„Bin in Blutrausch verfallen": Zwölf Jahre Haft an 18-jährigen Doppelmörder in Wien
Die Verhandlung war ursprünglich auf zwei Tage angesetzt, am Montagabend fiel jedoch bereits ein Urteil. Der 18-Jährige hatte im Sommer 2023 zwei Obdachlose umgebracht.
Wien – Am Montag ging am Wiener Landesgericht gegen einen 18-Jährigen ein Prozess wegen Doppelmordes, versuchten Mordes und absichtlicher schwerer Körperverletzung über die Bühne. Dem Burschen wurde vorgeworfen, im Sommer 2023 zwei schlafende Wohnungslose mit einem Messer vorsätzlich getötet und eine unterstandslose Frau schwer verletzt zu haben. „Ich bekenne mich schuldig“, sagte der 18-Jährige in seiner Einvernahme.
Ursprünglich war geplant gewesen, dass die Verhandlung am Dienstag fortgesetzt wird und die Geschworenen sich zunächst mit der Schuld- und anschließend gemeinsam mit den drei Berufsrichtern mit der Straffrage auseinandersetzen werden. Davon rückte der Vorsitzende kurzfristig ab. „Wir sind relativ zügig vorangekommen, wir werden das heute erledigen“, verkündete er knapp nach 16.00 Uhr und bat die Geschworenen ins Beratungszimmer. Dann folgte das Urteil.
Der heute 18-Jährige wurde wegen Doppelmordes an zwei wohunngslosen Männern, versuchten Mordes an einer obdachlosen Frau und schwerer Körperverletzung zulasten seiner Mutter zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Zudem wurde er aufgrund einer schwerwiegenden und nachhaltigen Persönlichkeitsstörung und seiner damit verbundenen Gefährlichkeit in ein forensisch-therapeutisches Zentrum eingewiesen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Der zu den Tatzeitpunkten 16-Jährige entging mit der verhängten Strafe recht deutlich der Höchststrafe, die bei ihm nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) bei 15 Jahren gelegen wäre. Das Gericht billigte ihm neben den Erschwerungsgründen – der vorsitzende Richter erwähnte in diesem Zusammenhang „verwerfliche Beweggründe“ und das Ausnützen der Wehrlosigkeit der schlafenden Opfer – mehrere Milderungsgründe zu.
Besonders der „Beitrag zur Wahrheitsfindung“ – der Bursch hatte sich selbst der Polizei gestellt – und die detaillierten Angaben zum jeweiligen Tathergang wurden neben der bisherigen Unbescholtenheit, der herabgesetzten Dispositionsfähigkeit und „mindergünstigen Erziehungsverhältnissen“ zugunsten des jungen Mannes berücksichtigt.
Nach erstem Mord „ein Gefühl von Erfüllung“
„Ich hab es gemacht. Ich bereue es“, sagte der junge Mann während des Prozesses, wo er ausführlich zu den inkriminierten Morden Stellung nahm. „Wenn ich schon entscheide über Leben und Tod, muss ich das machen“, erläuterte der 18-Jährige. Er sei „in eine Art Blutrausch verfallen“, meinte der Angeklagte. Er habe sich „vor jeder Tat dreckig gefühlt und schmutzig. Ich musste komplett sauber sein, frisch geduscht, gesäubert.“
Er sei „ein dummer Mensch gewesen, der durch die Gegend geht und Menschen umbringt“. Das habe ihn schon „eine längere Phase, zwei bis drei Monate beschäftigt“. Der Gedanke habe ihn „nicht mehr losgelassen.“
„Es waren nicht gezielt obdachlose Menschen“, betonte der Angeklagte. Er habe den Opfern „nicht in die Augen schauen können. Ich konnte nicht das Leiden im Gesicht sehen. Es waren schlafende Menschen.“ Nach dem ersten vollendeten Mord habe ihn „ein Gefühl von Erfüllung“ überkommen: „Das Opfer sollte sterben.“ Er habe sich „einerseits schlecht gefühlt. Andererseits war es ein Reiz, den ich noch nie gespürt habe. Irgendwie hat es mir das gegeben, was ich gesucht habe“. „Der kleine Teufel hat die Oberhand gehabt“, bemerkte der Angeklagte. „Der große Teufel“, korrigierte der vorsitzende Richter Andreas Hautz.
