„Kein Unternehmen kann sich leisten, nicht nachhaltig zu denken“
Herbert Tanner ist Leiter Softwareentwicklung im Bereich „Digitale Industrie“, Siemens Österreich. Im Interview spricht er über die Konkurrenz mit China und den USA, die Chancen Künstlicher Intelligenz und grüner Technologie.
Von Elisabeth Kröpfl
Die heimische Industrie steht angesichts der Herausforderungen am Weltmarkt und der technologischen Weiterentwicklungen unter enormem Druck. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Herbert Tanner: Wir haben uns mit den Lohnerhöhungen in den letzten Jahren und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Produktivität keinen großen Gefallen getan. Das zweite große Problem sind die Energiekosten. Sie sind bis zu einem gewissen Grad auch selbstverschuldet. Da können die Industrieunternehmen relativ wenig dafür, müssen aber die Konsequenzen tragen.
Nicht nur Österreich, auch Europa verliert gegenüber China und den USA rasant an Wettbewerbsfähigkeit. Wie können wir mit diesen großen Playern mithalten?
Tanner: Das ist jedenfalls eine große Herausforderung. Es wird ein Kooperationsmodell notwendig sein, wo jeder seinen Beitrag leistet. Generell bin ich der Meinung, dass man für seine eigenen Entscheidungen die Verantwortung übernehmen muss. Ich kann wenig damit anfangen, wenn man z.B. Innovations- und Forschungsbudgets fordert, aber das nicht im eigenen Unternehmen im Fokus hat.
Wir brauchen politische Rahmenbedingungen - in Österreich für die Dinge, die wir selbst in der Hand haben und in der Europäischen Union, damit wir geeint auftreten können. Eine große Chance sehe ich im Bereich Nachhaltigkeit und Ökodesign, weil wir hier gute Technologien, gute Unternehmen und gute Erfahrungen haben. Das hilft uns aber nicht, wenn wir die Produkte nicht verkaufen können, weil die Regeln nicht einheitlich sind und jemand, der nicht nachhaltig produziert, Dinge billiger anbieten kann. Europa hat sich in der Vergangenheit zu viel gefallen lassen.
Mit welchen Veränderungen in der Industrie können wir in den kommenden Jahren rechnen?
Tanner: Bei Siemens sind wir mitten drinnen auf dem Weg in Richtung Software Company und mittlerweile die drittgrößte Software Company weltweit. Der Trend geht klar in Richtung Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz. In der Industrie sind die Anforderungen an KI natürlich hochkomplex, aber die Kunden haben wenig Berührungsängste damit.
Wie stehen Sie zu einer strengeren Regulierung von KI? Das Regelwerk der EU wird von Kritikern auch als Innovationsbremse bezeichnet.
Tanner: Hier muss differenziert werden. Einerseits bedarf es gesetzlicher Rahmenbedingungen, andererseits würde ich mir wünschen, dass pragmatischer vorgegangen wird. Wenn Regelungen in der Praxis nicht mehr handhabbar sind, dann funktioniert das nicht.
Gerade im Bereich Cybersecurity spielt KI auch eine große Rolle.
Tanner: Im Bereich der Cybersicherheit gibt es große Bedrohungen. Sowohl Angreifer als auch Verteidiger setzen Künstliche Intelligenz ein. Mit dem, was dort simuliert wird und was an neuen Methoden kommt, ist die Entwicklung in dem Bereich noch dynamischer geworden. Die Herausforderungen, die entsprechenden Abwehrmechanismen einzubauen werden immer größer.
Wo wird KI noch eingesetzt?
Tanner: Seit Jahren arbeiten wir gemeinsam mit Universitäten und Industriepartnern am Thema Kunststoffrecycling. Dabei geht es zum Beispiel darum, verschiedene Kunststoffkomponenten in einem Reststoffstrom zu erkennen, um eine höhere Sortiertiefe zu erzielen. KI-Modelle helfen, gewünschte Merkmale zu erkennen, um einzelne Komponenten besser sortieren zu können.
Nachhaltigkeit ist auch ein zentrales Thema Ihrer Arbeit. Bei grünen Themen wird aber schnell der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit beschworen. Was halten Sie dagegen?
Tanner: Kein Unternehmen kann es sich leisten, nicht in diese Richtung zu denken und zu entwickeln. Das eine sind die Kunden, das andere ist die Natur. Mittlerweile erleben wir die Auswirkungen des Klimawandels teilweise schon fast täglich. Wir sind massiv gefordert, mehr zu tun. Wir haben in Europa viele Möglichkeiten, und am Ende des Tages werden nur diese Produkte übrigbleiben, die wirklich nachhaltig gestaltet und produziert sind. Dass wir dazwischen durch ein Tal der Tränen gehen, ist klar. Auf der anderen Seite ist es aber auch eine große Chance. Nachhaltige Energieversorgung zum Beispiel wäre gerade in Zeiten wie diesen eine Megachance. Wir würden im eigenen Land investieren, wären weniger abhängig vom Ausland und hätten eine stabilere Versorgung. Wir können die Lösungen anbieten, aber die Politik muss die Rahmenbedingungen so setzen, dass sie auch umsetzbar sind.
Berichterstattung im Rahmen der Medienakademie
Die internationale Medienakademie zählt seit Jahren zum festen Bestandteil des Mediengipfels in Lech am Arlberg. Nachwuchsjournalist:innen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz bekommen hier die Möglichkeit, wertvolle Praxiserfahrungen unter Echtzeitbedingungen zu sammeln. Die Teilnehmer:innen begleiten den Europäischen Mediengipfel vor Ort und berichten mehrere Tage live von den Diskussionsrunden.