Europaparlament einig über neue EU-Kommission
Nach wochenlanger Blockade hat das Europaparlament den Streit um die Spitzenposten in der nächsten EU-Kommission beigelegt. Die drei großen Fraktionen Europäische Volkspartei, Sozialdemokraten und Liberale einigten sich Mittwoch darauf, den Vorschlägen für die Besetzung der Spitzenposten zuzustimmen, am Abend wurden sie von den Vertretern der Fachausschüsse abgesegnet. Eine abschließende Abstimmung im Plenum steht noch aus, die Zustimmung gilt aber als wahrscheinlich.
Mittwoch in einer Woche soll das Plenum des Europaparlaments die gesamte Kommission wählen, dann kann das neue Team von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Arbeit am 1. Dezember aufnehmen. Die deutsche Kommissionschefin selbst war bereits im Juli für eine zweite Amtszeit bestätigt worden.
Mit der nunmehrigen Einigung wurden alle künftigen Kommissare bestätigt. "Es gibt einen Deal", erklärte eine Sprecherin der Sozialdemokraten. Unter den designierten Vizekommissionspräsidenten sind der Rechtsaußenpolitiker Raffaele Fitto aus Italien, an dem sich der Streit entzündet hatte, sowie die ebenfalls umstrittene Sozialdemokratin Teresa Ribera aus Spanien.
ÖVP-Delegationsleiter Reinhold Lopatka begrüßte die Einigung. "Europa befindet sich inmitten von beispiellosen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen, die wir nur bewältigen können, wenn wir handlungsfähig sind und gemeinsam vorgehen. Daher ist es eine gute Nachricht, dass die neue EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen rasch ihre Arbeit aufnehmen kann."
SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder erklärte: "Unsere Kritik an Fitto bleibt aufrecht, aber das Ziel eines Deals der pro-europäischen Parteien war in diesem Fall die bittere Pille die wir schlucken mussten, um eine Übereinkunft der pro-europäischen Parteien zu finden und die Kommission rasch auf die Beine stellen zu können. Die derzeitigen geopolitischen Herausforderungen sind massiv und eine funktionstüchtige Kommission ist wichtiger denn je."
Der Grünen-Delegationsleiter Thomas Waitz kritisierte den "Hinterzimmer-Deal" zwischen EVP, Sozialdemokraten und Liberalen. Dieser "wird mit Hilfe der Rechtsextremen, Postfaschist*innen und Rechtskonservativen durchgedrückt. Ein unwürdiges Schauspiel", so Waitz.
Am Mittwochabend billigten die Obleute der zuständigen Fachausschüsse im Parlament die Vorschläge für die sieben verbliebenen Kommissarinnen und Kommissare. Nötig war jeweils eine Zweidrittelmehrheit.
Wegen des Streits zwischen den Fraktionen konnten auch unstrittige Vizepräsidentinnen und -präsidenten zwischenzeitlich nicht wie nötig vom Parlament bestätigt werden. Dazu gehören die designierte EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und der für Industriepolitik vorgesehene Franzose Stéphane Séjourné. Auch die Finnin Henna Virkkunen und die Rumänin Roxana Minzatu mussten warten. Virkkunen soll künftig in Brüssel den Bereich Digitales verantworten, Minzatu Arbeit und Soziales.
Zu den Wackelkandidaten gehörte zudem der designierte EU-Gesundheitskommissar Oliver Varhelyi aus Ungarn. Der Vertraute des umstrittenen ungarischen Regierungschefs Viktor Orban hatte sich wegen abfälliger Äußerungen über Europaabgeordnete Feinde gemacht. Weil er sich in seiner Anhörung zudem ausweichend zum Recht auf Abtreibung äußerte, sollen seine Zuständigkeiten nach Parlamentsangaben um diesen Bereich beschnitten und an die Belgierin Hadja Lahbib übertragen werden.
Teil des nun gefundenen Kompromisses ist auch eine schriftliche Vereinbarung des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP, dem auch CDU und CSU angehören, der Sozialisten und Sozialdemokraten (S&D) sowie der liberalen Renew-Fraktion. In einem knapp zwei Seiten langen Papier werden Leitlinien der Zusammenarbeit festgehalten. Unter anderem werden Rechtsstaatlichkeit, Ukraine-Unterstützung und eine pro-europäische Ausrichtung als Kernaspekte genannt. Von der Leyen hatte wiederholt deutlich gemacht, dass dies nach ihrer Ansicht eine Kooperation etwa mit Melonis Postfaschisten ermöglicht.