Nach dem ersten Tötungsdelikt habe er eine weitere „schlafende, hilflose Person gesucht“, erzählte der Angeklagte. „Beim ersten Mal hat's mir geholfen“, meinte er zu seinen Beweggründen. Nach dem zweiten Mal sei er „im Zwiespalt“ gewesen und habe sich „scheiße, was habe ich gemacht“ gedacht. Er habe sich ausgemalt, wie er festgenommen werde und „in einem Loch (gemeint: im Gefängnis, Anm.) sitzt und man mich vergisst.“ Beim dritten Tötungsdelikt, speziell „beim Zustechen“ habe er sich „nur mehr schlecht gefühlt dabei.“
Freundin habe ihn aufhören lassen
Auf die Frage des Richters, weshalb er nach dem dritten Tötungsdelikt nicht mehr mit einem Messer auf Menschen losgegangen sei, verwies der 18-Jährige auf seine Freundin, die er zwischenzeitlich kennengelernt hatte. Diese habe ihm „bedingungslose Liebe, die ich nicht verdient habe“ geschenkt. Dieses „plötzliche Gefühl, das ich nicht begreifen kann“, habe ihn aufhören lassen. Das Gefühl, andere Menschen verletzen bzw. töten zu müssen, sei „komplett weg“ gewesen. Er habe „die letzten Tage, Wochen mit dieser Person (gemeint: der Freundin, Anm.) verbringen wollen.“ Ihm sei klar gewesen, dass er ins Gefängnis kommen werde.
Unmittelbar nach seiner Festnahme – der Bursch hatte sich Mitte Dezember der Polizei gestellt, nachdem er seiner Freundin die Taten gestanden hatte – hatte der Angeklagte zur Motivlage erklärt, er habe vor den ihm vorgeworfenen Handlungen „eine innere Wut, Unruhe und unendliche Traurigkeit“ verspürt. Es sei ihm „schlecht gegangen“, er habe den Wunsch gehabt, „dass sich einmal jemand schlechter fühlt.“
Zukünftige Straftaten zu erwarten
Neben den Tötungsdelikten wird auch eine gegen die Mutter des Burschen gerichtete Gewalttat verhandelt. Ein psychiatrisches Gutachten bescheinigt dem Burschen, zu sämtlichen Tatzeitpunkten zurechnungsfähig und damit schuldfähig gewesen zu sein. Der Sachverständige Peter Hofmann stellte jedoch fest, dass von dem 18-Jährigen infolge einer Persönlichkeitsentwicklungsstörung eine immense Gefahr ausgeht.
Hofmann bezeichnete den 18-Jährigen in seiner Expertise als „Serienmörder“. Diese seien dadurch gekennzeichnet, „dass sie oftmals noch einen stärkeren Reiz erleben wollen“ und bei ihren Taten „nach anderen Opfern, anderen Örtlichkeiten und anderen Tötungsmethoden suchen.“
Dem Gutachten zufolge sind ohne therapeutische Maßnahmen mit großer Wahrscheinlichkeit zukünftig wieder Straftaten mit schweren Folgen zu erwarten, weshalb die Staatsanwaltschaft gemäß § 21 Absatz 2 StGB zusätzlich die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum beantragt hat.
Beschuldiger ließ sterbendes Opfer zurück
Der zu den Tatzeitpunkten 17-Jährige stach zunächst am 12. Juli 2023 mit einem Kampfmesser auf einen 56-jährigen Mann ein, der sich am Handelskai in Wien-Brigittenau niedergelassen hatte. Das schlafende Opfer wachte nach den ersten Stichen in den Bauch auf, schrie und versuchte sich aufzurichten. „Er hat weiter zugestochen. Auch in den Kopf“, erklärte die Staatsanwältin. Der Angeklagte habe den Tatort verlassen, „wissend, dass er nicht überleben wird“, sich ein Getränk gekauft und in einem nahe gelegenen Park Youtube-Videos geschaut. Dann sei er heimgegangen.
Der 56-Jährige erlitt acht Stichverletzungen. Er konnte noch 350 Meter gehen und sich auf einer Parkbank niederlassen. Wäre ihm rasch ärztliche Hilfe zuteil geworden, hätte er vermutlich überlebt, skizzierte Gerichtsmediziner Nikolaus Klupp. Der Verletzte dürfte noch einige Zeit gelebt haben, ehe er auf der Bank das Bewusstsein verlor und es zu spät für lebensrettende Maßnahmen war.
Am 22. Juli fügte der 18-Jährige laut Anklage mit derselben Waffe in der Venediger Au in Wien-Leopoldstadt einer 51 Jahre alten Frau schwere Stich- und Schnittverletzungen zu, die das Opfer überlebte. Er hatte diese eine halbe Stunde lang beobachtet, ehe sich andere Personen von dem auserkorenen Opfer entfernten. Die Frau wickelte sich in einen Schlafsack ein, der Jugendliche näherte sich ihr an „und stach einfach mittig mehrmals in die Decke“, berichtete die Staatsanwältin. Als die Frau zu schreien begann, lief der Angeklagte davon.
