Chronik Österreich

Nobelpreisträger Eric Kandel feiert 95. Geburtstag

Nobelpreisträger Eric Kandel auch im hohen Alter noch aktiv
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Noch weit nach seinem 90. Geburtstag arbeitete Eric Kandel Vollzeit, doch 2022 ging der Medizin-Nobelpreisträger schließlich in Pension und sperrte sein Labor an der Columbia University in New York zu. Aktiv ist der US-Neurobiologe dennoch, wie viele Besuche in seiner Geburtsstadt Wien und ein im Frühjahr erschienenes neues Buch von ihm zeigen. Heute, Donnerstag, feiert er seinen 95. Geburtstag und seine Uni schmeißt eine große Geburtstagsparty für ihn, wie er zur APA sagte.

Dass man auch im hohen Alter und nach einem Nobelpreis hochaktiv und produktiv sein kann, bewies Eric Kandel tagtäglich. Bis vor zwei Jahren forschte er mit einem fixen Budget vom Howard Hughes Medical Institute mit seiner Arbeitsgruppe am Jerome L. Greene Science Center der Columbia University. Nun sei er aber in Pension, betonte der Wissenschafter und Buchautor, der das Schreiben speziell über seine alte Heimat Wien, aus der ihn die Nazis als Kind vertrieben haben, als "Weg, mit einem Trauma fertig zu werden", empfand, wie er einmal sagte.

Erinnerung und Gedächtnis sind die zentralen Themen im Leben Kandels, in persönlicher und in wissenschaftlicher Hinsicht. Es ist das Thema, das ihm im Jahr 2000 gemeinsam mit Arvid Carlsson und Paul Greengard den Medizin-Nobelpreis eingebracht hat. Sie wurden "für ihre Entdeckungen zur Signalübertragung im Nervensystem" ausgezeichnet.

Kandel fand anhand der einfachen Strukturen des Nervensystems der Meeresschnecke Aplysia heraus, was bei der Speicherung im Langzeitgedächtnis vor sich geht. Er zeigte, dass dabei Gene angeschaltet, Proteine gebildet und zusätzliche Verbindungsstücke zwischen Nervenzellen (Synapsen) aufgebaut werden.

Dass die an Schnecken gewonnenen Erkenntnisse auch für die Funktionsweise des menschlichen Gehirns von Bedeutung sind, wies er in den 1990er Jahren an Mäusen nach: Auch bei Säugetieren ließen sich ähnliche langfristige Veränderungen bei den Synapsen nachweisen wie bei Aplysia.

Genau so haben sich die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit in Kandels Langzeitgedächtnis eingebrannt. "Es waren alle schlecht, ohne Ausnahme", erinnerte sich der am 7. November 1929 in eine jüdische Familie geborene Kandel an das Verhalten der Menschen in Wien nach dem "Anschluss" 1938. Sein Vater hatte ein Spielwarengeschäft in Wien-Währing, beim Novemberpogrom 1938 wurde die Wohnung der Familie geplündert.

Im April 1939 gelang ihm und seinem Bruder die Flucht in die USA, seine Eltern konnten später folgen. In Harvard studierte Kandel zunächst Geschichte und Literatur. Er schloss dort Freundschaft mit Kollegen, deren Eltern Mitglieder des Freud'schen Kreises in Wien gewesen waren. Dadurch wuchs sein Interesse an der Untersuchung des menschlichen Geistes.

Er wechselte 1952 an die New York University, um Medizin zu studieren und Psychiater zu werden. Nach seiner Promotion 1956 begann er am Montefiore Hospital in New York und wurde schließlich in Boston am Massachusetts Mental Health Center zum Psychiater ausgebildet. Im Laufe des Studiums interessierten ihn zunehmend die biologischen Vorgänge im Gehirn.

Von 1965 bis 1974 war er Associate Professor am Department of Physiology and Psychiatry der New York University und arbeitete in dieser Zeit auch drei Jahre lang im Labor für Neurophysiologie der nationalen US-Gesundheitsinstitute im US-Bundesstaat Maryland. Das war jene Zeit, in der Kandel nach eigenen Angaben organische Veränderungen im Gehirn im Rahmen von Signalübermittlung und Gedächtnisbildung entdeckte.

1974 kam Kandel an die Columbia University, wo er das Zentrum für Neurobiologie und Verhalten gründete und bis zu seiner Pensionierung dort tätig war. Von 1984 bis 2022 war er zudem leitender Wissenschafter (Senior Investigator) am Howard Hughes Medical Institute.

