Prozess neigt sich dem Ende: Missbrauchsopfer Pelicot von über 50 Männern vergewaltigt
Gisèle Pelicot ist von ihrem Ehemann über Jahre hinweg betäubt und Fremden zum Missbrauch angeboten worden. Im Prozess beklagt sie die patriarchale Gesellschaft.
Avignon – Die Leidensgeschichte und der Mut von Gisèle Pelicot hat weit über Frankreichs Grenzen hinaus Aufmerksamkeit erregt. Der Prozess um ihre 200-fache Vergewaltigung geht nun in die Endphase. Am Mittwoch beginnen die Plädoyers der Nebenklage, schon Ende der Woche könnte das Plädoyer der Anklage folgen. Das Urteil dürfte kurz vor Weihnachten fallen.
In dem Mammutverfahren stehen 51 Männer vor Gericht. Gisèle Pelicots damaliger Ehemann hat sie laut Anklage über fast zehn Jahre lang mit Medikamenten betäubt, missbraucht und von fremden Männern vergewaltigen lassen. Den Angeklagten drohen bis zu 20 Jahre Haft.
Gehörtes „nicht zu ertragen“
„Das ist der Prozess der Feigheit“, sagte sie in ihrer letzten Aussage vor Beginn der Plädoyers. Sie habe Dinge gehört, die inakzeptabel seien, die man nicht zu hören ertrage. Pelicot verwies auf Angeklagte, die angaben, wie fremdgesteuert gewesen zu sein oder selbst womöglich unter Drogen gesetzt worden zu sein.
„Es ist für mich sehr schwierig, wenn gesagt wird, dass es praktisch eine Banalität ist, Madame Pelicot vergewaltigt zu haben“, sagte sie. Sie frage sich, wann die Angeklagten entschieden hätten, das Vorgehen nicht anzuzeigen. Die Gesellschaft sei patriarchal und müsse dies erkennen. „Wir banalisieren Vergewaltigungen“, kritisierte die 71-Jährige.
Pelicot wird in Frankreich für ihren Mut gefeiert. Sie hatte darauf bestanden, dass Fotos und Videos der Taten öffentlich gezeigt werden, „damit die Scham die Seite wechselt“. Sie habe die Entscheidung getroffen, da sie sich nichts vorzuwerfen habe. Sie wolle, dass andere missbrauchte Frauen durch sie Mut bekämen.
„Ich will, dass sie keine Schande mehr verspüren. Nicht wir sollten uns schämen, sondern sie“, zitierte Le Parisien aus dem Prozess. Pelicot weiter: „Ich bringe vor allem meinen Wunsch und meine Entschlossenheit zum Ausdruck, dass wir diese Gesellschaft verändern.“
Große Anteilnahme
Tausende Menschen gingen Mitte September in Frankreich auf die Straße, um ihre Unterstützung für Opfer sexualisierter Gewalt zu zeigen. „Wir sind alle Gisèle“, skandierten 3500 DemonstrantInnen etwa in Paris und riefen: „Vergewaltiger, wir sehen dich; Opfer, wir glauben dir“ und „Du bist nicht allein“.
Pelicot hatte zu Prozessbeginn geschildert, wie sie jahrelang unter unerklärlichen Gedächtnislücken und gynäkologischen Problemen litt, bevor sie erfuhr, in welcher Weise sich ihr Mann an ihr verging. Es flog auf, als ihr Mann wegen eines anderen Vergehens ins Visier der Justiz geriet und die Ermittler auf etwa 4000 Fotos und Videos von Vergewaltigungen der offensichtlich bewusstlosen Frau stießen.
Ihr ältester Sohn David hat am Montag eine angemessene Bestrafung seines Vaters, der die Taten vor Gericht eingeräumt hatte, und der 50 Mitangeklagten gefordert. „Ich hoffe, dass dieser Mann für die Grausamkeiten bestraft wird, die er meiner Mutter angetan hat.“ Er hoffe, dass es seiner Familie irgendwann gelingen werde, „diesen Mann aus unseren Köpfen zu löschen, der hier zu meiner Linken sitzt“, sagte er mit Blick auf seinen Vater. (TT, dpa, AFP)
Opfer ahnte nichts