Opfer berichtete von Schmerzen wie Schläge
„Ich habe gedacht, ich werde geschlagen mit einem Eisen. Ich habe zwei Schläge gespürt“, schilderte die 51-Jährige als Zeugin dem Geschworenengericht. Sie habe zwei Stiche in die Leber und sieben in die Hand bekommen: „Ich habe das Blut gerochen.“ Sie habe sich aus dem Schlafsack ausgepackt, sei „zum Praterstern gegangen“ und habe „um Hilfe gerufen“. Ein Taxifahrer wurde auf die 51-Jährige aufmerksam und setzte die Rettungskette in Gang. Die Schwerverletzte wurde ins AKH gebracht und konnte dank notfallmedizinischer Hilfe gerettet werden.
Die Frau leidet bis heute an den Folgen der Attacke. Bis zum Jänner war ihr Leben von erheblichen Schmerzen geprägt. Nachdem ihre Zeugenbefragung abgeschlossen war, wollte sich der Angeklagte bei ihr entschuldigen. Die 51-Jährige ließ das zu, worauf sich der 18-Jährige von der Anklagebank erhob, sich ihr annäherte und den Eindruck machte, als würde er die Frau umarmen wollen. Das wehrte die Frau ab, worauf der Angeklagte die Hände faltete und sich wiederholt und eindringlich, für das Auditorium jedoch unverständlich – er war dafür zu weit von der Mikrofonanlage im Großen Schwurgerichtssaal entfernt – bei der Zeugin entschuldigte. „Entschuldigung angenommen“, sagte diese, „ich danke Ihnen.“
In der Nacht auf den 9. August griff der Angeklagte am Hernalser Gürtel in Wien-Josefstadt einen 55 Jahre alten Mann mit dem Messer an, das er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. „Es war wieder Zeit, ein Opfer zu suchen“, führte die Staatsanwältin aus. Der Angeklagte habe „ein Ventil gesucht, um seine Aggressionen los zu werden.“ Das dritte Opfer schlief in einer Unterführung. Als der Mann attackiert wurde, wachte er auf, brüllte, bewegte sich und konnte sich schwer verletzt Richtung Gürtel schleppen, während der Angreifer davonlief. Obwohl der 55-Jährige rasch in ein Spital kam und notoperiert wurde, verstarb er am folgenden Tag. Die Klinge des Messers hatte ihm die Halsschlagader durchtrennt.
Der Angeklagte habe „seit Kindertagen Mordfantasien gehabt“, schilderte Staatsanwältin Julia Kalmar eingangs der Verhandlung. Er habe beim Gedanken daran „Erregung und Gänsehaut verspürt.“
Vor Taten Handy auf Flugmodus gesetzt und sich maskiert
Vor den inkriminierten Tötungsdelikten hatte der 17-Jährige sein Handy jeweils auf Flugmodus gesetzt, um nicht geortet werden zu können. Er maskierte sich mit einer schwarzen Kapuzen-Jacke, wobei er sich unmittelbar vor den Tathandlungen die Kapuze über den Kopf zog. Zusätzlich streifte er sich „aus Angst vor Überwachungskameras“, wie die Staatsanwältin sagte, einen selbst gebastelten Mundschutz über. Die Tatwaffe befestigte er jeweils am Knöchel seiner rechten Hand, um nicht abzurutschen.
Er habe schon in der Schule an einen „Amoklauf in der Schule“ gedacht, schilderte der 18-Jährige den Geschworenen. „Ich konnte mich abhalten. Damals war meine Störung noch nicht so stark. Damals konnte ich das noch als dummen Gedanken zur Seite schieben.“ Bereits mit zehn habe er mit einer Softgun auf seine Stiefmutter gezielt.
Auch Angriff auf Mutter von Anklage umfasst
Am 18. September 2023 ging er dann laut Anklage auf seine Mutter los und fügte ihr mehrere Rippenbrüche, eine Schädelprellung, Hämatome und Abschürfungen am ganzen Körper zu, indem er ihr einen Faustschlag ins Gesicht versetzte und anschließend auf Kopf und Körper der zu Boden gestürzten Frau eintrat. „Es war aufgestaute Wut, weil mir meine Jugend genommen wurde“, war der Angeklagte auch dazu geständig.
Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger betonte, der 18-Jährige sei „kein empathieloses Monster“, sondern ein „lieber, netter 18-Jähriger“. Er sei von seiner schwierigen Kindheit geprägt, die Eltern hätten sich scheiden lassen, als er zwei Jahre alt war. Die neue Partnerin des Vaters – seine Stiefmutter – hätte den Angeklagten „psychisch missbraucht“ und später dessen geliebte jüngere Halbschwester erschossen und im Anschluss Suizid begangen.