Kandel hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, neben dem Nobelpreis unter anderem den Albert Lasker-Preis für medizinische Grundlagenforschung (1993), die nationale US-Medaille für Wissenschaft (1988) und den Wolf-Preis für Biologie und Medizin des Staates Israel (1999).

Statt einer Ehrung durch das offizielle Österreich im Anschluss an den Nobelpreis wünschte er sich ein Symposium über die Folgen des NS-Regimes für Forschung und Bildung, das 2003 in Wien stattfand. Dieser Wunsch ist symptomatisch für Kandels Ansatz, junge Leute zu erreichen, "die bereit sind, die Vergangenheit zu erforschen, und damit ein Umfeld zu schaffen, in dem so etwas nie wieder passieren kann".

Die Ehrungen aus seiner alten Heimat erreichten ihn später dennoch. Etwa in Form des "Goldenen Rathausmanns" der Stadt Wien (2019) oder zuletzt "die höchste Auszeichnung, die unser Land vergeben kann", wie Bundespräsident Alexander van der Bellen betonte, als er Kandel im Februar 2024 das "Große Goldene Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich" verlieh.

Dass er diese Auszeichnungen angenommen hat, kann als Zeichen dafür gedeutet werden, dass er mit dem Trauma seiner Vertreibung abgeschlossen hat. Er fühle sich "recht wohl mit meiner Wiener Vergangenheit", sagte Kandel, der auch die österreichische Staatsbürgerschaft wieder angenommen hat, kurz vor seinem 90. Geburtstag. Die jüngsten Ergebnisse der Nationalratswahlen will er nicht kommentieren, "ich weiß nicht genug über die aktuelle politische Situation in Wien, um sinnvolle Kommentare abzugeben", erklärte er.

Kandel fand aber auch immer klare Worte: Österreich habe sich lange als Opfer bezeichnet und sei sehr langsam gewesen anzuerkennen, dass das nicht wahr sei. "Es hat lange gedauert, aber jetzt ist es da", sagte Kandel bereits 2013 bei der Präsentation des Sammelbands "Der lange Schatten des Antisemitismus". Er spielte damit auch auf die Umbenennung jenes Stücks der Ringstraße an, das nach dem ehemaligen Wiener Bürgermeister und Antisemiten Karl Lueger (1844-1910) benannt war und seit 2012 "Universitätsring" heißt.

Der Neurobiologe hatte lange eine Namensänderung dieses Ringstraßenteils gefordert, an dem auch das Hauptgebäude der Universität Wien steht. Und der Name des Nobelpreisträgers selbst wird künftig in seiner Geburtsstadt verewigt: Die Medizinische Universität Wien beschloss, das derzeit in Bau befindliche Zentrum für Präzisionsmedizin nach Kandel zu benennen, was dieser als "ein Zeichen der Verbundenheit Österreichs mit meiner persönlichen Geschichte und der Geschichte meiner Familie" bezeichnete.

In "Der lange Schatten des Antisemitismus" schrieb Kandel auch über das kreative Potenzial der Jahrhundertwende in seiner Geburtsstadt - ein Thema, dem er sich schon 2012 in großem Umfang gewidmet hat: In dem mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch ausgezeichneten Werk "Das Zeitalter der Erkenntnis" gelang ihm ein Brückenschlag zwischen Hirnforschung und Kulturgeschichte.

Ein weiteres Buch widmete er der Frage "Was ist der Mensch?" und den "Störungen des Gehirns und was sie über die menschliche Natur verraten" (2018). Letzteres wurde 2019 als österreichisches Wissenschaftsbuch des Jahres in der Kategorie "Medizin/Biologie" ausgezeichnet.

Als Kandel 1996 für einen Nobelpreis im Gespräch war, sagte seine Frau Denise - von der er immer betont, wie wichtig sie für seine Karriere gewesen ist - zu ihm: "Ich hoffe, nicht so bald." Denn Nobelpreisträger würden nicht mehr viel zur Wissenschaft beitragen und er solle lieber noch seine Ideen verwirklichen. Wie er nach der Preisverleihung seiner Frau bewies, dass er "intellektuell noch nicht ganz tot" sei, schilderte er in dem Buch "There is Life After the Nobel Prize" (2021). Einen weiteren Beweis lieferte er mit dem im März dieses Jahres erschienenen Buch "Essays on Art and Science" nach, in dem er sich erneut der Frage widmet, wie wir Kunst erleben.

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