Concordia Sozialprojekte: Wie Moldaus verlassenen Kindern wieder Perspektiven gegeben werden
Eines der ärmsten Länder Europas befindet sich im politischen Wandel. Viele suchen im Ausland nach Arbeit, zurück bleiben die Kinder und Alten, meist in prekären Lebenssituationen. Die NGO Concordia mit Sitz in Österreich dockt bei diesen Familien an, um ihnen eine selbstbestimmte Zukunft zu ermöglichen.
Kisinau, Kongaz – Ivan schenkt nach. Der selbst gemachte Wein schmeckt fruchtig und alkoholisch. Zum Abendessen gibt es Fisch, im Ganzen frittiert, dazu Brot. „Manchmal geht es besser, manchmal schlechter. Aber es muss weiter gehen“, sagt der Vater vier minderjähriger Töchter. Seit seine Frau vor einem halben Jahr nach langer Krankheit verstorben ist, muss er sich allein um die Familie in Kongaz kümmern. In Moldau, einem der ärmsten Länder Europas, ist das in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Etwa 36 Prozent der 2,6 Millionen EinwohnerInnen leben hier unter der nationalen Armutsgrenze. Es fehlt an Trinkwasser-, Sanitär- und Gesundheitsversorgung. Ein Sozialsystem, wie man es in Österreich kennt, gibt es nicht.
1,2 Millionen MoldauerInnen suchen Arbeit in (West)europa oder Russland, lassen ihre Familien dafür zurück. Rund 34.000 Kinder leben in Moldau ohne ihre Eltern. Waisenhäuser sind überfüllt und überfordert, ebenso Polizei und Behörden – insbesondere, wenn es um Missbrauch geht.
Die Hilfsorganisation Concordia versucht, diesen Kindern das Werkzeug für eine selbstbestimmte Zukunft in die Hand zu geben. Sie werden in Tageszentren betreut, bekommen dort Essen, medizinische Versorgung, Unterstützung bei schulischen Aufgaben, und freilich Spiel und Spaß für eine unbeschwerte Zeit. Mobile Teams mit SozialarbeiterInnen suchen Familien Zuhause auf, gehen zur Hand, wenn es um Fragen der Organisation und des Zusammenlebens geht. Nicht alle haben Pässe oder Geburtsurkunden. Kleidung, Spielsachen, Essen, das gibt es freilich auch. Geschenkte Hühner, Kühe oder Enten helfen in vielen Familien, die Mägen zu füllen. An vielen Rädchen wird gedreht, damit die nächste Generation nicht in dieselbe Bredouille gerät.
„Resiliente Gemeinschaften zu schaffen, ist unser Ziel. Damit ermöglichen wir es den EinwohnerInnen, besonders in ländlicheren Gegenden, dass sie vor Ort bleiben können und das Land nicht verlassen müssen“, erklärt Concordia-Geschäftsführer Bernhard Drumel. Dass man mit einheimischen Teams arbeitet und die Kompetenzen des Personals vor Ort ausbaue, habe systemischen Auswirkungen.
👉🏻 Über Concordia Sozialprojekte
Concordia ist eine internationale NGO mit Hauptsitz in Österreich. Seit 34 Jahren engagiert man sich mit Sozialprojekten, inzwischen in Bulgarien, Rumänien, Kosovo und Moldau.
In Moldau ist Concordia seit 2004 aktiv. Mittlerweile ist es die größte NGO und mit 230 Angestellten auch kein unwesentlicher Arbeitgeber.
Landesweit gibt es 46 Einrichtungen an 32 Orten, darunter Tageszentren, Kantinen, Unterkünfte für Familien, Flüchtlingsunterkünfte.
2023 wurden 28.504 Personen, insbesondere Kinder, Jugendliche, SeniorInnen und Familien, unterstützt. Dafür wurden rund vier Mio. Euro aufgewendet.
In der kalten Jahreszeit gibt es die Winternothilfe. Familien werden mit Lebensmitteln, Holz zum Heizen, Hygieneprodukten und Kleidung ausgestattet.
Spende an CONCORDIA Sozialprojekte
IBAN: AT28 3200 0000 1318 7893
BIC: RLNWATWW
oder über die Website: Spenden für Kinder in Not | Hilfe für die ärmsten Kinder Europas
Die Spende ist steuerlich absetzbar.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 ist das Land politisch gespalten, hin- und hergerissen zwischen Russland und der EU. Die Hauptstadt Kisinau präsentiert sich in einer Ambivalenz von Aufbruchstimmung und historisch bedingtem Stillstand: Frisch renovierte Häuser und architektonisch moderne Bauten reihen sich an Bruchbuden, Geschäfte hochpreisiger Modemarken buhlen um Aufmerksamkeit, davor erweisen sich desolate Gehsteige und Straßen als Stolperfallen. Wer kann, zieht in die Stadt. Am Land gibt es in Moldau – so schön sich die Kulisse präsentiert – nichts zu holen.
