EU-Vertreter Wigand: Breite Kampagne zum 30-Jahr-Jubiläum
Die EU-Kommissionsvertretung in Wien will nach Worten ihres amtsführenden Leiters, Christian Wigand, das 30-Jahr-Jubiläum des EU-Beitritts Österreichs für eine Kampagne nutzen. Sie soll verdeutlichen, was die EU-Mitgliedschaft bringt und vergegenwärtigen, "dass wir alle 'die EU' sind", kündigte Wigand im APA-Interview an. Kernstück werde ein TV-Spot sein, der ab dem 1. Jänner im ORF und in sozialen Medien laufe.
Für den Spot habe man den Schauspieler Harald Krassnitzer und auch andere bekannte Gesichter gewinnen können. "Das Ziel ist weniger, auf Daten und Fakten zu gehen, sondern die Leute dort abzuholen, wo sie sind, auch emotional, und verschiedene Lebensbereiche anzusprechen. Da geht es im Wesentlichen um die Gemeinsamkeit", erläuterte Wigand. Der Slogan der Kampagne laute: "Gemeinsam gewachsen". Es werde auch Print-Sujets geben. "Und wir werden mit der Kampagne beim Wiener Silvester-Pfad präsent sein. Zudem werden die Wiener Philharmoniker einen Walzer des Neujahrskonzerts dem 30-Jahr-Jubiläum widmen. Auch mit den ÖBB arbeiten wir wieder zusammen und werden eine Lok 'branden'", sagte Wigand.
"Wir wollen besonders die Jungen erreichen, aber auch die ländliche Bevölkerung, denn am Land ist die EU-Skepsis tendenziell höher. Laut der jüngsten Eurobarometer-Umfrage vertrauen übrigens mehr als 50 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher der Europäischen Union", so der Kommissionsvertreter. Der gebürtige Grazer, der zuvor im Sprecherdienst der EU-Kommission in Brüssel tätig war, räumt ein, dass die EU-Skepsis hierzulande "in den letzten Jahren ein Stück weit gewachsen" ist.
"In Österreich schimpft man natürlich auch ganz gerne mal, oder raunzt über die nächsthöhere Ebene, also zunächst Richtung Wien und dann Richtung EU. Wichtig wäre mir, dass man von diesem dualen Denken wegkommt: 'wir und die EU'. Die EU ist nicht irgendeine fremde Macht, sondern wir sind die Europäische Union und bestimmen mit", betont Wigand. Österreicherinnen und Österreicher hätten eine starke Stimme, um die EU mitzugestalten. "Kritik an sich ist ja kein Problem, das ist Teil der Demokratie."
Die 30 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs seien nämlich "eine wirkliche Erfolgsgeschichte. Österreich hat von den drei Mitgliedstaaten (mit Schweden und Finnland, Anm.), die damals beigetreten sind, wirtschaftlich am meisten profitiert, wenn man sich die Exportzahlen ansieht", so Wigand. Das Bruttoinlandsprodukt in Österreich sei zwischen 1995 und 2023 um 58 Prozent gestiegen. "Die EU-Mitgliedschaft kostet Herrn und Frau Österreicher ungefähr einen Kaffee in der Woche. Im Gegenzug beträgt der Nutzen, also das, was durch die EU sozusagen mehr hereinkommt, um die 300 Euro im Monat, pro Kopf gerechnet. Da reden wir noch gar nicht von Vorteilen wie der Reisefreiheit, davon, dass man heute überall in der EU leben, arbeiten oder studieren kann. Und natürlich ist uns in den letzten Jahren wieder deutlich vor Augen getreten, was die eigentliche Grundidee der Europäischen Union war: die Sicherung von Frieden."
Die immer wieder kehrende Kritik an der EU-Bürokratie sieht Wigand differenziert. "Nicht alle Bürokratie kommt aus Brüssel, manches kommt auch aus Österreich. Ein Beispiel sind diese Speisekarten mit Buchstaben zu Allergenen neben dem Wiener Schnitzel. In Brüssel findet man das nicht. Die Idee der Verordnung ist eine gute, nämlich dass man Menschen schützt, die Allergien haben. Aber in Österreich hatte man es relativ kompliziert umgesetzt." Bürokratieabbau sei definitiv eine der häufigsten Forderungen von Wirtschafts- und Industrievertretern. "Die Botschaft ist in der Kommission angekommen, der Bürokratieabbau ist jetzt eine Top-Priorität. Es gibt sehr konkrete Ziele, etwa Abbau der Berichtspflichten um 25 bis 35 Prozent für Unternehmen."
Für die neue EU-Kommission von Ursula von der Leyen stehe auch die Verteidigung der Demokratie ganz hoch auf der Agenda, sagt Wigand. "Wir müssen uns bewusst sein, dass unsere Demokratien auch verletzlich sind. Man hat soeben in Rumänien gesehen, was möglich ist, man hat zuvor in Moldau und Georgien ganz stark den russischen Einfluss beobachtet." Es sei geplant, "ein europäisches Schutzschild der Demokratie zu schaffen, um wehrhafter zu werden. Die Zeit der Naivität ist vorbei." Man müsse die Zusammenarbeit gegen Desinformation stärken und Finanzströme aus dem Ausland, die der Einflussnahme dienen, transparenter machen. Plattformen seien in die Pflicht zu nehmen und Regeln mit abschreckenden Strafen durchzusetzen.
Auch die Verteidigung werde angesichts der Bedrohung durch Russland ein Schwerpunkt für die neue Kommission. "Es gibt das Ziel, dass die EU-Staaten bis 2030 40 Prozent der Verteidigungsgüter gemeinsam beschaffen. Das wäre ein sehr großer Fortschritt, weil wir dann mit dem Geld, das wir investieren, mehr kaufen können", so Wigand.
Braucht heute noch jemand Österreich als Brückenbauer in der EU? Wigand bejaht diese Frage: "Gerade im Hinblick auf die Integration der Westbalkanländer ist Österreich in dieser Rolle gefragt. Österreich kann, wenn es politisch klug agiert, ein überproportionales Gewicht auf die Waage bringen."
Der EU-Kommissionsvertreter ist "fest überzeugt" davon, dass man in Österreich in 20 Jahren auch noch 50 Jahre EU-Mitgliedschaft feiern wird. Die EU sei allerdings keine Selbstverständlichkeit. "Es fühlt sich selbstverständlich an, aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Europäische Union, dass unsere Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Werte etwas sind, für das wir kämpfen müssen. Das wurde in den vergangenen Jahren doch immer deutlicher."
(Das Interview führte Thomas Schmidt/APA)