind gesichert war. Dieses Frequenzsprungverfahren stellt heute nicht nur die Grundlage des militärischen Satellitenabwehrsystems der USA dar, sondern ist auch für Mobiltelefone und die Bluetoothtechnologie von grundlegender Bedeutung. Im Möbelmuseum nimmt dieser Aspekt thematischbedingt kleinen Raum ein, dafür findet sich ein begehbares Häuschen in der Ausstellung, in dem zahllose Fotos den etwas eigenwilligen Einrichtungsgeschmack der Diva verdeutlichen.
Ende der 1950er zog sich Lamarr, die 1960 ihren Stern am Hollywood Walk of Fame erhielt, dann vom Filmgeschäft zurück. Zu diesem Zeitpunkt war sie, die drei Kinder aus sechs Ehen hatte, schon US-Staatsbürgerin. 1965 wurde sie erstmals wegen Ladendiebstahls verhaftet, ein Delikt, mit dem sie in den 1990ern nochmals auffällig wurde. Auch dieses wenig glamouröse Kapitel eines wendungsreichen Lebens findet im Möbelmuseum Raum, wenn Spera im Ausgang auch den Niedergang thematisiert, zu dem als invertierte Ehrung auch das 2022 erschienene Lied von Johnny Depp, "This Is A Song For Miss Hedy Lamarr", gehört.
Unweit von dessen Lyrics finden sich als besondere Preziosen im Möbelmuseum Gemälde aus der Hand von Hedy, die erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen sind. Es sind überraschend bunte, kubistische, fröhliche Arbeiten, die teils aus einer Zeit stammen, in der sich Hedy bereits in Florida vom Leben in der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte. Nach Österreich war Lamarr, die privat oftmals mit dirndlartigen Kleidern ihre Bindung an ihre idealisierte, alte Heimat unter Beweis stellte, vor ihrem Tod nur ein einziges Mal zurückgekehrt. Und so fand die Heimkehr der in die Welt Ausgezogenen spät statt: Ihr Ehrengrab findet sich seit 2014 am Wiener Zentralfriedhof.