Ivan ist für seine Töchter geblieben. In Gagausien, einem autonomen Gebiet im Süden des Landes. Eine von der EU finanzierte, neue Straße führt in sein 11.000-Einwohner-Dorf. Der angestrebte Beitritt Moldaus stößt hier trotzdem auf Ablehnung. Bei einem Referendum im Oktober sprachen sich 95 Prozent dagegen aus. Im Gespräch mit Ivan werden die hier vorherrschenden Sympathien für Russland nachvollziehbarer. Als er ein Jugendlicher war, war es leichter, erinnert sich der 50-Jährige an die von Planwirtschaft und Kommunismus geprägte Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik: „Alle hatten Essen und ein gutes Leben.“
Weil Moldau bei der Energieversorgung unabhängiger von Russland werden will, kauft die Republik heuer Gas aus anderen Ländern – höhere Preise nimmt die Regierung dafür in Kauf. Die Inflation lag 2022 bei 34 Prozent, der Krieg Russlands mit der Ukraine verschärfte die Lage auch in Moldau.
Für Ivan und seine Mädchen wird es sich diesen Winter finanziell nur ausgehen, zwei Räume im Haus zu heizen. 750 Euro würde er brauchen, 100 Euro gibt es als „Winterhilfe“ vom Staat. Zeit zum Arbeiten ist bei vier Töchtern ebenso begrenzt wie Jobangebote. Zeitweise verrichtet Ivan Schichtdienste im Straßenbau, oder als Techniker für Heizsysteme. Der durchschnittliche Jahreslohn in Moldau liegt bei rund 5800 Euro. Die Lebensmittelpreise im Supermarkt liegen nicht weit von jenen in Österreich entfernt. Die Kuh, die Ivans Familie von Concordia geschenkt bekommen hat, trägt dazu bei, dass Essen auf den Tisch kommt.
Je näher die Nacht rückt, desto dicker wird die Luft in Kongaz. Verheizt wird alles, was Wärme schafft. Gesundheit steht an zweiter Stelle.
„Die EU gibt uns Geld. Aber niemand kontrolliert, wohin das Geld geht“, erzählt Ivan über Korruption, die das Land fest im Griff hat. Dagegen wollen die pro-EU-gestimmte Präsidentin Maja Sandu und ihr Team ankämpfen. Alexei Buzu ist seit 2023 Minister für Arbeit und Sozialschutz. Mit Concordia pflege man eine „Freundschaft“, sagt Buzu. Von der NGO könne man viel lernen. „Die Herausforderung ist, Armut nachhaltig zu reduzieren, und das so schnell wie möglich“, fasst der Ökonom die Basis der aktuellen Reform zusammen. Kinder benötigen Zugang zu Bildung und zum Gesundheitssystem, müssen vor Missbrauch geschützt werden. „Diese Kinder sind vulnerabel, anfällig für Drogen, Kriminalität – und letztlich keine kompetenten BürgerInnen. Dabei sind sie die Zukunft von Moldau.“ Man forciert ein zentralisiertes System mit entsprechenden personellen Ressourcen. Kostenintensive Maßnahmen, die bei der Bevölkerung vorerst nicht ankommen, das ist Buzu bewusst. „Wir mögen Revolutionen, aber wir mögen keine Reformen“. Die Zeit drängt Buzus Regierungsteam: 2026 finden die nächsten Parlamentswahlen statt.
Erstmals politische Luft schnupperten konnte heuer Alexandru. Der 17-Jährige dockte vor vier Jahren bei Concordia als Klient an und durfte im Oktober mit einer Delegation der NGO im deutschen Sozialministerium über das Hilfsprojekt informieren. Dabei teilte er auch seine eigene Geschichte: Der Vater war lange im Gefängnis, starb, als Alexandru vier Jahre alt war. Die Mutter war alkoholabhängig und konnte dem Sohn kaum Halt bieten. In der Schule wurde er gemobbt, litt unter Depressionen. Mit 13 Jahren suchte er erstmals ein Tageszentrum von Concordia auf, bekam dabei auch psychologische Unterstützung. „Es gibt viele Kinder, denen es so geht. Ihre Eltern trinken Alkohol, es gibt viel Gewalt. Dass es geschützte Orte wie bei Concordia gibt, ist wichtig. Es hilft wirklich“, sagt der literaturinteressierte Jugendliche mit einem Faible für Geschichte. Er streift sich seine langen schwarzen Locken aus dem Gesicht, richtet mit einer Hand die Brille auf seiner Nase, umklammert mit der anderen ein Buch. Im Concordia-Büro in Kisinau engagiert er sich als Freiwilliger.
Seine schulische Leistung konnte er mit Hilfe der NGO verbessern. Später will er Wirtschaft und Finanzen studieren. „Es ist mir wichtig, später einen gut bezahlten Job zu haben. Damit ich ein gutes Leben führen kann. Das heißt mehr, als nur zu wissen, was ich heute esse und wo ich heute schlafe“, will der junge Mann seine Chance für eine selbstbestimmte Zukunft ergreifen.
Compliance-Hinweis:
Die Autorin wurde von Concordia auf diese Reise eingeladen.