Nach Tod der Schwester „mit ihr gestorben“
„Ich bin zum Teil mit ihr gestorben“, sagte der 18-Jährige dazu. Die Stiefmutter habe ihm „einen Teil meines Lebens genommen“, denn er habe die Halbschwester geliebt. Nach ihrem Tod habe er verstärkt Drogen – Kokain, Ketamin und andere Substanzen – konsumiert.
Seine leibliche Mutter sei manisch-depressiv gewesen und habe ihm „die Liebe, die man bei ihr gesucht hat, nicht gegeben.“ Er habe „nur Hass bekommen.“ Sein Vater sei „ein guter Vater für mich“ gewesen, „aber was mir gefehlt hat, war ein Vater, der sich durchsetzen kann. Er will es jedem Recht machen. Das ist der falsche Weg. Er ist ein schwacher Mensch“. Ihm hätte „ein Mann mit Durchschlagskraft“ als Vater-Figur gefehlt.
Der Kinder- und Jugendpsychiaterin Kathrin Sevecke zufolge hat der Angeklagte in seiner Kindheit infolge einer „deutlich familiären Belastung“ und „emotionalen Missbrauchs“ eine posttraumatische Belastungsstörung erfahren. In der Volksschule habe er geäußert, eine Mitschülerin „umbringen“ zu wollen, was nicht weiter beachtet worden sei. Mit 14 und 15 hätten den Angeklagten Suizidgedanken heimgesucht, dann habe er zum Aggressionsabbau auf Autoreifen einzustechen begonnen.
Angeklagter führte Taten „ritualhaft“ aus
Bezogen auf die Tötungsdelikte führte die Sachverständige aus, der Angeklagte habe sich an diese „kognitiv herangetastet“. Die Taten habe er „ritualhaft“ begangen. „Er hat das Messer immer frisch abgewischt. Er war frisch geduscht. Er hat Versuche abgebrochen, weil er geschwitzt hat“, sagte Sevecke.
Während der ersten zwei Tötungsdelikte habe es eine „akute Intoxikation mit Ketamin“ gegeben, aber im Hinblick auf die sorgsame Tatplanung, Umsetzung und des Nachtatverhaltens bestehe kein Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit zu den jeweiligen Tatzeitpunkten. Sevecke empfahl dringend die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum, da der 18-Jährige eine Therapie benötige.
Das bekräftigte im Anschluss der renommierte Gerichtspsychiater Peter Hofmann. In Bezug auf die verfahrensgegenständlichen Tötungen bemerkte der Experte: „Er hat das akribisch vorbereitet. Er war immer in der Lage zu wissen, dass man das nicht darf.“ Es gebe „wenige Menschen, die dieses Potenzial haben, das umzusetzen.“
Der 18-Jährige habe sich zunächst so genannte School Shootings überlegt gehabt, sich dann aber dafür entschieden, mit seinem Messer auf Wohnungslose loszugehen. Zugute hielt der Sachverständige dem Burschen, die Serie „nachhaltig beendet“ zu haben, indem er sich freiwillig der Polizei stellte und ein Geständnis ablegte: „Ich wüsste nicht, wie man sonst auf ihn gekommen wäre.“
Verteidiger bittet darum, „Augenmaß“ walten zu lassen
Das billigte Staatsanwältin Kalmar in ihrem Schlussvortrag auch dem Angeklagten zu. Die Selbststellung müsse man diesem zugute halten: „So ehrlich muss man sein, das kommt selten vor. Das muss man ihm hoch anrechnen.“ Der Angeklagte habe sich bei den Morden „geschickt angestellt“, sich maskiert und Handschuhe verwendet: „Wir hätten ihm diese Taten nie nachweisen können.“
Dessen ungeachtet handle es sich um „äußerst brutale und heimtückische“ Verbrechen, die eine „empfindliche Freiheitsstrafe“ nach sich ziehen müssten. „Er hat sich schlafende, unterstandslose Opfer genommen, die schon alles im Leben verloren hatten“, sagte Kalmar. Er habe aus „besonders verwerflichen Beweggründen“ gehandelt: „Er hat die Taten aus Mordlust begangen.“
Verteidiger Arbacher-Stöger bat danach die Geschworenen darum, bei der Strafbemessung „Augenmaß“ walten zu lassen und seinem Mandanten „keine brachiale Strafe“ zu geben: „Die Einweisung möchte er sowieso. Er möchte, dass ihm geholfen wird und dass er gesund wird.“
Das bestätigte der 18-Jährige in seinem Schlusswort: „Viel habe ich nicht zu sagen. Ich habe einen schweren Fehler gemacht. Ich bitte um die Einweisung.“ Er habe „den Willen, mich zu bessern.“ (APA)