Neue Doku: Wie die Beatles Amerika veränderten
1964 stand Amerika wenige Monate nach Ermordung von John F. Kennedy unter Schock. Tiefe Trauer bedrückte das Land, als die Beatles zum ersten Mal in die USA reisten und den Menschen - zumindest den jungen - eine neue Perspektive gaben. Davon erzählt die von Martin Scorsese produzierte Doku "Beatles '64" auf Disney+. "Es war, als hätte jemand das Licht aufgedreht. Totale Dunkelheit, und plötzlich war da Licht", sagt Autor Joe Queenan. Ab Freitag verfügbar.
Am 7. Februar 1964 landeten die Beatles in New York, begleitet von einer aus Großbritannien nach Amerika übergeschwappten Beatlemania: Kreischende Mädchen überall, wo die vier Pilzköpfe auftauchten. Ihren ersten Auftritt in der legendären TV-Sendung "Ed Sullivan Show" sahen 73 Millionen Menschen, für viele ein lebensverändernder Moment. "Sie kamen aus dem Nirgendwo", erinnert sich Queenan, noch heute von den damaligen Eindrücken überwältigt. Er dachte wie viele seiner Generation: "Das ist etwas für uns."
Regisseur David Tedeschi macht mit seinem Film (der sich nicht nur an Fans richtet) die kulturellen Auswirkungen der historischen Reise der Beatles greifbar, die neben zwei Auftritten bei Ed Sullivan auch Konzerte vor Publikum und Interviews gaben. Dabei konnte er erstmals auf das gesamte und 4K restaurierte historische Filmmaterial von Albert und David Maysles zurückgreifen. Die Brüder begleiteten die Pilzköpfe während des gesamten Trips für eine damalige Dokumentation. Zu Wort kommen in "Beatles '64" Paul McCartney und Ringo Starr, Fans, Musiker und andere Zeitzeugen. Interviews von George Harrison und John Lennon aus dem Archiv runden das Gesamtbild ab.
Tedeschi und Scorsese ist ein faszinierender Blick in eine Zeit der kulturellen Umwälzung und damit verbundener Emanzipation der Jugend gelungen. Erwachsene dachten, das Ende sei gekommen, heißt es an einer Stelle. Elmer Bernstein trat als Verteidiger der Beatles auf, die "Hater" (wie sie im Film genannt werden) ließen sich davon nicht abhalten: "Krank" und "erschreckend", bezeichnet einer die Band. Unverständnis auch in der Presse. So sagt ein Reporter, nachdem Ringo Starr "White Christmas" als seinen Lieblingssong bezeichnete, völlig perplex: "Aber das ist doch kein Rock and Roll."
Man erlebt die Beatles beim Blödeln im Hotelzimmer und wie sie mit britischem Wortwitz den dümmsten Journalistenfragen kontern. Während der Trubel um sie enorme Maße annimmt (Straßensperren! Polizeikordons!) gaben sich die Musiker locker, tanzten etwa losgelöst in einem Club. "They are loose like a goose", berichtet ein Reporter. George Harrison: "Wir waren normal, die Welt war verrückt." Die feindselige Reaktion der Gäste und des Personals bei einem Empfang der Beatles in der britischen Botschaft in Washington lassen staunen. "Aber es war uns scheißegal", so McCartney.
Fantastisch sind die Konzertmitschnitte, die Giles Martin für "Beatles '64" mit der von Peter Jacksons Firma entwickelten Technologie in ein zeitgemäßes Soundgewand abgemischt hat. Man spürt förmlich die Kraft der Musik und die Energie der Beatles. "Ich hatte keine Ahnung, wie groß das Event war", erzählt David Lynch, der das allererste Konzert der Fab Four in den USA besuchte. Es sei "phänomenal" gewesen. "Vielleicht hat Amerika so etwas wie die Beatles gebraucht", gibt sich McCartney regelrecht bescheiden. Autor Queenan bringt es direkter auf den Punkt: "Mein Vater hat sich nie vom Kennedy-Attentat erholt, wir (jungen) schon."
(Von Wolfgang Hauptmann/APA)